Zeitgleich (vom 31. August bis 13. Oktober): Testlauf für
die Ruhr-Triennale – Vision einer neuen Identität für
Nord-West-Deutschlands zerbrochenes Industrierevier durch ein internationales
Theater- und Musikfestival auf Stahl- und Bergbau-Ruinen. Jahrelang
haben betroffene Kommunen – insbesondere Essen, Duisburg,
Hamm und Dortmund – mit finanzieller Unterstützung des
Landes NRW „Industriedenkmäler“ geschaffen und
zu zeitgemäßen Kultur-Stätten umfunktioniert. Darauf
will das Land nun aufbauen. Mortier ließ aus Fabrikhallen auf Kohlehalden zwischen Hamm
und Duisburg Gershwin-Improvisationen für Gitarre, Violine
und Kontrabass, Mozarts „Requiem“ und Schönbergs
„Jakobsleiter“ tönen, Euripides zwischen Schornsteinen
und Kühltürmen in Szene setzen. Mikhail Baryshnikov tanzte
in der Waschkaue der Essener Zeche Zollverein (dem fast schon gescheiterten
„Choreografischen Zentrum NRW“). Und Messiaens „Quattuor
pour le fin du temps“ – wie so vieles andere bei diesem
ersten Ruhrruinen-Festivaltest aus anderen europäischen Festivalstädten
in die Ruhrkultur-Landschaft geholt – wurde mit stehenden
Ovationen bedacht. Das macht ebenso nachdenklich wie der spärlich
besuchte „Don Giovanni“ im Gewerkschafts-Kulturpalast,
dem Recklinghauser Festspielhaus, von Klaus Michael Grüber
inszeniert und Hans Zender dirigiert – mit atemberaubend schönen,
jungen Sänger-Darstellern. Marieluise Jeitschko sprach mit Festival-Leiter Gérard Mortier:Jeitschko: Ihre Bilanz? Mortier: Ich spürte eine große Emotionalität, viel Intelligenz, hohes Bildungsniveau und ganz besonders eine unglaubliche kulturelle Neugier und Begeisterungsfähigkeit. Aber wir haben wohl zu sehr die oberste Bildungsschicht angesprochen. Deshalb verkaufte sich auch „Don Giovanni“ schlechter, als ich es erwartet habe. Jeitschko: Als Leiter der Ruhr-Festspiele ist Frank Castorf engagiert. Die Sorge vieler Menschen, die hier leben, ist allerdings, diese traditionsreichen „Theater-Festspiele fürs Volk“ könnten von der Ruhr-Triennale geschluckt werden – ebenso das „Internationale Tanzfestival NRW“ (ITF), dem in dieser neben New York dichtesten Tanz-Region Pina Bausch wieder auf die Beine helfen soll. Mortier: Keineswegs. Ich halte mich in Absprache mit Pina Bausch bei der Programmgestaltung der Ruhr-Triennale mit Tanzvorstellungen zurück – eben damit das ITF nicht gefährdet wird. Im Übrigen eröffnet ja Pina Bausch mit dem Tanztheater Wuppertal im Mai 2003 die Bochumer Jahrhunderthalle, diesen für mich wunderbarsten neuen Kultur-Standort dieser Region. Jeitschko: Es werden aber schon jetzt Stimmen laut, die Zahl der Spielstätten müsse reduziert werden. Mortier: Jeder dieser Orte hat seinen eigenen Charme. Mit genau den richtigen Programmen muss sich jeder entfalten und bewähren, um den Industrie-Arealen eine neue Identität zu geben. Ich kenne genügend Künstler. Jeitschko: Sie kennen inzwischen aber auch den finanziellen
Notstand der Region. Der zugesagte Triennale-Etat wird – wenn
auch mit 300.000 Euro relativ moderat – gekürzt. Jeitschko: Auch die Zuschauer stürmen nicht so herbei wie erwartet. 200.000 Karten wollten Sie 2004 verkaufen – nun ist maximal die Hälfte das angepeilte Ziel. Was wollen Sie als Kulturmanager bis 2004 erreichen? Mortier: Ich bleibe dabei: In zwei Jahren sollen alle großen Festivalstädte – einschließlich Salzburg und Bayreuth – mit Neid auf diese Ruhr-Triennale blicken. Die Deutsche Bahn soll Sonderzüge zur Verfügung stellen, Busse und Shuttles müssen her. Und kein Mensch in der westlichen Welt, der gern ins Theater oder Konzert geht, soll fragen: Dortmund, Essen, Bochum, Duisburg: Wo liegt denn das?
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