In der Spielzeit 2000/2001 standen dem Theater Bonn noch umgerechnet 30,6 Millionen Euro für Oper und Tanztheater und rund 19,4 Millionen Euro für das Schauspiel zu Verfügung. Um das Theaterangebot mit allen drei Sparten möglichst weitgehend erhalten zu können, schichtete die Stadt trotz herber Sparzwänge in einem einmaligen Kraftakt im Kulturetat 20 Millionen Euro zugunsten des Theaters um. Trotzdem wird Beilharz’ Nachfolger Klaus Weise bei seinem Antritt zur Spielzeit 2003/2004 einen Etat von insgesamt nur noch 38 Millionen Euro vorfinden, mit dem er für die ersten drei Spielzeiten auch noch etwaige Tarifsteigerungen auffangen muss. Trotzdem gerade genug, um gutes Theater zu machen, findet der 51-jährige Schauspielregisseur, der in den vergangenen zwölf Jahren das Theater Oberhausen zu einer der ersten Schauspieladressen machte. In Oberhausen musste er zu seinem Amtsantritt 1991 Sparbeschlüsse des Stadtrats umsetzen und das Musiktheater abwickeln, in Bonn kann er die Grausamkeiten Arnold Petersen überlassen. Der 76-jährige Theatermacher, 17 Jahre lang gefeierter Intendant am Mannheimer Nationaltheater, ließ sich für die Interimsspielzeit aus dem Ruhestand in der Toskana an den Rhein lotsen. Von den einst 765 Angestellten des Theaters arbeiten dort jetzt nur noch rund 600, wobei der Stellenabbau nach Einschätzung des Personalratsvorsitzenden Willi Ganser bislang human ablief. Entweder hatten die Mitarbeiter Zeitverträge oder nahmen Vorruhestandsregelungen in Anspruch; andere machten sich selbständig, wurden abgefunden oder umgeschult. Linderung beim Kahlschlag brachte auch der Bund. Rückwirkend vom Jahr 2000 an bis 2010 erhält die Stadt insgesamt 44,5 Millionen Euro zusätzlich, mit denen vornehmlich Umstrukturierungsmaßnahmen im Kulturbereich abgefedert werden sollen. Neue VerhältnisseWas der Stadt Bonn im Großen widerfährt seit dem Beschluss des Bundestages, Berlin zur Hauptstadt zu machen, muss sie im Kleinen an ihrem Theater vollziehen: sich den neuen Verhältnissen anpassen. Wie viel überschaubarer als im Theater-Moloch Berlin mit seinen drei Opernhäusern und Dutzenden Theatern war doch die Situation in der Bundeshauptstadt Bonn. Gerne griff der Bund dem Theater unter die Arme, um seinen ausländischen Gästen die ersten Stimmen und Regisseure der Nation bieten zu können. Nun spielt die Musik in Berlin, und die Geburtsstadt Beethovens, geadelt als „Bundesstadt“, macht das Beste daraus als Teilregierungssitz. Noch residieren hier etwa das Verteidigungsministerium und Behörden wie der Bundesrechnungshof und das Bundeskartellamt. Wirtschaftliche Erfolge
Künstlerisch ist von den Einbußen in der laufenden Saison nichts zu spüren. Mit der „Ariadne auf Naxos“ etwa zeigt das Orchester der Beethovenhalle Bonn unter Kapellmeister Christoph König einen Feinsinn und Farbreichtum, der den Opernabend zu einem kammermusikalischen Genuß macht. Doch auch Bonn ist nicht gefeit vor lustloser Repertoireroutine. Dasselbe Orchester, derselbe Dirigent zeigt sich zwei Tage zuvor mit der nun schon mehrere Spielzeiten alten „Zauberflöte“ von Jürgen Rose glanzlos und uninspiriert. Mechanisch wird die bunte, familiengerecht plakative Aufführung heruntergespult, den tieferen Sinn der Aktion bleibt man schuldig. Dennoch, das Haus war voll. 132.000 Besucher konnte Arnold Petersen bis März verzeichnen, 137.000 ist der Vergleichswert aus der letzten Spielzeit unter Beilharz. Durch sparsames Wirtschaften, durch Abstriche am Gästeetat und an der Ausstattung liegt Petersen zum Ende der Spielzeit vermutlich rund drei Millionen Euro unter dem Etat-Ansatz. 1,4 Millionen wollen er und Klaus Weise öffentlichkeitswirksam an die Stadt zurückgeben. Für eine ausgeglichene Bilanz wird sicher auch die Wiederaufnahme von „Les Misérables“ sorgen. Die hervorragende Inszenierung von John Dew festigte gemeinsam mit „Cabaret“ von Pavel Fieber in den vergangenen Spielzeiten das Renommée der Bonner Musicalproduktionen. Klaus Weise will in der kommenden Spielzeit mit „Anatevka“, inszeniert von Kirsten Harms, daran anknüpfen. 2003/2004 wird auch das Händel-Oratorium „Saul“ in der beeindruckenden Inszenierung von Dietrich Hilsdorf wieder aufgenommen. Derzeit arbeitet dasselbe Team wie bei „Saul“ mit Hilsdorf, Dirigent Jos van Veldhoven, Ausstatter Johannes Leiacker und Chordirektorin Sibylle Wagner an Händels „Belsazar“. Intensive ChorarbeitHier ist der Chor physisch und seelisch bis an seine Grenzen gefordert, erzählt Sibylle Wagner: „Das ist wie eine große Mozartpartie für einen Solosänger. Der Chor ist ständig präsent, er ist ja auch Handlungsträger“. 42 Sänger stehen ihr zur Verfügung, die Untergrenze für ein Haus mit diesem Repertoire, aber für sie die optimale Größe: „So ist jeder richtig gefordert und fühlt sich für das Gelingen des Abends verantwortlich“. Parallel zu „Belsazar“ probt der Chor schon voraus für „Satyagraha“ von Philip Glass, mit dem im Juni 2004 die Bonner Biennale eröffnet wird. „Hier vermittle ich dem Chor mehr an Hintergrundwissen als etwa bei Verdi. Das italienische Repertoire hat eine lange, hervorragende Tradition in Bonn, da muss ich nichts zu sagen, aber Minimal Music wie ,Satyagraha’ müssen wir uns erst erarbeiten“. Für die Ghandi-Oper liest und singt sie auch gemeinsam mit dem Chor Sanskrit und setzt sich mit indischer Kultur und Geschichte auseinander. Den „Saul“, bei dem sie in der vergangenen Spielzeit in der Continuogruppe mitspielte, wird sie in der kommenden Spielzeit selbst dirigieren, ebenso Hans Werner Henzes „Pollicino“ und die Kinderoper „Die drei Rätsel“ von Detlev Glanert. „Natürlich ist es schön, wenn Kinder in die Oper gehen, die ,Zauberflöte’ ist wunderbar für Kinder. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn Kinder für Kinder spielen, das interessiert sie ungleich mehr und weckt ihre Liebe fürs Theater“. Angefangen hatte das Projekt mit der Idee, den Kinderchor auch dann zu beschäftigen, wenn gerade nicht Opern wie „Hänsel und Gretel“ auf dem Spielplan stehen. Daraus entstanden Aufführungen von „Brundibár“ und „Der kleine Schornsteinfeger“. Die große Unterstützung durch die Theaterleitung, die Eltern und die städtische Musikschule machte es jetzt möglich, „Pollicino“ mit einem kompletten Kinderorchester aufzuführen. Neues TeamAls Nachfolger von Marc Soustrot wird mit dem Amtsantritt von Klaus Weise Roman Kofman neuer GMD und Chefdirigent des Orchesters der Beethovenhalle. Das Orchester plant mit seinen 106 Musiker neben den Operndiensten rund 50 Konzerte allein in der ersten Saison unter seinem neuen GMD, der Schwerpunkte mit der Musik Beethovens und Schostakowitschs setzen will. In der Oper wird er Verdis „Macbeth“ und Alban Bergs „Lulu“ dirigieren. Außerdem kommen „Hoffmanns Erzählungen“ und die Barock-Oper „Dardanus“ von Jean-Philippe Rameau auf die Bühne, die wie alle Produktionen weitgehend aus dem 14-köpfigen Sängerensemble besetzt werden sollen. Zeitgenössisches wird wie gehabt der kleinen, feinen Reihe „bonn chance!“ für experimentelles Musiktheater vorbehalten bleiben. Den starken Schwerpunkt im Schauspiel wird Klaus Weise beibehalten. Fortgeführt wird auch die Bonner Biennale. Manfred Beilharz hatte das Theaterfestival in den vergangenen zehn Jahren gemeinsam mit Tankred Dorst zum wichtigsten Umschlagplatz für zeitgenössische europäische Dramatik gemacht. Veränderung beim TanzDen größten Umschwung muss vermutlich das Tanzpublikum verkraften. 1997 holte Manfred Beilharz Pavel Mikulástik mit seinem Choreografischen Theater von Freiburg nach Bonn. Das Publikum rieb sich zunächst heftig an der ungewöhnlichen Mischung von modernem Tanz und Artistik, Schauspiel und Gesang, mit der Mikulástik mal melancholische Geschichten wie „La Strada“ von Fellini, mal politische Statements wie „Tatort“ über die dramatische Erschießung des mutmaßlichen Terroristen Wolfgang Grams durch Beamte des GSG-9 in Bad Kleinen aufarbeitete. Doch Mikulástik und seine Tänzer blieben beharrlich, und am Ende demonstrierten nicht wenige Theatergänger für den Verbleib der Truppe, die aber Klaus Weise nicht behalten mochte. In den letzten Jahren hatte Mikulástik erfolgreiche Stücke wie die biblische Erzählung „Ester“ auf die Bühne gebracht, das Schöpfungsepos „Gilgamesch“, aber auch die Peter Handke-Bearbeitung „La Cuisine“. Vom Bonner Publikum verabschiedet er sich mit seiner Truppe mit der Produktion „©Rats“ – als ultimative Antwort auf das Musical „Cats“. 14 Ratten toben und tanzen, steppen und walzern über die Bühne, verwursten alles von Rap bis „Schwanensee“, mit Charme und der nötigen Akuratesse, die die Parodie erst witzig macht. Mit „©Rats“ beweist Pavel Mikulástik erneut seine Fähigkeit, Geschichten und Charaktere zu erfinden, die ein abendfüllendes Stück tragen können. Fröhlich bedient sich das Stück bei allem, was von „A Chorus Line“ über „My fair Lady“ bis zu „Blues Brothers“ auf der Bühne funktioniert, angefeuert von der witzigen Musik von James Reynolds und „The Ratpack“. Doch nun steht ein ästhetischer Wechsel bevor. Die immer wieder ins Spiel gebrachte Möglichkeit, gemeinsam mit Köln, das nur noch von Tanz-Gastspielen lebt, eine Compagnie aufzubauen, ist vertan. Zur Spielzeit 2003/2004 kommt Johann Kresnik aus Berlin und bringt seine fertigen Produktionen mit. In Bonn ist für die erste Spielzeit „Einhundert Jahre Einsamkeit“ nach dem Roman von Gabriel García Márquez geplant. Pavel Mikulástik, der einst selbst bei Kresnik tanzte, muss seine Truppe auflösen und bleibt Manfred Beilharz in Wiesbaden lose mit Gastspielen verbunden.
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