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Inszenieren ohne zu interpretieren

„Tristan und Isolde“ in Essen · Von Frank Kämpfer

Die Bühne auf der Bühne ist klein, clean, quadratisch und sie zieht den Blick in eine seltsame Männer-WG. Sind es Trinker, die darin torkeln, sind es Geißler, die sich selbst Schmerzen zufügen? Sind Tristan und Kurwenal womöglich ein Paar? Zumindest Letzteres sind sie offenbar nicht. Denn wenn der Knappe den matten Helden ungeschickt raubeinig herzt und ihm die naturalistisch nässende Wunde vernäht, ist von der Sehnsucht nach Isolden die Rede, gilt der Wechselgesang deren noch immer nicht nahendem Schiff. Verbal steigt Erinnerung auf, und Tristan, die männliche Titelfigur, setzt in einer Art Selbstanalyse das Mosaik seiner Herkunft zusammen. Sängerdarsteller Jeffrey Dowd indes zappelt dabei im fleckigen Dress wie ein Anstaltsinsasse, dem Gespenster erscheinen – er springt aus der gleißenden Box hinab zwischen Pappmaché-Schafe, er krabbelt, windet sich, zuckt und … stirbt in Isoldens doch noch Erlösung gewährendem Arm.

 
Jeffrey Dowd (Tristan), Evelyn Herlitzius (Isolde). Foto: Matthias Jung
 

Jeffrey Dowd (Tristan), Evelyn Herlitzius (Isolde). Foto: Matthias Jung

 

Das Essener Publikum applaudiert ohne jedwedes Buh, das Feuilleton hält sich zurück. Für den szenischen Part steht im Aalto-Theater immerhin Barrie Kosky – ein Theateraufsteiger der jüngeren Generation, der dem Regieberuf offenkundig die Arbeit des Interpretierens abzieht. Handelt es sich um einen Einspar-Effekt? Das läge immerhin nahe, zumal Bühnenbildner Klaus Grünberg die Bühne auf ein Quadrat von ungefähr drei mal drei Meter verkürzt. Doch dies bringt nur ein zweites Problem: Ungeführte Sänger-Gesten geraten in solch räumlicher Enge deutlich zu groß und ergeben zudem wenig Sinn. Dass aber der Widerspruch zwischen Bühne, Gesang, Musik und mimisch-gestischem Spiel auf den ganzen Abend bezogen eine tiefere, das Ganze erhellende Absicht verbirgt, hofft man fünf Stunden leider vergebens.

Am Anfang immerhin ist man in Essen auf vieles, sogar auf eine Neusicht des Stückes gefasst. So unangestrengt schnörkellos beginnt GMD Stefan Soltesz im Graben, dass das Komponierte sofort zu sprechen beginnt, transparent bleibt und manche Einsicht gewährt. Verfremdet dann begegnet Bild eins: Das Schiff, mit dem Tristan Isolde zu Marke heimfährt, ist zur engen Schiffskabine im Ambiente der 30er-Jahre verkleinert. Evelyn Herlitzius referiert die Geschichte der weiblichen Titelfigur darin mit Intensität und großer Stimme; Kurwenal (Heiko Trinsinger, sängerisch fehlbesetzt) vergewaltigt dicht daneben Brangäne (Ildiko Szönyi), sie ihrerseits vertauscht die Getränke für Liebe und Tod.

Aus dieser Verdichtung der Bilder könnte sich alles im Werk Angelegte entfalten: das Drama um die Sehnsucht des Menschen nach Ganzheit, die Unerfüllbarkeit zwischen den Idealtypen beider Geschlechter, die Entfremdung des Menschen in Männergefügen aus Herrschaft und Macht. Der Regisseur jedoch überlässt die Bühne dem Bühnenbildner. Der wiederum hat die zwei Titelgestalten im zweiten, szenisch reichlich statischen Akt in einen Würfel gesperrt, der permanent und langsam um eine vertikale Achse rotiert. Derweil sich darin der Fußboden hebt, die Wand, dann die Decke und dann die andere Wand zur Standfläche werden, sind Isolde und Tristan beschäftigt, Haltung zu wahren – Sänger-Haltung vor allem. Herlitzius und Dowd haben sich beim Singen gut festzuhalten, um nicht zu stürzen – nach mehreren Rotationen haben sich ihre Füße und Hände entsprechend der Statik sortiert. Zusätzliches szenisches Spiel, das ist klar, ist nicht zu leisten. Und anders als Dieter Dorn Ende der 80er in Bayreuth, aus dessen „Fliegendem Holländer“ die hier beschriebene Bildlösung ursächlich stammt und auch kräftig zitiert, wenn nicht gar nachgeformt ist – anders als Dorn verzichtet Kosky bei seinem Essener „Tristan“ denn nun auch gänzlich darauf, hier eine Botschaft zu vermitteln, die mehr als das Gezeigte enthält.

Doch das stimmt so nicht ganz. Dank Barrie Kosky replizieren die Sänger im neuen Essener „Tristan“ immerhin doch, was Wagners Szenenanweisungen an der Oberfläche erzählen. Das ergibt, was auch heute noch zum Normalen, Gewohnten gehört: Zum Beispiel, dass ein Mann eine Frau sexuell nötigen darf und dass darauf kein Einspruch erfolgt; dass ein König einen Helden nach Belieben demütigen kann; dass Isolde – welch sinnloses Opfer – sich dem verstorbenen Tristan beigeben muss. Das utopische Potenzial des Werkes kommt ob dieser gestrigen Art, „werktreu“ zu sein, schlechthin nicht zum Tragen. Wer zuhören kann, dem bleibt allerdings, wahrzunehmen, wie und was die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz engagiert und beredt musizieren. Mit Evelyn Herlitzius haben sie immerhin eine relevante Solistin dafür.

Frank Kämpfer

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