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Berichte

Die Abgründe schwedischer Provinz

Chorfilm „Wie im Himmel“ in Konstanz · Von Wolfgang Bager

Schon immer wurden der Musik gewaltige geheimnisvolle Kräfte zugeschrieben. „Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Werk gewonnen; denn ihr erster Ursprung ist von dem Himmel selbst gekommen, weil die lieben Engelein selber Musikanten sein“, dichtete einst Martin Luther. Und wenn es nach den Mitgliedern des Kirchenchores im schwedischen Ljusåker geht, fühlen sich diese Laiensänger bereits wie im Himmel, seit sie ihren neuen Chorleiter haben. Denn dieser ist aus einer anderen Welt, der Welt des internationalen Dirigenten-Jet-Sets, in seine Heimat zurückgekehrt und direkt zu ihnen in die schwedische Provinz hinabgestiegen – gezwungenermaßen aus gesundheitlichen Gründen. Und so bringt dieser Daniel Daréus das himmlische Werk zu den wackeren Sängern, zu denen etwa der Lebensmittelhändler Holmfrid und seine junge lebenslustige Verkäuferin Lena, Arne, der Inhaber des Sportartikelgeschäfts, und Inger, die Frau des Pfarrers, gehören. Auch Gabriella, die Frau des Dorfproleten, ist ebenso dabei wie die altjüngferlich wirkende Siv, die bislang den Chor geleitet hat, und der behinderte Tore, der dem Chor zwar zuhören, aber nie mitsingen durfte.

 
Der kranke Dirigent (Bernhard Leute) und Lena (Anja Panse). Foto: Ilja Mess
 

Der kranke Dirigent (Bernhard Leute) und Lena (Anja Panse). Foto: Ilja Mess

 

Doch jetzt ist nichts mehr wie es war. Dirigent Daniel Daréus schlägt neue Töne an. Und er bringt nicht nur die alten Schweden zum Klingen, bald vibriert die ganze Gemeinde. So stark, dass sich in dem scheinbar so stabil wirkenden Gebäude sozialer Gemeinschaft schwere Risse bilden. Jetzt bricht auf, was Heuchelei, Spießigkeit und Bigotterie über Jahre hinweg verkleistert hatten: Die Frau des Pfarrers erkennt ihre eigenen Sehnsüchte und die Verklemmtheit ihres Gatten, Gabriella findet im Chor die Gegenwelt zu ihrem prügelnden Gatten, der dicke Holfrid wehrt sich endlich gegen den Spott seiner Mitmenschen und selbst Tore darf jetzt zu seiner großen Freude mitsingen. Lena verliebt sich prompt in den Dirigenten und erkennt, wie ihre freundliche Naivität von der Dorfgemeinschaft all die Jahre ausgenutzt worden ist. Und auch in Siv haben die Musik und der Dirigent wieder etwas geweckt, zumindest blickt sie mit Eifersucht und Argwohn auf Lena.

Der Schwede Kay Pollack hat diese Geschichte 2005 in seinem für den Oscar nominierten Film „Wie im Himmel“ erzählt. Mit kargen, stimmungsvollen Bildern zerstört er die Idylle von den aufgeklärten, liberalen und sexuell selbstbewussten Skandinaviern. Jetzt hat „Wie im Himmel“ erstmals ins Theater gefunden. Und Kay Pollack ist dazu eigens zur Premiere ins Konstanzer Stadttheater gekommen. Regie führt aber nicht er, sondern Bettina Bruinier, die auch die Bühnenfassung für diese Uraufführung geschrieben hat. Sie lehnt sich eng an den Film an, der Text ist in weiten Teilen identisch, die Personentypen aus den Reihen des Konstanzer Ensembles stimmig besetzt. Um den richtigen Ton zu treffen, wurde für diese Inszenierung eigens ein 30-köpfiger Theaterchor gebildet, rekrutiert aus verschiedenen Konstanzer Chören. Und wie der Kirchenchor von Ljusåker in der Geschichte, werden auch die Konstanzer Sänger am Ende ihren strahlenden Triumph feiern.

Justina Klimczyk hat ein schlichtes Bühnenbild dazu gebaut mit schmucklosen aber multifunktionalen Chorpodesten und einem alten Klavier. Alles ein bisschen von jener nördlichen Schäbigkeit, wie man sie etwa aus Kaurismäki-Filmen kennt. Auch die Kostüme (Conni Brückner) wirken authentisch provinziell, nördlich der Mode- und Geschmacksgrenze. Die Voraussetzungen für Bruiniers Inszenierung sind also gut. Vielleicht zu gut. Pollacks bitter-süßes Märchen kommt in Konstanz glatt und geschmeidig auf die Bühne, vorbei an allen Abgründen. Das gefällt zwar dem Publikum, aber es geht dabei so viel verloren. Da ist keine Zeit für einen Moment gespenstischer Stille, kein Raum für lähmendes Entsetzen. Nie darf geschwiegen, gegrübelt, gerungen, ohne Worte gespielt werden. Alles geht Schlag auf Schlag, wo vielleicht ein Stück Langsamkeit wirkungsvoller gewesen wäre. Kein Licht, kein Schatten weit und breit, um Stimmungen zu erzeugen.

Und so müssen auch die meisten Schauspieler, obwohl treffend besetzt, hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Heimo Scheurer als verbohrter engstirniger Pfarrer und Theresa Berlage als dessen aufbegehrende Frau können sich noch am ehesten etwas eigenes Profil erarbeiten. Am besten gelungen sind die Rollen, von denen Sprachlosigkeit oder Wortkargheit verlangt wird. Nico Selbach etwa liefert als behinderter Tore eine wunderbare Partie. Und natürlich Bernhard Leute in der Rolle des schwer kranken Dirigenten Daniel. Sein Schweigen, sein Blick, seine erzählende Gesichtslandschaft, mit der er so beredt über sein früheres ausschweifendes Leben als Stardirigent Auskunft gibt, zeigt all das, wovon man gerne mehr gehabt hätte. Stattdessen lärmend-chargierende Stadttheater-Routine mit überflüssig-aufgesetzten Komik-Einlagen.

Doch da nimmt der Chor (Einstudierung Claus Biegert) stimmlich und szenisch recht gelungen wieder Aufstellung, um mit einem einzigen Schlusston jene geheimnisvollen Schwingungen zu erzeugen, die nicht nur schwedische Provinzstädtchen durcheinander bringen können. Wer Pollacks Film nicht kennt, wird aus dem nun über die Bühne wandelnden kleinen Engelchen nur schwer schließen können, dass sich Daniel bereits auf den Weg gemacht hat, dorthin, wo laut Luther die Musik ihren Ursprung genommen hat …

Wolfgang Bager

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