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Theatralische Sexualkunde

„Hänsel und Gretel“ beim Tollwood-Festival · Von Marco Frei

Knusper, knusper, Knäuschen, wer knuspert mir am Häuschen?“ Wer kennt ihn nicht, den Ausruf der Hexe in Engelbert Humperdincks Opernvertonung des Grimm’schen Märchens „Hänsel und Gretel“. In der Inszenierung von Sebastian Hirn, die vom 29. November bis zum 31. Dezember beim Winterfestival „Tollwood“ auf der Münchener Theresienwiese gezeigt wurde, naschte das Geschwisterpaar allerdings nicht vom Hexenhaus, sondern hockte unter dem riesigen, mit Luft aufgeblähten Ballonrock der Kinderfresserin. Was die beiden Unglücksraben dort machten, blieb der eigenen Fantasie überlassen. Vermutlich aber erforschten sie die Genitalien der Hexe.

 
Landarbeiterinnen, hier noch in schwarzen Säcken. Foto: Siggi Mueller
 

Landarbeiterinnen, hier noch in schwarzen Säcken. Foto: Siggi Mueller

 

Das zumindest hätte in das Gesamtkonzept der hilflosen Inszenierung gepasst, die Hänsel (Iris Julien, Heike Heber) und Gretel (Freya Casey, Aki Hashimoto) auf die Fährte von Eros und Sex schickte. Wie es im Pressetext etwas ausweichend prüde hieß, werde das „Erwachsenwerden“ und die „Gefahr der Verlockung“ thematisiert. Und da stand sie also, die Hexe (Regine Jurda, Jennifer Crohns) – breitbeinig, vollbusig, in feuerroter Haarmähne. Selbst die Landarbeiterinnen, die noch in der Ouvertüre die Sensen schwangen, entledigten sich im weiteren Verlauf der Oper ihrer schwarzen Säcke, in denen sie gehüllt waren, und präsentierten sich in roten Kostümen und in Strapsen.

Alles drehte sich um „das Eine“, der 1975 geborene, von Luc Bondy geförderte Münchener Jungregisseur reduzierte die Frage nach dem Erwachsenwerden auf Dominas und Dirnen. Wie alle anderen Protagonisten kletterten und stiegen sie auf der „monumentalen Gebirgswelt“ (Pressetext), die eher als graues, karges, undefinierbares Irgendetwas in die Höhe strebte, herum (Bühnenbild: Bernhard Hammer). Das erwachsene Publikum im Festzelt freute sich, Jugendliche sah man so gut wie keine.

Das nahm auch nicht wunder, denn modern war dieses „Hexen-Einmaleins der Verführung“, so das Programmheft, nicht. Denn mit ein bisschen Strapse und Striptease macht man noch kein aktuelles Theater. Hirn hat die gute Idee, die Hexe aus dem Märchen ins Hier und Jetzt zu tragen, nicht genutzt. Es hätte sogar ein sozialkritischer Abend werden können, der gerade Jugendlichen mehr bringt als eine Bühnen-Schulstunde in Sexualkunde. Wie war das noch – ach ja, „Generation Praktikum“: Ausbeutung von Arbeitskraft. Nach der Schule lässt Arbeits- und Perspektivlosigkeit einen Abgrund klaffen, den die Politik und die Gesellschaft – völlig überfordert – nicht mehr aufzufangen vermögen.

Aus der Hexe hätte etwa eine Heuschrecke werden können, eine Verführerin zumindest, die dem Geschwisterpaar das Blaue vom Himmel lügt und sich um deren Zukunft nicht nur nicht schert, sondern sie aktiv zerstört. Einen entsetzlichen Zerrspiegel hätte Sebastian Hirn erwachsen lassen können, ein aufrüttelndes Erlebnis: Diese Chance hat er konsequent vertan, offenbar weiß der junge Hirn nichts von diesen brennenden Fragen. Sein Theater blieb platter, ahnungs- und phantasieloser Selbstzweck. Also wurde gelacht und gescherzt, nebenbei konnte man sich an einem „Bio-Wald-Bankett“ verköstigen, das von „Starköchin“ Sarah Wiener zubereitet wurde.

Freudig wurde gelöffelt, das Geschirr klapperte: Es dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, dass so eine Halli-Galli-Häppchenkultur vor allem störende Nebengeräusche produziert. Wenn auch noch eine klanglich reduzierte, neue Opernfassung präsentiert wird, sollte eigentlich tunlichst auf alles Störende verzichtet werden. Denn das Faszinierende dieser Aufführung war eben die kammer- und volksmusikalische Bearbeitung der Partitur aus der Feder der Komponistin Helga Pogatschar: Statt des großen romantischen Sinfonieorchesters musizierten insgesamt elf Musiker.

Geigen und Blechbläser wurden durch Blockflöte, Klarinette, Akkordeon, Cello und Hackbrett ersetzt, Celesta, Bass, Harmonium, Schlagwerk und sogar eine E-Gitarre ergänzten das völlig neue Instrumentarium. Mit viel Feingespür gestaltete Eva Pons die neu entstehenden Klangeindrücke. Auch gesanglich vermochte der Abend zu überzeugen, wenn die Sänger nicht gerade – über die „monumentale Gebirgswelt“ hechelnd – außer Atem waren. So schloss man also besser die Augen und genoss vor allem die vortreffliche musikalische Leitung von Pons: Humperdincks Märchenoper hat die gebürtige Homburgerin bereits 1998/99 während der Sommerakademie in Bad Orb sowie am Stadttheater Hof und am Staatstheater am Gärtnerplatz in München dirigiert, allerdings im Original.

 

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