Cavalli und Cicognini entwickelten eine spannende Intrige. Jason stellt der zornigen Ex-Geliebten eine Falle und beauftragt Herkules (Soon-Won Kang), sie heimlich ins Meer zu erwerfen. Doch der erwischt statt Hypsipyle die neugierige Medea. Diese wird jedoch von ihrem verlassenen Verlobten Ägeus aus dem Wasser gezogen und wendet sich ihm wieder zu. Inzwischen fliegt der Plan auf, und Hypsipyle gewinnt den blamierten Jason zurück, indem sie ihn eindringlich an die gemeinsamen Zwillinge erinnert. In „Giasone“ findet sich eine breite Spanne zwischen Tragödie und Komödie, zwischen aristokratischer Haltung und plebejischem Witz. Für Letzteren sorgen insbesondere die Dienerfiguren: Medeas Amme Delfa (Countertenor Martin Wölfel), Hypsipyles Untergebener Orest (Florian Plock) und Ägeus’ buckliger Diener Demo (darstellerisch besonders virtuos: Christian Dietz). Die Musik lebt von einer subtilen Mischung aus Rezitativen in freier Deklamation und ausdrucksvollen ariosen Einschüben. Im Arrangement des musikalischen Leiters Andrea Marcon werden die Rezitative nur von der Continuo-Gruppe begleitet. In den instrumentalen Zwischenspielen, teilweise entlehnt bei Cavallis deutschem Schüler Johann Rosenmüller, treten je zwei Violinen, Bratschen, Blockflöten und Zinken sowie Schlagwerk hinzu. Wie psychologisch genau Cavalli denkt, zeigt sich beim Stotterer Demo: Er verhaspelt sich in den Rezitativen, aber nie beim „richtigen“ Singen. Zugleich gibt er Anlass zu intertextuellen Anspielungen, die die Handlung sprengen. Als er auf „sol mi“ hängenbleibt, antwortet Orest ihm mit den damals gängigen Solmisationssilben „fa re“, und auf den Aussetzer „la bel“ stimmen beide spontan den Schlager „La bella traditrice“ an. Feinheiten wie diese würden untergehen, hätte Anouk Nicklisch nicht das Libretto sorgfältig übersetzt und auf in Inhalt und Tendenz genaue Übertitel geachtet. Die gewissenhafte Auseinandersetzung mit Text und Musik war eine der Tugenden der Regisseurin, die wenige Tage vor Probenbeginn mit nur 47 Jahren plötzlich an einer Sepsis starb. Bühnenbildner Roland Aeschlimann und die Regisseurin Andrea K. Schlehwein übernahmen es, die Produktion nach dem Vorbild von Nicklischs Klagenfurter Inszenierung von 2004 herauszubringen. „Unserem Haus“, schreibt Frankfurts Opernintendant Bernd Loebe im Programmheft zum Andenken, „hätte ihre Nachdenklichkeit, ihr Streben nach Form und Disziplin gutgetan. Aus ihrem zunächst kühlen, analytischen Blick auf Werke, Konzepte und Figuren wären hochemotionale Abende entstanden“. Andrea Marcon hält fest: „Als ganzes Team war es unser größtes Anliegen, der dramaturgischen Vision Anouks ein lebendiges Denkmal zu setzen.“ Wer Nicklischs Inszenierungen in den letzten Jahren erlebt hat, muss feststellen: Dies ist in der Tat gelungen. Einige Längen zu Beginn hängen mit ihrer Vorliebe für abstrakte Bühnenlandschaften zusammen. Vor einen Rundhorizont hat Roland Aeschlimann einen Kubus gesetzt. Aus dessen zunächst einziger Öffnung klettert Amor. Erst ganz allmählich entfaltet sich der Würfel zu den Seiten und nach innen. Durch die verschiedenartigsten Ornamente und Raumsegmente wird er dann zu einem verwirrenden und hintergründigen Erlebnis- und Erfahrungsraum für die Protagonisten. Feinsinnig, von kammerspielartiger Intensität, ist die Personenführung im (bis auf den etwas leisen Martin Wölfel) ausgewogenen Ensemble. Witzig gestaltet sind die Einsätze der Statisterie. Umso mehr bedauert man, dass die Chorpartien vom Band kommen. Andreas Hauff
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