Seit 1965 ist das Renaissanceschloss Weikersheim für die sommerlichen Opernaufführungen der Jeunesses Musicales Deutschland bekannt. In dieser Zeit hat sich der Internationale Opernkurs Schloss Weikersheim zu einem der renommiertesten Förderprojekte des Opernnachwuchses auf europäischer Ebene entwickelt. Dies zeigte sich auch diesen Sommer wieder einmal an der herausragenden Qualität der Solisten, die seit Monaten die anspruchsvollen Partien von Gioacchino Rossinis „La Cenerentola“ einstudiert hatten. Begleitet vom Bundesjugendorchester und unter der Leitung von Alessandro de Marchi absolvierten drei Besetzungen insgesamt neun Aufführungen in der Freiluftbühne im Schlosshof. Alessandro de Marchi gelang es, „La Cenerentola“ so leicht und federnd wie eine Barockoper klingen zu lassen, ohne das überschäumende Temperament der jungen Musiker zu sehr zu strangulieren. Und wer mit Rossini etwa gar Kitsch in Verbindung bringt, den belehrte die Inszenierung von Dominik Wilgenbus eines Besseren. Aschenputtel lehnt sich auf gegen ihr Schicksal als Leibeigene der eigenen Familie. Ihre unterwürfige Putzwütigkeit und ihre kostbaren Koloraturen sind das Kapital, das sie verzweifelt, aber mit perfektem Gespür für den richtigen Adressaten ins Spiel bringt. Bedenken, dass sich im Vergleich zu früheren durchaus experimentellen Musiktheaterwerken der Jeunesses Musicales in Weikersheim nur hinlänglich bekanntes Stadttheaterrepertoire breit macht, waren mit dieser lebendigen, zeitgenössischen und vor spielerischen Einfällen strotzenden Inszenierung schnell zerstreut: Regietheater im besten Sinne transportierte die altbacken-sentimentale Aschenputtel-Geschichte in die Gegenwart. Aschenputtel 2007 ist ständig im Status-Stress, und auch die Kopftuchdebatte wird hier aus mitteleuropäischer Sicht neu beleuchtet: das Kopftuch als das Attribut der Verlierer im Kampf um den sozialen Aufstieg. Nachdem dieser gelungen ist, gibt Cenerentola ihres an ihre Schwestern und den Vater ab und damit auch die Erniedrigung. Zumindest vorübergehend, denn indem sie ihnen das Kopftuch wieder abstreift, beweist sie die edle Größe, die man im Theater als moralischer Anstalt auch erwartet. Dragana Stankovic überzeugte als Cenerentola in jeder Hinsicht: vor allem aber mit einem expressiven Mezzospran, der dennoch keine Nuance feinster Verzierungskunst ungehört ließ. Sie mag als Beispiel dafür gelten, wie hoch das Niveau der jungen Sänger heute geworden ist – dies gilt ausnahmslos für alle Kollegen, die an diesem Abschlussabend mit ihr auf der Bühne standen. Insbesondere Rita Matas Alves und Hanna Larissa Naujoks als Clorinda und Tisbe überzeugten durch ihre Stimmen und trieben mit schauspielerischem Talent die Handlung voran. Sie spielten die Babydolls auf Männerjagd mit viel Witz und Sex-Appeal – Ingrid Steeger und Marilyn Monroe hätten es nicht besser gemacht (nur dabei nicht so perfekt Belcanto gesungen). Originell choreografierte Ensembles – Götz Hellriegel hat mit seinen jungen Musikern hier Großartiges geleistet – und der Einfallsreichtum von Wilgenbus, der von der Schlosskulisse bis hin zum Pferdegetrappel und instrumental erzeugtem Wiehern aus dem Orchester oder einer Blume als Taktstock für de Marchi wirklich alles in seine Inszenierung mit einbezog, sorgten für amüsante Unterhaltung mit Tiefgang. Die Jeunesses Musicales hatte die bisher geübte Praxis verworfen, den aus ganz Europa anreisenden jungen Solisten im Stile professioneller Opernhäuser kurze Vorsingen abzunehmen. Dominik Wilgenbus und Götz Hellriegel machten stattdessen seit November 2006 in mehreren Workshopterminen die Sänger fürs Vorsingen fit. Das Positive: Auch für die nicht Angenommenen hatte sich die Anfahrt gelohnt, und das abschließende Vorsingen konnte auf einem sehr hohen Niveau durchgeführt werden. Einzelne Partien wurden sogar dreifach besetzt. Gerade daraus entstand aber auch ein Nachteil: Welche Besetzung sollte denn nun die Premiere singen, wer war A-, B- oder C-Besetzung? Da entsteht unnötiger Stress für die Solisten, von denen selbstverständlich keiner als B- oder gar C-Sänger abgestempelt werden will. Auch wenn hier noch Verbesserungsbedarf besteht: Dirigent Alessandro de Marchi hatte die komplizierte „Maschine“ Rossini-Oper immer fest im Griff und ließ seinen jungen Protagonisten dennoch den Freiraum, der nötig ist, damit große Kunst entsteht. Dass er die jungen Musiker genauso forderte wie sonst seine Profis, war nicht zu deren Schaden. Die Junge Oper Weikersheim steht schließlich für Spitzenförderung. Wer hier besteht, der bleibt kein Aschenputtel des Musikbetriebs. Andreas Kolb
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