Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz hatte
zum 30. Mai zu einer Theaterkonferenz ins Anhaltische Theater Dessau
geladen,
die den Auftakt zu den Verhandlungen über die Landeszuschüsse
in den Jahren 2009 bis 2012 an die in Sachsen-Anhalt ausschließlich
kommunalen Theaterträger bilden sollte. Nur kulturell erfolgreiche Gesellschaften könnten auch ökonomisch erfolgreich sein, stellte Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, daraufhin lapidar fest. Es beruhe der Erfolg der französischen Küche nicht auf den Köchen, sondern auf den Gaumen der Speisenden. Kultur sei, korrigierte er den Minister, ein Optionsgut, eine Veranstaltung mit einem hohen Grad „gesellschaftlicher Pfadfindung“, ein „dem Airbag vergleichbares Vertrauensgut“, das der Investitionen bedürfe. Des Bühnenvereins Präsident, Klaus Zehelein, hieb in die gleiche Kerbe: Er verwies auf die rund 200 Haustarifverträge, die zum Erhalt der Theaterstandorte abgeschlossen wurden, und auf den seit 1992 erfolgten Personalabbau: von 45.000 Beschäftigten in Theatern und Orchestern seien nur noch 38.000 übrig geblieben. Die Kürzungspolitik der Länder und Kommunen müsse jetzt ein Ende haben, könne es angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs auch. Sachsen-Anhalt werde 2007 237 Millionen Steuer-Mehreinnahmen verbuchen. Theater sei ein unverzichtbares „Gehäuse eines gesellschaftlichen Gedächtnisses, in dem Vergangenheit aufgerufen und die gegenwärtig vorgestellte Zukunft verhandelt“ werde. Gleich Blum warnte er vor kurzfristigen Kosten-Nutzen-Rechnungen in der Kulturpolitik. Die Aktualität dieser ja beinahe schon rituellen Debatte erwies
sich wenig später. In der Nacht zum 9. Juni wurden in Halberstadt
fünf Mitglieder des Nordharzer Städtebundtheaters nach
der Premiere der „Rocky Horror Show“ von Neonazis überfallen
und krankenhausreif geprügelt. Natürlich nicht, weil
sie Schauspieler, sondern weil sie anders waren. Aber weil sie
Schauspieler waren, bekam der Vorfall ein besonderes, vor allem
medienträchtiges Gewicht. Die Politik entdeckte die politische
Dimension, die zivilgesellschaftliche Bedeutung des Theaters, selbst
wenn es nicht „Fidelio“ oder „Anne Frank“ spielt.
Halberstadts Oberbürgermeister, Andreas Heller, musste einräumen: „Eine
Gesellschaft, die an der Kultur spart, entwickelt eine Unkultur,
sie verroht.“ Die Verrohung einer alleingelassenen, perspektivlosen
Jugend ist das überwölbende Problem, in dessen Folge
dann erst die neonazistischen Horden in Halberstadt oder die in
Frankfurts S-Bahn die Fahrgäste anpöbelnden Jugendlichen
in Erscheinung treten. Heller will sich dafür stark machen,
die bereits beschlossene Kürzung der Betriebszuschüsse
für das Städtebundtheater, die faktisch seine Schließung
bedeuten würde, wieder rückgängig zu machen. Das
sollte dann auch das Land Sachsen-Anhalt honorieren, weil es sich
leisten muss, was es leisten muss. Ihr Stefan Meuschel |
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