Der Haken liegt – wie so oft – in der Dramaturgie. Der Ballettabend beginnt mit einer Exposition von hasserfüllter Trauer. Zusammengekauert, auf Boden und Körper einschlagend, versucht Reilly alias Hamlet vergeblich, sich den edel gelochten Pulli gleich einer ungewollten zweiten Haut abzustreifen. Es fällt ihm schwer, Ruhe zu bewahren. Seine Gefühle vor dem Grab des Vaters scheinen (zeitgleich zum hinausgezögerten Musikeinsatz) zu explodieren. In kraftvoll-vertrackten Sprüngen macht der virile Körper sich Luft, bevor ihn das Grauen erneut niederdrückt. Dabei verschmilzt O’Days klassisch fundiertes Schrittmaterial in Hamlets sich immer wieder ähnelnden Soli perfekt mit den akrobatisch-alltäglichen Allüren des zeitgenössischen Bühnentanzes. Schnell wird klar, dass der Raum – ein funktional-schlichtes Bühnenbild mit schwarzen Wänden, einem Podest auf halber Höhe, Türen und verhängten Durchsichten (Ausstatterin: Tatyana van Walsum) – für Hamlet (er verlässt die Szene so gut wie nie!) ein Gefängnis darstellt, in dem spioniert und intrigiert wird. Etwas länger dauert es, bis man das weitere Figurenpersonal durchschaut. Kaum Anhaltspunkte finden sich in den auf wenige Farben reduzierten Kostümen. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn Kevin O’Day stärker an den choreografischen Charakterisierungen gefeilt hätte. Gelungen ist ihm dies nur bei Rosenkranz und Güldenstern, dem unzertrennlichen Synchronpaar. Welche Fäden die beiden jedoch im Stück ziehen, bevor Hamlet sie gegen Ende in die Versenkung (Grab?) schubst, bleibt vage. So überwiegt im ersten, Handlung wie Personenkonstellationen einleitenden Ensemblebild das Rätselraten. Und der Pas de deux der Mutter Gertrud (wie immer souverän: Bridget Breiner) mit Hamlets Onkel Claudius (Jirí Jelinek) erschöpft sich zu „Sacre“-artig abgehackten Rhythmen vor dem eigentlich überflüssigen Wogen von vier Hofpaaren in Anspringen und Verdrehen, was offenbar leidenschaftliche Begierde demonstrieren soll. Das Potential an Interaktion und Konfrontation, das die literarische Vorlage hier bietet, wird verschenkt. Schade, denn als O’Day im zweiten Teil etwas davon nachholt, Claudius in einem Solo endlich die perfide Falschheit und angstvolle Zerrissenheit ausdrücken lässt, überzeugt die Kraft seiner Tanzsprache. Die stärksten Momente sind jene, in denen es Kevin O’Day gelingt, die umfangreiche Story zu verdichten und im Sinne einer nachvollziehbaren Tanzdramatik zu interpretieren. Laertes’ (Evan McKie zieht alle Register) Rückkehr an den Hof und seine Entdeckung der toten Angehörigen Ophelia und Polonius beispielsweise: die ganze Dimension einer fremdverschuldeten Familientragödie verpackt in ein großes Solo. Jason Reilly agiert in Bestform. Sein Hamlet darf sich erst gegen Ende in einen ergreifend-rasenden Aktionismus stürzen, nachdem er zu Beginn des zweiten Aufzugs verblüffend gut aufgelegt eine ganz in weiß gekleidete Hofgesellschaft zu jazzigen Vollklängen aus dem Orchester (Musik: John King) und zur Freude der Mutter übers Parkett dirigiert. Dabei geht im allgemeinen Partyfieber (auch Polonius und seine Tochter lassen sich mitreißen) der eigentliche Clou der Szene, nämlich die Überführung des Onkels durch das Nachspielen der Mordszene, fast unter. Dafür entschädigen mag das furiose Finale, in dem sich die Klingen auf Leben und Tod kreuzen und Gift jeden Funken an Hoffnung auslöscht. Der Verfall spiegelt sich im Bühnenhintergrund in der Projektion einer überdimensionalen porösen Skelettstruktur wider. Und wenn Horatio (Alexander Jones), der als einziger unbeschadet überlebt, mit zurückgenommener Gestik den mächtigen Halsring – das Symbol der Macht – neben Hamlets Leiche ablegt, steht zumindest eines fest: Diesem choreografischen Wagnis fehlt es an Tiefenschärfe. Vesna Mlakar |
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