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Eine Hauptrolle für den Kinderchor
Jörg Widmanns „Das Gesicht im Spiegel“ in Düsseldorf „Immer der Blick auf die Grafik, immer der Blick auf die
Börse“: In ihrer Konzentration auf Börsengewinne
ist Patrizia und Bruno die Liebe abhandengekommen. Um den drohenden
finanziellen Ruin ihres Unternehmens abzuwenden, hoffen sie auf
ihren Chefingenieur Milton, der an der Schöpfung des perfekten
Menschen arbeitet. Sein Experiment gelingt. Justine, Patrizias
Ebenbild und Klon, betritt die Szene.
Der Mythos der künstlich geschaffenen Frau ist das Thema von
Jörg Widmanns Oper „Das Gesicht im Spiegel“, die
in Düsseldorf Premiere hatte. Es kommt, wie es kommen muss: „Sie
ist so, wie Patrizia einmal war“, erkennt Bruno und verliebt
sich in den Klon der Frau, die er einmal geliebt hat. Besonders
die Liebes-szenen zwischen Bruno und Justine sind musikalisch von
einer zarten Emotionalität, die auch Opernbesuchern, die keine „Neue
Musik-Freaks“ sind, unter die Haut gehen dürfte. Die
Liebe währt nur kurz. Bruno stirbt bei einem Flugzeugabsturz,
Patrizia enthüllt die bis dahin verhängten Spiegel und
ihrer Nebenbuhlerin damit ihren wahren Ursprung. Justines Versuch,
ihrem Leben ein Ende zu setzen, muss aufgrund ihrer Künstlichkeit
scheitern, denn „sie kennt nicht den Verfall“. So muss
sie – erstarrt – im Leben verharren.
Szenisch (Gregor Horres) und musikalisch (Axel Kober) ist der
Düsseldorfer
Rheinoper hier etwas Besonderes gelungen – nicht zuletzt
den Gesangssolisten, denen nicht nur sängerisch, sondern auch
akrobatisch einiges abverlangt wird. Sarah Maria Sun (Patrizia),
Anett Fritsch (Justine), James Bobby (Bruno) und Stefan Heidemann
(Milton) leisten Großartiges. Weitere Hauptfigur: der Kinderchor.
(s. Interview). Das Foto (Hans-Jörg Michel) zeigt ihn in Aktion.
bh
Jörg Widman hat in seiner Oper „Das Gesicht im Spiegel“ neben
den Gesangssolisten einen weiteren Hauptakteur eingeführt:
den Kinderchor. Unmöglich, meint man. Wie sollen Kinderstimmen
diese anspruchsvolle Partie bewältigen? Die noch dazu so filigran
und präsent ist, dass man tatsächlich „alles hört“?
Der Kinderchor der Clara-Schumann-Musikschule unter der Leitung
von Justine Wanat hat die Skeptiker eines Besseren belehrt. Einen
Extra-Applaus schenkte das begeisterte Premieren-Publikum dieser
außergewöhnlichen Leistung, die – hörbar – einer
intensiven Vorbereitung und guten Chor-Ausbildung bedurfte. Justine
Wanat sprach mit „Oper & Tanz“ über Strukturen
und Methoden ihrer Kinder- und Jugendchor-Arbeit
Als sie vor etwa zehn Jahren an der Clara- Schumann-Musikschule
mit der Betreuung der Chöre begann, fand Justine Wanat, die
in Kattowitz Chorleitung und Klavier studiert hat und 1988 nach
Deutschland kam, eine Handvoll Kinder vor, die dort im Chor sang.
Inzwischen hat sie ein System aus Vor-Chor, Knaben-, Mädchen-
und Jugendchor errichtet und arbeitet mit mehreren Hundert Kindern.
Teil der Musikschularbeit ist auch ein Grundschulprojekt: Zweimal
in der Woche besucht Frau Wanat Grundschulen und arbeitet dort,
integriert in den Stundenplan, mit den Kindern der ersten bis vierten
Klasse. Die Arbeit mit den Jüngsten, so sagt sie, sei für
sie besonders wichtig.
Justine Wanat geht davon aus, dass fast alle Kinder in der Lage
sind, das Singen zu lernen und mehrstimmig im Chor zu singen. Aber
natürlich gibt es unterschiedliche Begabungen. „Für ‚Gesicht
im Spiegel‘ wurden Kinder ausgesucht, deren Stimmen einen
besonders schönen Klang haben und die es auch intellektuell
schaffen konnten, sich die Partie zu merken und sie musikalisch
zu verstehen.“ Das erste Erfolgskonzept heißt bei Wanat,
die Kinder zu begeistern und ihnen die Liebe zur Musik zu vermitteln. „Dann
können sie sehr viel erreichen“, sagt sie. Wichtig sei
es auch, dass sie früh anfangen, nicht nur die eigene Stimme
zu kennen, sondern auf das Ganze zu hören, auf die anderen
Chorstimmen und auf das Orchester. „Sie müssen das hören,
so, wie der Komponist es komponiert hat. Dann kann es nicht schiefgehen.“ Und
natürlich spielt die langjährige und kontinuierliche
Arbeit eine große Rolle. Neben einer zweistündigen Probe
in der Woche gibt es regelmäßig Wochenend-Proben, die
auch mal drei oder vier Stunden dauern können. Wie reagieren die Kinder auf die Neue Musik? „ Sie sind offen.
Sie stellen sofort Fragen, aber sie sagen nie: ‚Das geht
nicht‘, oder ‚Das gefällt mir nicht‘. Sie
lassen sich begeistern. Für ‚Gesicht im Spiegel‘ mussten
wir zwei zwölfstimmige Cluster hören und singen lernen.
Die Frage war: Wie singe ich meinen Ton zusammen mit den übrigen
elf? Wie höre ich das? Und wie mache ich dann daraus noch
Musik? Als sie es dann schließlich gut konnten, haben sie
tatsächlich die einzelnen Töne gehört! Es war sehr
spannend, ein bisschen wie eine spannende Mathe-Aufgabe. Musik
hat auch etwas mit Mathematik zu tun. Man muss sie erst mit dem
Verstand erfassen und dann erkennen, was der Komponist mit seiner
Musik wollte. Es war ein großes Abenteuer, für mich
und für die Kinder.“
Wie war der Kontakt mit dem Komponisten?
„Der Kontakt mit Komponisten ist für uns unglaublich inspirierend.
Man merkt, dass sie die Musik tatsächlich leben. Diese Oper
von Jörg Widmann stellte große Ansprüche an uns,
und trotzdem waren wir alle begeistert. Ich habe immer von einer
so anspruchsvollen Partie für den Kinderchor geträumt – und
ich wünschte mir, die Komponisten unserer Zeit würden
ihre Werke öfter mit so viel Liebe für den Chor schreiben.
Jörg Widmann war in zwei Proben dabei. An einigen Stellen
hat er natürlich Hinweise gegeben. Dieser direkte Kontakt
mit dem Komponisten war für uns etwas Besonderes. Ich habe
ihn gebeten: ‚Schreiben Sie noch etwas für uns‘,
und er hat gesagt: ‚Ja, unbedingt!‘“
Mit Justine Wanat sprach Barbara Haack
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