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In der Hölle von heute

Peter Konwitschnys „Gluck-Ring“ mit „Alkestis“ in Leipzig· Von Frank Kämpfer

Herkules, in Tigerfell-Leggins die Riesenkeule jonglierend, gibt das Signal: Zu Beginn des dritten Akts tritt ein Deus ex Machina auf den Plan. Die archaische Bühne wird zum TV-Studio, der Opferstein schwindet, der Chor der Bronzezeitmenschen verwandelt sich ins Publikum einer Live-Show. Der Orchestersound rückt jetzt ins Seichte, und der lächelnde Moderator – ein Florian Silber-eisen der Oper – zerrt jene Zwei vor die Kamera, die sich vor langer Zeit aus den Augen verloren oder noch nie wirklich sahen.

Christoph Willibald Glucks Oper „Alkestis“ – in Leipzig in einer Mischversion aus zwei Akten der Wiener und einem Akt der späteren Pariser Fassung gespielt – ist trotz umfassender Chor-Partien ein an äußerer Handlung reduziertes Kammerstück für nur zwei Protagonisten. Der patriarchale Herrscher Admetos kann darin nicht akzeptieren, dass Alkestis, ihres Zeichens Hausfrau, Gattin und Mutter seiner zwei Kinder, ihr Geschick selbst bestimmt. Der Komponist leistet hier Mitte des 18. Jahrhunderts seinen Beitrag zur zeitgenössischen Diskussion um Bild und Konstruktion der Geschlechter. Als Dramatiker wählt Gluck gemäß dem antiken Sujet den Extremfall: Admetos liegt unheilbar im Sterben, Alkestis opfert – entsprechend dem Deal-Angebot vermeintlicher Götter – ihr Leben für seines. Das Volk bricht in Jubel aus, der König reagiert auf die Liebestat seiner Frau mit Vorwürfen und Ignoranz.

Der Komponist weist dem Tyrannen hier eine Arie zu, die der belgische Tenor Yves Saelens zu einem auch darstellerisch überzeugenden Auftritt zu nutzen vermag. Die musikalische Form des Barock wird allerdings nur imaginiert; opernästhetisch ist Gluck längst auf einem anderen Weg. Anstelle des tradierten Wechsels dramatischer Rezitative und virtuoser, effektbezogener Arien bringt die Partitur neue komplexe Gebilde aus Accompagnati, Ariosi, Chören und instrumentalen Passagen, die geradezu impressionistisch ins Innere der Figuren und Konstellationen verweisen. Die lange Abschiedsszenerie der Titelfigur ist exemplarisch dafür – sie verlangt, im Wechsel zu resignieren und aufzubegehren; die italienische Sopranistin Chiara Angella wünscht man sich stimmlich wie darstellerisch allerdings noch etwas steigerungsfähig. Chor und Kinderchor waren vielfach gefordert und hatten an ihren szenischen Aufgaben sichtbaren Spaß. Das Gewandhausorchester unter der Leitung des kurzfristig eingesprungenen George Petrou wirkte zumindest in der Premiere bemerkenswert lauwarm und untheatral.

Peter Konwitschnys Versuch, der Partitur zu entsprechen, mangelt es an szenischen Mitteilungen, die tief ergreifend berühren. Die Szenerie der zwei Wiener Akte präsentiert den ums Opferfeuer gelagerten Chor reichlich konventionell, die Solisten agieren zu oft routiniert. Der mittlere Akt (Bühne Jörg Koßdorff) bietet Theatermaschinerie: Das Totenreich fährt aus dem Boden, gesichtslose Schatten beginnen, Alkestis (Kostüme Michaela Mayer-Michnay) mit Bändern blau zu umwickeln. Wie karg und doch beredt inszenierte Konwitschny eine vergleichbare Szene Glucks 1986 am Landestheater in Halle/Saale. Die Zwischenwelt der gesichtslos Bandagierten, in deren Mitte Orpheus verbotenermaßen Eurydike ansah, wirkte in der DDR subversiv, provokant. In „Alkestis“ indes scheint Aufwand vor Botschaft zu gehen. Das Arrangement mit einem lebendigen Schaf und dessen Double, aus dem Theaterblut fließt, ist ein Beispiel dafür. Auch im Satyrspiel, das die Regie im 3. Akt zu entfesseln versucht, vermittelt sich emotional nicht sehr viel. Unerwartetes, Utopisches kommt nicht in Gang. Vor der Kamera leisten Alkestis und Admetos immerhin einigen Widerstand, um das soeben noch seelisch Durchlittene nicht sofort bejubeln, das heißt vermarkten zu lassen. Die Metapher, TV-Shows als die Hölle von heute zu sehen, gibt außer Klamauk zu wenig her. Nur einmal, kurz vor der Pause, ist der politische Blick für Sekunden szenisch präzis: Alkestis’ Tod ist keine Sache von Göttern, sondern Ritual des Sozialwesens; die Frau wird erdolcht, um im TV-Drama aufzuerstehen. Konwitschny zeigt sie als Einzelne, die immense Kräfte entwickelt – was Gesellschaft gestern wie heute nicht toleriert.

Womöglich erhellen sich weitere Botschaften dieser neuen „Alkestis“ demnächst in einem größeren Kontext. Peter Konwitschny will in Leipzig binnen dreier Spielzeiten vier Gluck-Opern selbst inszenieren. Der Leipziger Chefregisseur und Dramaturgin Bettina Bartz planen gemeinsam eine Art „Gluckschen Ring“ parallel zu dem Richard Wagners. Nicht nur „Alkestis“, auch die zwei Iphigenien-Opern sowie „Armide“ sollen das Frauen-Opfer als Metapher und Basis unserer modernen Zivilwelt thematisieren.

Frank Kämpfer

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