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Qualität und soziales Engagement
Das Gauthier Dance Ensemble · Von Vesna Mlakar Eric Gauthier ist Tänzer, Choreograf und ein engagierter
Vermittler zeitgenössischer Tanzkunst. Sein Können nicht
nur auf der Bühne, für ein sozusagen „privilegiertes“,
zahlendes Publikum, zu zeigen, sondern auch Menschen in benachteiligten
Situationen und an ungewöhnlichen Orten zu bewegen, ihr Leben
durch Auftritte zu bereichern, ist ihm eine Herzensangelegenheit.
Warum? Weil er das Tanzen (neben seiner Musik als Leader und Singer-Songwriter
einer regional bekannten Rock- und Pop-Band) liebt und seit seiner
Kindheit praktiziert. Ein weiterer Grund, so vermutet Gauthier,
ist sein Vater Serge. Von Berufs wegen ein angesehener, auf Alzheimer
spezialisierter Neurologe, steht dieser in Montreal an der Spitze
einer wichtigen Forschungseinrichtung. „Als ich noch klein
war, spielte ich oft unter seinem Schreibtisch, wenn er Patienten
behandelte. Was ich dabei mitbekam, ließ mich nie wieder
los. Doch meine Bestimmung, solchen Menschen zu helfen, ist eine
andere als die eines Arztes.“
Von Kanada nach Stuttgart
1977 in Montreal in Kanada geboren, begann Eric Gauthier seine
Ballettausbildung bei „Les Grands Ballets Canadiens“.
Später wechselte er nach Toronto an die National Ballet School,
wo er zusätzlich noch Musik und Gesang studierte. Nach seinem
Abschluss sammelte er ab 1995 erste Bühnenerfahrungen beim
National Ballet of Canada. Als der damalige Direktor Reid Anderson
ein Jahr später dem Ruf nach Baden-Württemberg folgte,
durfte Gauthier ihn als einziger Nichtsolist begleiten. Beim Stuttgarter
Ballett, wo er jeder Rolle, die man ihm anvertraute, seinen unverwechselbaren
Stempel aufdrückte, avancierte er im Jahr 2000 zunächst
zum Halbsolisten und wurde zwei Jahre später zum Solisten
ernannt. Sein Choreografie-Debüt gab der Publikumsliebling
und gefragte Interpret 2005, als er das Forum der Noverre-Gesellschaft
Stuttgart für junge Nachwuchstalente nutzte.
Insgesamt elf Spielzeiten war Eric Gauthier beim Stuttgarter
Ballett unter Vertrag, bevor er sich – 2007 – den Traum von
einer eigenen Compagnie erfüllte: Gauthier Dance. „Tanz
für alle!“ lautet die Devise. Das perfekt auf klassischer
Basis trainierte achtköpfige Ensemble samt seinem Chef und
Ballettmeister Renato Arismendi nimmt diese Devise sehr wichtig. „Ich
versuche, hochkarätigen Tanz mit meinem Humor anzureichern“,
erklärt Gauthier, „denn Tanz muss doch nicht immer so
verdammt ernst sein“. Ein gelungenes Beispiel hierfür
ist seine originelle, witzig choreografierte Interpretation des
Kopfsatzes von Beethovens Sinfonie Nr. 5 in c-moll, an dessen Ende
der gefiederte Maestro von einer
immer aggressiveren Wolfsmusikermeute einfach gefressen wird („Orchestra
of Wolves“). Neben zahlreichen Eigenkreationen, die meist
sehr dynamisch, oft pointiert, manchmal lyrisch, bisweilen etwas überzogen,
parodistisch oder exaltiert, niemals jedoch verkopft oder inhaltslos
abstrakt sind, bemüht Gauthier sich, geeignete Stücke
und Neuschöpfungen renommierter Kollegen wie Mauro Bigonzetti,
William Forsythe, Jirí Kylián, Itzik Galili („The
Sofa“), Paul Lightfoot/Sol Léon („Susto“,
Deutsch: „Schrecken“) oder Hans van Manen einzukaufen. Viel gefragte Compagnie Für den Leiter des Theaterhauses Stuttgart und Regisseur Werner
Schretzmeier liegt das Geheimnis des Erfolgs darin, „dass
es Eric Gauthier mit seiner Compagnie gelingt, den Besuchern auf
höchstem tänzerischen Niveau Freude zu bereiten. Das
Publikum honoriert diese besondere Qualität, was sich in der
hohen Auslastung niederschlägt“. Viele Theater strecken
mittlerweile die Hände nach Gauthier aus. Doch der bleibt
dem Theaterhaus Stuttgart und dessen Aufgeschlossenheit für
soziale Projekte treu.
Koproduktionspartner der ersten Stunde war das Grand Théâtre
de Luxembourg. Seit Anfang 2009 gehört die Münchner SchauBurg
mit ihrem Kinder- und Jugendtheater mit jährlich zwei Gastspielen
ebenfalls dazu. Nach Sasha Waltz und dem niederländischen
Hans Hof Ensemble sorgt nun Gauthier Dance mit diversen, flexibel
kombinierbaren Programmen und zusätzlichen mobilen Vorstellungen
(wie zuletzt Anfang März in der Bayerischen Landesschule für
Körperbehinderte) für Furore. Das gilt vor allem auch
für das theatereigene Projekt „ViertelTakt“, das
ausgesuchte Produktionen an Tagesstätten in verschiedene Stadtviertel
der Landeshauptstadt exportiert.
Seitdem er das erste, fest am Theaterhaus Stuttgart verankerte
Tanzensemble leitet, verfolgt Gauthier konsequent zwei Ziele: Erstens,
ein interessantes, abwechslungsreiches zeitgenössisches Repertoire
für die regulären Theatervorstellungen aufzubauen, das
Menschen verschiedenster Altersgruppen anspricht und seine Tänzerinnen
und Tänzer fordert. Außerdem will er in einer zweiten,
mobil angelegten Schiene die Power des Tanzes unmittelbar an Kinder
und Jugendliche sowie Senioren und Behinderte heranbringen, die
keine Möglichkeit haben, Aufführungen zu besuchen. Das
breit angelegte Sozialengagement ist Bedingung für alle Truppenmitglieder.
Und die schwärmen trotz der häufig schwierigen Bedingungen
(Umziehen auf Toiletten oder im Geräteschuppen) und ihrer
schweißtreibenden Einsätze von der Direktheit, Spontaneität
und Herzlichkeit, der sie dabei – anders als im Theaterbetrieb
mit seiner Distanz zwischen Interpret und Auditorium – begegnen. „Man
fühlt sich wohl, wenn man etwas Gutes getan hat ...“
So oft es geht macht sich Gauthier Dance Mobil auf den Weg, um
Kids und Teenager für den Tanz zu mobilisieren. Besonderen
Wert legt Eric, der selbst stets als Energie und gute Laune versprühender
Animateur beziehungsweise Moderator fungiert, auf die Gespräche
zwischen den jungen Zuschauern und seinen aus verschiedenen Ländern
stammenden Tänzern. Auch in Altersheimen, Zentren für
Demenzkranke und Behinderte, Kranken- oder Waisenhäusern versucht
er, unter der Prämisse „Wenn ihr nicht zu uns könnt,
kommt Gauthier Dance Mobil zu euch!“ die Bewohner – zumindest
für eine Zeit lang – aus ihrem Alltag zu reißen. „Viele
Künstler stehen nur auf der Bühne und gehen nicht raus
in die Wirklichkeit. Vor allem Balletttänzer leben ja in einem
Mikrokosmos – ihr gesamtes soziales Umfeld besteht nur aus
Ballett. Wenn ich mit meinen Tänzern in sozialen Einrichtungen
auftrete, erlebe ich oft aufregendere Dinge als bei gewöhnlichen
Vorstellungen.“
Damit das auch funktioniert, hat er ein einfaches, sich zur finalen
Show in Kostümen steigerndes, in Teilen interaktives Konzept
erarbeitet, das Einblicke in den Tagesablauf der Tänzer mit
seinen unabdinglichen täglichen Trainingseinheiten gibt und
anhand je drei oder vier eigens angepasster Choreografien das meist
völlig unvorbereitete Publikum faszinieren soll. Mit aufschlussreichen
Erläuterungen und humorvollen Bemerkungen kommentiert Gauthier
vom ersten Plié bis zu den Sprungvariationen jede Übung
und veranschaulicht in gespielten Probensituationen den Entstehungsprozess
einer guten Performance. Minimalbedingungen hierzu sind eine freie
Fläche von zirka vier mal sechs Metern, etwas Strom für
die mitgebrachten Scheinwerfer und drum herum Platz zum Sitzen.
Kosten für die Veranstalter fallen keine an: Alle Mitglieder
von Gauthier Dance verzichten auf ihre Gagen. Das Motto „Zeit
ist Geld“ gilt hier nicht. Dafür stimmt das Konzept! Am Anfang der Karriere
Das Angebot ist bisher bundesweit einmalig, die Anfragen sind
enorm. „Mein
Schreibtisch quillt über vor lauter Anfragen – würden
wir auf alle eingehen, wäre Gauthier Dance Mobil ein Fulltime-Job!“ Eric
Gauthier lacht und fügt hinzu: „Was ja auch sehr schön
und erfüllend sein könnte.“ Noch aber sieht er
sich mit seinen gerade mal 33 Jahren am Anfang seiner Karriere
als Ballettdirektor und strebt eine Weiterentwicklung sowohl für
sich selbst, als Choreograf, wie auch für sein Ensemble an. „Ich
muss sehen, welche Wege wir in Zukunft gehen werden. Das Potenzial
ist noch lange nicht ausgeschöpft. 2007 legte Christian Spuck
mit seinem Duo für Egon Madsen und mich ‚Don Q. – Eine
nicht immer getanzte Revue über
den Verlust der Wirklichkeit‘ einen Grundstein. Nun werden
wir am 1. Juli sein abendfüllendes Tanzstück ‚Poppea//Poppea‘ uraufführen,
zu dem ihn Claudio Monteverdis letzte Oper ‚L’incoronazione
di Poppea‘ inspirierte.“
Im sozial-kulturellen Bereich glückte Eric Gauthier zuletzt
am 10. April ein weiterer Vorstoß. Seine erste Gala zugunsten
der Alzheimerforschung, an der sich zehn namhafte Compagnien aus
Stuttgart, Augsburg, Regensburg, München, Dresden, Rotterdam,
Mannheim, Pforzheim, Bern und San Sebastian (Spanien) beteiligten,
erbrachte einen Erlös von insgesamt 11.000 Euro. Die ansehnliche
Summe wurde dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim/Universität
Heidelberg überreicht.
Vesna Mlakar
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