Insgesamt elf Spielzeiten war Eric Gauthier beim Stuttgarter Ballett unter Vertrag, bevor er sich – 2007 – den Traum von einer eigenen Compagnie erfüllte: Gauthier Dance. „Tanz für alle!“ lautet die Devise. Das perfekt auf klassischer Basis trainierte achtköpfige Ensemble samt seinem Chef und Ballettmeister Renato Arismendi nimmt diese Devise sehr wichtig. „Ich versuche, hochkarätigen Tanz mit meinem Humor anzureichern“, erklärt Gauthier, „denn Tanz muss doch nicht immer so verdammt ernst sein“. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist seine originelle, witzig choreografierte Interpretation des Kopfsatzes von Beethovens Sinfonie Nr. 5 in c-moll, an dessen Ende der gefiederte Maestro von einer immer aggressiveren Wolfsmusikermeute einfach gefressen wird („Orchestra of Wolves“). Neben zahlreichen Eigenkreationen, die meist sehr dynamisch, oft pointiert, manchmal lyrisch, bisweilen etwas überzogen, parodistisch oder exaltiert, niemals jedoch verkopft oder inhaltslos abstrakt sind, bemüht Gauthier sich, geeignete Stücke und Neuschöpfungen renommierter Kollegen wie Mauro Bigonzetti, William Forsythe, Jirí Kylián, Itzik Galili („The Sofa“), Paul Lightfoot/Sol Léon („Susto“, Deutsch: „Schrecken“) oder Hans van Manen einzukaufen. Viel gefragte CompagnieFür den Leiter des Theaterhauses Stuttgart und Regisseur Werner Schretzmeier liegt das Geheimnis des Erfolgs darin, „dass es Eric Gauthier mit seiner Compagnie gelingt, den Besuchern auf höchstem tänzerischen Niveau Freude zu bereiten. Das Publikum honoriert diese besondere Qualität, was sich in der hohen Auslastung niederschlägt“. Viele Theater strecken mittlerweile die Hände nach Gauthier aus. Doch der bleibt dem Theaterhaus Stuttgart und dessen Aufgeschlossenheit für soziale Projekte treu. Koproduktionspartner der ersten Stunde war das Grand Théâtre de Luxembourg. Seit Anfang 2009 gehört die Münchner SchauBurg mit ihrem Kinder- und Jugendtheater mit jährlich zwei Gastspielen ebenfalls dazu. Nach Sasha Waltz und dem niederländischen Hans Hof Ensemble sorgt nun Gauthier Dance mit diversen, flexibel kombinierbaren Programmen und zusätzlichen mobilen Vorstellungen (wie zuletzt Anfang März in der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte) für Furore. Das gilt vor allem auch für das theatereigene Projekt „ViertelTakt“, das ausgesuchte Produktionen an Tagesstätten in verschiedene Stadtviertel der Landeshauptstadt exportiert.
Seitdem er das erste, fest am Theaterhaus Stuttgart verankerte Tanzensemble leitet, verfolgt Gauthier konsequent zwei Ziele: Erstens, ein interessantes, abwechslungsreiches zeitgenössisches Repertoire für die regulären Theatervorstellungen aufzubauen, das Menschen verschiedenster Altersgruppen anspricht und seine Tänzerinnen und Tänzer fordert. Außerdem will er in einer zweiten, mobil angelegten Schiene die Power des Tanzes unmittelbar an Kinder und Jugendliche sowie Senioren und Behinderte heranbringen, die keine Möglichkeit haben, Aufführungen zu besuchen. Das breit angelegte Sozialengagement ist Bedingung für alle Truppenmitglieder. Und die schwärmen trotz der häufig schwierigen Bedingungen (Umziehen auf Toiletten oder im Geräteschuppen) und ihrer schweißtreibenden Einsätze von der Direktheit, Spontaneität und Herzlichkeit, der sie dabei – anders als im Theaterbetrieb mit seiner Distanz zwischen Interpret und Auditorium – begegnen. „Man fühlt sich wohl, wenn man etwas Gutes getan hat ...“ So oft es geht macht sich Gauthier Dance Mobil auf den Weg, um Kids und Teenager für den Tanz zu mobilisieren. Besonderen Wert legt Eric, der selbst stets als Energie und gute Laune versprühender Animateur beziehungsweise Moderator fungiert, auf die Gespräche zwischen den jungen Zuschauern und seinen aus verschiedenen Ländern stammenden Tänzern. Auch in Altersheimen, Zentren für Demenzkranke und Behinderte, Kranken- oder Waisenhäusern versucht er, unter der Prämisse „Wenn ihr nicht zu uns könnt, kommt Gauthier Dance Mobil zu euch!“ die Bewohner – zumindest für eine Zeit lang – aus ihrem Alltag zu reißen. „Viele Künstler stehen nur auf der Bühne und gehen nicht raus in die Wirklichkeit. Vor allem Balletttänzer leben ja in einem Mikrokosmos – ihr gesamtes soziales Umfeld besteht nur aus Ballett. Wenn ich mit meinen Tänzern in sozialen Einrichtungen auftrete, erlebe ich oft aufregendere Dinge als bei gewöhnlichen Vorstellungen.“ Damit das auch funktioniert, hat er ein einfaches, sich zur finalen Show in Kostümen steigerndes, in Teilen interaktives Konzept erarbeitet, das Einblicke in den Tagesablauf der Tänzer mit seinen unabdinglichen täglichen Trainingseinheiten gibt und anhand je drei oder vier eigens angepasster Choreografien das meist völlig unvorbereitete Publikum faszinieren soll. Mit aufschlussreichen Erläuterungen und humorvollen Bemerkungen kommentiert Gauthier vom ersten Plié bis zu den Sprungvariationen jede Übung und veranschaulicht in gespielten Probensituationen den Entstehungsprozess einer guten Performance. Minimalbedingungen hierzu sind eine freie Fläche von zirka vier mal sechs Metern, etwas Strom für die mitgebrachten Scheinwerfer und drum herum Platz zum Sitzen. Kosten für die Veranstalter fallen keine an: Alle Mitglieder von Gauthier Dance verzichten auf ihre Gagen. Das Motto „Zeit ist Geld“ gilt hier nicht. Dafür stimmt das Konzept! Am Anfang der KarriereDas Angebot ist bisher bundesweit einmalig, die Anfragen sind enorm. „Mein Schreibtisch quillt über vor lauter Anfragen – würden wir auf alle eingehen, wäre Gauthier Dance Mobil ein Fulltime-Job!“ Eric Gauthier lacht und fügt hinzu: „Was ja auch sehr schön und erfüllend sein könnte.“ Noch aber sieht er sich mit seinen gerade mal 33 Jahren am Anfang seiner Karriere als Ballettdirektor und strebt eine Weiterentwicklung sowohl für sich selbst, als Choreograf, wie auch für sein Ensemble an. „Ich muss sehen, welche Wege wir in Zukunft gehen werden. Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. 2007 legte Christian Spuck mit seinem Duo für Egon Madsen und mich ‚Don Q. – Eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit‘ einen Grundstein. Nun werden wir am 1. Juli sein abendfüllendes Tanzstück ‚Poppea//Poppea‘ uraufführen, zu dem ihn Claudio Monteverdis letzte Oper ‚L’incoronazione di Poppea‘ inspirierte.“
Im sozial-kulturellen Bereich glückte Eric Gauthier zuletzt am 10. April ein weiterer Vorstoß. Seine erste Gala zugunsten der Alzheimerforschung, an der sich zehn namhafte Compagnien aus Stuttgart, Augsburg, Regensburg, München, Dresden, Rotterdam, Mannheim, Pforzheim, Bern und San Sebastian (Spanien) beteiligten, erbrachte einen Erlös von insgesamt 11.000 Euro. Die ansehnliche Summe wurde dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim/Universität Heidelberg überreicht. Vesna Mlakar |
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