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Der Wotan auf dem Grünen Hügel
Zum Tod von Wolfgang Wagner · Von Gerhard Rohde Noch einmal lenkte Bayreuth die Blicke der Welt, nicht nur der
musikalischen, auf sich. Nicht mit einer spektakulären Darstellung
eines der Werke Richard Wagners, sondern mit einem erinnerungsmächtigen
Abgang von der Lebensbühne: Am 21. März 2010 starb Wolfgang
Wagner, langjähriger Leiter der Bayreuther Festspiele und
Enkel Richard Wagners, im Alter von 90 Jahren in seinem Haus in
Bayreuth. Vor knapp zwei Jahren, zum 31. August 2008, hatte er
sein Amt als Festspielleiter niedergelegt, das er zunächst
gemeinsam mit seinem Bruder Wieland Wagner seit 1951, nach dessen
plötzlichem Tod 1966 in alleiniger Verantwortung ausübte.
Der lang währende Familienkrieg um die Nachfolge in der Leitung
der Festspiele, das grotesk unterhaltsame „Rein in die Kartoffeln,
raus aus die Kartoffeln“, das Wolfgang Wagner monatelang
mit Stiftungsrat, politischer und kunstinteressierter Öffentlichkeit
spielte, nur um die Nachfolge in seinem Sinne geregelt zu wissen,
muss hier nicht noch einmal nacherzählt werden. Derartige
Querelen gehören nun einmal zum Charakteristikum des Wagner-Clans.
Schließlich hat Urvater Richard allen den „Ring des
Nibelungen“ gleichsam als Leitfaden fürs aufregende
Leben komponiert. Was als weiterwirkendes Vermächtnis von
Wolfgang Wagner Bestand haben wird, ist relativ schnell zu beschreiben.
Das materielle Fundament der Festspiele ist durch Wolfgang Wagners
Verhandlungsgeschick, Zielstrebigkeit und Zähigkeit, durch
die Stiftungsstruktur sowie Überführung der Leitung in
eine GmbH auf lange Zeit gesichert. Neubeginn mit Neu-Bayreuth
Wer die künstlerische Geschichte der Wagner-Festspiele nach
dem Zweiten Weltkrieg betrachtet, kann Wolfgang Wagner und seinem
Bruder Wieland Hochachtung und Bewunderung nicht versagen. Nach
den unheilvollen Verstrickungen Bayreuths und der Familie Wagner
in den Nationalsozialismus (auch das könnte man als „Ring“-Syndrom
analysieren), gelang es Wieland und Wolfgang Wagner mit „Neu-Bayreuth“,
mit der „Entrümpelung“ des szenischen Erscheinungsbildes
der Aufführungen, die Werke Richard Wagners vom historisierenden
Ballast zu befreien, den intellektuellen, philosophischen, geistesgeschichtlichen
Ursprung der Handlungen und Thematiken offenzulegen. Wielands scharfer
Intellekt war dabei die treibende Kraft, doch wer Wolfgangs eigene
Inszenierungen als nur altbacken abzuqualifizieren versuchte, hat
sie entweder gar nicht gesehen oder nicht genau genug hingeschaut.
Wolfgang Wagner kannte die Stücke sehr genau, nur beließ er
sie in ihren formalen Proportionen und ihrer Erzählstruktur.
Im Zeitalter eines häufig sinnlos entfesselten Regisseurstheaters,
das inzwischen auch die Bayreuther Festspiele erreicht hat, wollen
einem manche Arbeiten Wolfgangs geradezu stilbildend erscheinen
in ihrer ruhigen szenisch-theatralischen Entfaltung.
Dass Wolfgang Wagner gleichwohl die Notwendigkeit sah, die Wagner-Szene
einer ständigen Neudeutung und Ausforschung zu unterziehen,
das hat er mehr als hinreichend durch die Verpflichtung wichtiger
Regisseure aus aller Welt betrieben. Die Großtaten hießen:
der „Jubiläums-Ring“ von 1976 mit dem französischen
Team Patrice Chéreau und Pierre Boulez, der „Fliegende
Holländer“ von Harry Kupfer (1978), davor Götz
Friedrichs „Tannhäuser“ von 1972 – Inszenierungen,
die auf die Wagner-Interpretation vieler Musikbühnen in aller
Welt einwirkten. Mit bewunderungswürdiger Hartköpfigkeit
hat Wolfgang Wagner diese Aufführungen auch gegen die heftigsten
Proteste der Alt-Wagnerianer verteidigt. In die „Werkstatt
Bayreuth“ ließ er sich nicht hineinreden. Bedeutung der Ensembles
Neben dem Regisseur Wolfgang Wagner und dem souveränen Administrator
der Festspiele gab es noch eine dritte Person: den väterlichen
Intendanten Wolfgang Wagner, der sich Anteil nehmend um seine Künstler
und deren Sorgen kümmerte. Und er wusste auch, dass der weltweite
Ruf der Festspiele auf zwei wichtigen Säulen ruhte, die in
den hektischen Diskussionen über Regieeinfälle und extravagante
Bühnenbilder in Kritiken und Gesprächen gerne übersehen
werden: das fabulöse Festspielorchester und der einmalige
Festspielchor, der den Aufführungen immer wieder eine beeindruckende
Klangbasis bereitstellt. Die Chordirektoren Wilhelm Pitz, Norbert
Balatsch und heute Eberhard Friedrich haben es, jeder zu seiner
Zeit, Jahr für Jahr verstanden, aus der Vielzahl der verpflichteten
Chorsänger ein homogenes, klangmächtiges und geschmeidig
singendes Chorensemble zu formen. Wolfgang Wagner wusste, was er
an „seinem Chor“ hatte. Und sein Chor wusste, was Bayreuth
für das künstlerische Wertgefühl bedeutete: die
höchste Steigerung. Der von der Vereinigung deutscher Opernchöre
und Bühnentänzer 1984 gestiftete Wilhelm-Pitz-Preis,
den mit den Festspielen besonders eng verbundene Künstler,
Sänger, Dirigenten erhalten, demonstriert die ebenfalls besonders
enge Verbundenheit der Opernchorsänger mit den Festspielen.
Der erste Träger des Wilhelm-Pitz-Preises hieß übrigens
Wolfgang Wagner. Wie könnte es anders sein. Gerhard Rohde
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