Mit neuen Ideen der Krise begegnen
Musiktheater in den USA am Beispiel der Met · Von Joachim
Gerth
Die Finanzkrise und das Vorzeigeopernhaus der USA, die Met in
New York – es scheint, als gebe es da keinen Zusammenhang.
Ausverkaufte Vorstellungen, gute und teure Sängerinnen und
Sänger, herausragende Dirigenten und exzellente Orchesterleistungen
lassen darauf schließen, dass die finanziellen Rahmenbedingungen
an diesem führenden Opernhaus stabil sind. Über die Höhe
der öffentlichen Mittel, die die Met erhält, schweigen
sich die Verantwortlichen – auch auf mehrfache Nachfrage – allerdings
aus. Joachim Gerth hat sich in New York über aktuelle Inszenierungen,
die neuen medialen Vermittlungsformen und das Finanzierungsmodell
der Met durch Sponsoren informiert.
Peter Gelb, der Intendant der Met, hat das Ziel, eine jüngere
Generation an das Genre Oper heranzuführen und zu regelmäßigen
Opernbesuchern zu machen. Er „inszeniert“ die Premieren
als Events mit Star-Gästen wie Martha Stewart, Billy Joel,
Ed Norton, Diane von Fürstenberg oder der legendären
Licia Albanese. Das Repertoire wurde durch eine Reihe interessanter
moderner Stücke in der Inszenierung von neuen kreativen Regisseuren
erweitert. Dazu zählt etwa das Engagement von Broadway-Produzenten
wie Jack O’Brien und Bartlett Sher in aktuelleren Produktionen
wie „Il Tabarro“ oder „Gianni Schicchi“ und „Hoffmanns
Erzählungen“.
In den USA sind Koproduktionen mit anderen Opernhäusern üblich.
Neben Eigenproduktionen bietet die Met also Koproduktionen zum
Beispiel mit der Wiener Staatsoper, mit der Oper Aix-en-Provence
oder der Amsterdamer Oper und der Mailänder Scala an. Daneben
gibt es Produktionen, die von anderen Häusern ausgeliehen
werden. Met – Opernaufführungen in HD Medien spielen eine bedeutende Rolle in Gelbs Plan, neue Zuschauerschichten
anzuziehen. Seit er die künstlerischen Geschicke des New Yorker
Opernhauses lenkt, hat er ein neues Projekt entwickelt, das die
technischen Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt. Weltweit
werden in Kinos Opernproduktionen gezeigt, live und in hochauflösender
Qualität – auch in Deutschland. So präsentiert
die Met in der Saison 2009/2010 zum Beispiel Publikumsrenner wie „Hoffmanns
Erzählungen“ oder „Carmen“. Zugang erhält
man über ein Abonnement, das mindestens 125 Dollar kostet.
Wer 200 Dollar oder mehr zahlt, erhält zusätzlich eine
DVD aus der neuen HD-Produktionsserie. Auf jeden Fall ist der Abonnent
ein Jahr lang Bezieher des „Opera News Magazine“ und
kann an besonderen Führungen in der Met und an Einführungsvorträgen
teilnehmen.
Die Gewerkschaften im Haus, die jeder Sonderaktivität ihre
Zustimmung geben müssen, waren mit dieser besonderen medialen
Aktivität einverstanden. Die Gewerkschaftsmitglieder werden
am Ende der Saison nach einem festgelegten Schlüssel am Profit
dieser Aktivitäten beteiligt. Dies gilt im Übrigen für
alle Radio- und Fernsehaktivitäten der Met. „Live“ ist in diesem Zusammenhang tatsächlich live. Das
bedeutet, dass das Bühnengeschehen mit einer Vielzahl von
Kameras – für die Zuschauer weitgehend verdeckt – gefilmt
und übertragen wird. Finanziert wird diese HD-Präsenz
zu 50 Prozent durch die Abonnenten und Kinobesucher. Die zweite
Hälfte tragen eine Stiftung und ein Unternehmen, die Bloomberg
Company. Die HD-Produktionen haben weltweit für einen Anstieg
der Rezipienten gesorgt: In 44 Ländern haben zirka 2 Millionen
Zuschauer auf 1.000 Leinwänden Met-Produktionen angeschaut. Das HD-Projekt soll auch dazu dienen, junge Menschen zu erreichen.
Aus diesem Grund wird es ausgewählten Schulen in 18 Städten
der USA angeboten, die den Opernabend entweder in ihrer Schule
verfolgen können oder aber Zugang zum nächstgelegenen
Kino haben. Dieses Programm ist für die Schüler kostenlos
und wird ebenfalls gesponsert. Begleitet wird die Aktivität
durch ausführliche, schriftliche Unterrichtsmaterialien. Mit
diesem Modell beschreitet die Met innovative Wege, die auch hierzulande
für den Musikunterricht in der Schule diskutiert werden sollten. „Rush Tickets“
Unter der Intendanz Peter Gelbs wurden weitere Ideen entwickelt,
um neue Zuschauer in die Met zu holen. Zu den besonders erfolgreichen
Initiativen gehören die „Varis Rush Tickets“,
die an jedem Werktag genau zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn
angeboten werden: Jeden Tag werden so kurzfristig bis zu 200 Karten
zu einem Preis von 20 Dollar pro Ticket verkauft. Dieses Programm
führt dazu, dass nicht nur die Zuschauerschaft wächst,
sondern dass auch Opernliebhabern, die sich den Besuch eigentlich
nicht leisten könnten, das Live-Erlebnis ermöglicht wird. Sponsoring
Zum 125. Geburtstag der Met im Jahr 2010 gibt es einen millionenschwer
ausgestatteten Fonds, in den einzelne Familien bis zu 30 Millionen
Dollar zahlen. So spenden Mercedes und Sid Bass jeweils 30 Millionen,
die Annenberg Foundation 10 Millionen Dollar. Minimum für
diesen Fonds ist eine Spende von 1 Million Dollar. Diese große
Anzahl von zirka 45 Mäzenen sorgt dafür, dass neue Produktionen,
neue innovative Medienprogramme oder HD-Initiativen möglich
werden.
Daneben gibt es einen Rat für herausragende künstlerische
Leistungen, dessen Mitgliederspenden zwischen 250.000 und 1 Million
Dollar liegen und der das Engagement herausragender Künstler
ermöglicht. Dieser Rat ist in die künstlerische Konzeption
einbezogen. Zusätzlich gibt es Unterstützer für
bestimmte Produktionen, für Premieren oder die Wiederaufnahme
besonders aufwändiger Produktionen. „The Golden Horseshoe
Circle“ umfasst zirka 60 Mäzene, die über 3 Jahre
mit je 200.000 Dollar für die finanzielle Stabilität
des Betriebs der Met sorgen, um den hohen künstlerischen Standard
zu halten.
Weitere Sponsoren, die zwischen 150.000 und 1 Million Dollar
bezahlen, decken die Rundfunkübertragungen und deren Aufwand ab. Die
Namen dieser sehr zahlreichen Sponsoren werden auf einer Website
veröffentlicht. Für das Metropolitan Opernorchester gibt
es einen Fonds für Spenden ab einem Betrag von 5.000 Dollar.
Für HD-Übertragungen in Schulen stehen Sponsoren bereit,
die zwischen 5.000 und 500.000 Dollar beisteuern. Darüber hinaus verfügt die Met über einen großen
Zirkel von „fellows“ und „major donors and patrons“,
die jeweils zwischen 5.000 und 50.000 Dollar spenden. Diese haben
einen besonderen Ticketservice. Sie dürfen eine eigene Lounge
nutzen und haben Zugang zu besonderen Kostümproben. Eine Gruppe
von zirka 1.000 Freunden der Met hat die „Encore Society“ gegründet
und unterstützt die Met durch Vermächtnisse.
Das amerikanische Steuersystem erlaubt Steuerersparnisse bei
Spenden an Wohltätigkeitsorganisationen, Schulen, Krankenhäuser
und künstlerische Organisationen. Ein Sponsor wird für
sein Engagement zunächst und grundsätzlich eine Organisation
wählen, die ihn oder sie interessiert. Sofern ein Opernhaus
unterstützt wird, ist also die Liebe zum Genre „Oper“ vermutlich
vorhanden.
Die Darstellung zeigt, dass die Abhängigkeit amerikanischer
Opernhäuser von privaten Sponsoren enorm groß ist. Auch,
wenn die Met bisher in der Krise gut überlebt, hat diese durchaus
Auswirkungen auf die Situation der Häuser in den USA. So musste
schon im Jahr 2008 das erste Opernhaus, die Opera Pacific in Santa
Ana in Kalifornien, dichtmachen. Andere Häuser klagen über
den Rückgang der Eintrittseinnahmen und der Sponsorengelder – und
ziehen entsprechende Konsequenzen bei ihrer Personal- und Programmpolitik.
Die Met lebt – noch – auf einem anderen Stern.
Joachim Gerth
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