Was haben Eyjafjallajökull, musikalische Bildung und das
Sorbische Nationalensemble Bautzen außer einer sie nebulös
umgebenden, schier undurchdringlichen Wolke gemeinsam?
Sie alle haben einen Aus- oder Zusammenbruch hinter sich:
der Vulkan hat es unter Beweis gestellt, indem er Europa im wahrsten
Sinne
des Wortes die Flügel gestutzt und beispielsweise mich in
Barcelona festgesetzt hat. Die Bildungsdemontage, wie z.B. beim
Abbau des Musikunterrichts an Berliner Schulen, ignoriert die Feststellungen
der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und widerspricht
allen politischen Lippenbekenntnissen zur Stützung der kulturellen
Bildung. Das sorbische Musiktheater, das stellvertretend für
sehr viele unmittelbar oder mittelbar infolge der Finanzkrise strauchelnde
kulturelle Institutionen steht, sieht sich vor dem Hintergrund
einer notwendigen Neuausrichtung dem sozialen und künstlerischen
Kahlschlag ausgesetzt. Die Folgen dieser Ereignisse sind unvorhersehbar, unvermeidbar
hingegen scheint der jeweilige Eintritt derselben nicht gewesen
zu sein. Denn alle genannten Beispiele vereint vor allem Eines:
Bei allen wusste man über die zugrunde liegende Problematik, über
die Ursachen lange schon Bescheid, und bei allen wurde über
Jahre hinweg wider besseres Wissen nichts getan, um der Gefahr
vorzubeugen. Nun aber gibt es die große Überraschung,
in der mit blindem Aktionismus, nicht jedoch mit besonnener Reflektion
gehandelt wird. Die Folge: unwiederbringliche Verluste wirtschaftlicher
und kultureller Errungenschaften.
Die Aschewolke des Vulkans als einen „außergewöhnlichen
Umstand“ zu bezeichnen, aufgrund dessen der komplette europäische
Luftraum gesperrt werden musste, scheint angesichts der seit über
zwanzig Jahren vorliegenden Erkenntnisse in diesem Umfang nicht
ernsthaft gerechtfertigt. Vielmehr macht es das Versagen der Verantwortlichen
deutlich, die notwendigen Recherchen anzustellen, rechtzeitig Vorkehrungen
zu treffen und einvernehmlich Grenzwerte festzulegen. Der
Abbau der musikalischen Bildung steht sinnbildlich für
den Verfall der kulturellen Werte, sozusagen als Kollateralschaden
der Finanzkrise. Alle Bemühungen, dem entgegenzuwirken, scheinen
mit fadenscheinigen Begründungen schon im Ansatz vereitelt
zu werden. Wird hier die Basis für die Erziehung aufgeklärter
kritischer Geister zerstört, auf dass sie sich mit einer verödenden
Kulturlandschaft zufrieden geben?
Und die Sorben, denen seit Jahren Untätigkeit ob ihrer strukturellen
Probleme vorgeworfen worden ist, verlieren ihre Identität
aus den Augen, indem sie durch übereilte drastische Kürzungen
die künstlerische Leistungsfähigkeit der letzten die
darstellende sorbische Kultur tatsächlich praktizierenden
Institution infrage stellen.
Dabei könnten solche Ereignisse/Katastrophen auch genau das
Gegenteil bewirken: Dazu anzuhalten, über neue Wege nachzudenken
und an alternativen Lösungen kreativ zu arbeiten. Wer - wie
ich - in Barcelona in einer auf den ersten Blick aussichtslosen
Situation strandet, weil sich die Welt ohnmächtig dem Erstarren
der modernen Reisewege hingibt, kann dies auch als Chance sehen,
andere Lösungswege zu finden. Wenn Flug, Zug, Bus oder Mietwagen
nicht funktionieren, so kann man sich immer noch auf die Solidarität
und Loyalität seiner Mitmenschen besinnen. Es gibt immer einen
Weg, und wenn dies bedeutet, wie in meinem Falle per Anhalter von
B(arcelona) nach B(erlin) zu gelangen, um an den Berliner Tarifverhandlungen
teilnehmen zu können.
Wir können immer neue Wege gehen, wenn wir sie gemeinsam gehen,
indem wir flexibel bleiben und die Energien fokussieren. Die Einfallslosigkeit
darf die rechtzeitige und ernsthafte Suche nach perspektivischen
Lösungsmöglichkeiten mit der nötigen Kreativität
nicht überschatten. Wir sind darauf angewiesen, in diesen
schwierigen Zeiten weiter um den Erhalt unserer (kulturellen) Werte
zu kämpfen und nicht abzuwarten, bis unvorhersehbare Folgen
eintreten. Gerrit Wedel
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