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Rezensionen

Martin Schläpfer: Abschied und Neuanfang

Bettina Trouwborst, Martin Schläpfer. Mein Tanz, mein Leben, Henschel Verlag 2020, mit zahlr. Abb., 200 S., 30 Euro

Martin Schläpfer geht über die leere Bühne des Düsseldorfer Opernhauses und blickt in einen Zuschauerraum, dessen Sitze mit weißem Stoff abgedeckt sind: Zeichen dafür, dass derzeit nichts mehr geht im (Tanz-)theater. „Das ist fast wie eine Inszenierung. Wenn man es für ein Stück wollte, kriegte man es nicht hin“, lautet sein Kommentar: „Strange…“

Bettina Trouwborst, Martin Schläpfer. Mein Tanz, mein Leben, Henschel Verlag 2020, mit zahlr. Abb., 200 S., 30 Euro

Bettina Trouwborst, Martin Schläpfer. Mein Tanz, mein Leben, Henschel Verlag 2020, mit zahlr. Abb., 200 S., 30 Euro

Eigentlich hatte das Ballett am Rhein eine Abschiedsgala für seinen scheidenden Leiter geplant und wollte noch einmal „choreografische Meilensteine aus dem reichen Œuvre des Schweizer Künstlers“ zeigen. Das alles war nicht möglich, und so fand das Haus eine andere Möglichkeit, sich von Schläpfer zu verabschieden, Dank zu sagen und einen guten Start für den Neuanfang in Wien zu wünschen: den Film, „b.ye“, mit Ausschnitten aus Ballettkreationen der letzten elf Jahre, mit Abschieds- und Dankesworten von Begleiter/-innen, Freundinnen und Freunden – und mit Uraufführungen dreier kurzer Ballettkreationen von Ballettdirektor Remus Şucheană. Für ihn habe die Zeit in Düsseldorf/Duisburg künstlerisch das Erwachsenwerden bedeutet – nach der erfolgreichen Zeit in Mainz, so Schläpfer. Und: „Ich gehe, weil ich denke, ich habe noch die Kraft für einen Schritt.“ Bewegend die vielen Dank- und Freundschaftsbekundungen von Menschen, mit denen Schläpfer gearbeitet hat. Bewegend auch die Kreationen von Şucheană: Wenn Paare, jeweils getrennt durch Plexiglasscheiben, zur Musik von Händels „Sarabande“ über die Bühne schweben, ist dies Ausdruck des „Social Distancing“, das derzeit auch die Kunst verändert.

Neben dem Film ist im Henschel Verlag ein Buch erschienen: In „Mein Tanz – mein Leben“ spricht die Journalistin Bettina Trouwborst mit Martin Schläpfer über sein künstlerisches Schaffen, über seine choreografischen Ideen, über sein Leben. Sie nähert sich dem vielseitigen Künstler auf verschiedenen Wegen, befragt ihn nach seinem Werdegang als Tänzer und Choreograf. Der Leser erfährt von den Krisen, den Umwegen, die ihn von seiner Tänzerkarriere, die er bereits im Alter von 27 Jahren beendete, zur Position des Ballettdirektors erst nach Bern, dann nach Mainz, schließlich nach Düsseldorf brachten. Offen redet er über seine Gefühle, seine Ängste, über den Unterschied zwischen dem Alleinsein und der Einsamkeit des „Chefs“.

„Dieser Choreograf hat weit über seine Kunst hinaus den Menschen im Blick, die globalen Zusammenhänge von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft – und ihre Auswirkungen auf unser Leben. Genauso treiben ihn die philosophischen Fragen des Seins um. Schläpfer ist auch ein Unbequemer, Unberechenbarer, der gerne streitet, der anders und weiter denkt.“ So charakterisiert Bettina Trouwborst ihren Gesprächspartner im Vorwort. Tatsächlich präsentiert sich Schläpfer als politischer Künstler. „Ja, es ist möglich, heute unpolitische Kunst zu machen“, sagt er. „Aber sie muss dann so schön sein, dass sie fast göttlich ist. Oder sie muss Hoffnung geben.“ Er selbst bezieht mit seinen Choreografien durchaus politisch Stellung – ohne die „Schönheit“ außer Acht zu lassen. Auch im Gespräch wird er, der aus einem „sehr politischen Elternhaus“ kommt, immer wieder politisch, spricht sich gegen Rassismus, gegen die Zerstörung der Natur, gegen Diskriminierung von Frauen aus.

Auch um ästhetische Fragen des Tanzes und der Kunst geht es im Gespräch zwischen Schläpfer und Trouwborst – und schließlich um die Zukunft. Seinen Alterssitz stellt er sich im Tessin vor, wo er einen Stall in einen Wohnsitz umbaut. Zunächst aber geht es nach Wien, wo er sich das Ende der Debatte erhofft, „ob ein Werk ein Klassiker ist, Traditionspflege, Rekonstruktion oder eine zeitgenössische Arbeit“. Auch seine Ideen für die Leitung der Wiener Ballettakademie, die durch den Missbrauchsskandal in Verruf geraten ist, erklärt er im Gespräch. Und schließlich: „Ich muss in Wien nicht glücklich werden. Ich bin auch in Bern und Mainz nicht glücklich gewesen und in Düsseldorf auch nicht. Ich bin glücklich im Beruf und brauche keinen bestimmten Ort, um erfüllt zu sein.“

Bettina Trouwborst jedenfalls ist überzeugt: „Wien ist zu beneiden.“

Barbara Haack

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