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Aktuelle Ausgabe

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Im toten Winkel der Gesellschaft?

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Der Theater-Staffellauf fürs Klima und das Netzwerk „Performing for Future“

Ein Fest fürs Auge
Die „freien“ Tanzcompagnien der Komischen Oper und der Deutschen Oper in Berlin

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Etwas bringt Dich dorthin …
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Zwischen Schein und Wirklichkeit
Das Theater und die Illusionskunst

Die Maschine und die Ästhetik im Barock
Aus „Poiesis der Maschine“

Ein Traum von Wirklichkeit
Überlegungen anlässlich eines Besuchs in der Theaterstadt Meiningen

Dance Machines
Spitzentechnologie als Kulturtechnik

Die Fabrik der Träume
Wie Opernwerkstätten Illusionen erzeugen. Ein Besuch beim Bühnenservice Berlin

Täuschende Illusionskraft
Über die Darstellung von Massenszenen im Musiktheater

Machen Sie mal den Lachstest
Gedanken über das „illusionistische Komponieren“

Digitale Landschaften
„Beyond Lightscapes“, ein zukunftsweisendes Projekt in Neubrandenburg

Berichte

Aus Japan und Sibirien
„Madame Butterfly“ und „Sibirien“ bei den Bregenzer Festspielen

Das Wunder der Musik
Musiktheater bei den Salzburger Festspielen

Von Utopie und Scheitern
Richard Wagner und Ernest Chausson bei den Tiroler Festspielen Erl

Wagner-Marathon in Leipzig
Mit 13 Bühnenwerken Richard Wagners beendet Ulf Schirmer seine Intendanz

Ein Teil der deutschen Kultur
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Spielpläne 2022/2023

Berichte

Das Wunder der Musik

Musiktheater bei den Salzburger Festspielen

Der Weltlage entkommen im Jahr 2022 nicht einmal die Salzburger Festspiele. Ilija Trojanow hat in seiner Eröffnungsrede auf die Allgegenwart des Krieges hingewiesen, mit Teodor Currentzis‘ russischen Verwicklungen hat man sich halbwegs auseinandergesetzt – doch als das Opernprogramm erst einmal rollt, bleibt die Tagespolitik draußen.

Das kann man Eskapismus nennen oder, barmherziger, einen Schutzreflex. Dafür ist von pandemiebedingten Vorsichtsmaßnahmen wenig zu merken – aber vielleicht ist es Corona geschuldet, dass die Chöre so wenig in Erscheinung treten.

Il barbiere di Siviglia

Rolando Villazón jedenfalls schenkt seinem Publikum einen Abend Leichtigkeit. Mit Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ hat er sein Salzburger Regiedebüt gegeben. Seine überbordenden Ideen bündelt er auf der Metaebene: Zur Ouvertüre schaut ein – hinzuerfundener – Arbeiter in Blaumann im Depot eines Hollywood-Studios Filme aus den Goldenen Zwanzigern an. Größter Star: eine gewisse Ceci B. Artoli. Schon das ist tempo- und anspielungsreich und sehr komisch. Über den ersten Akt hinweg zündet Villazón einen Gag nach dem anderen, alle aus der Musik heraus erfunden und perfekt platziert – ein paar weniger hätten es aber auch getan.

„Il barbiere di Siviglia“ mit Nicola Alaimo (Figaro), Edgardo Rocha (Il Conte d’Almaviva), Cecilia Bartoli (Rosina), Arturo Brachetti (Arnoldo), Alessandro Corbelli (Bartolo), dem Philharmonia Chor sowie der Statisterie der Salzburger Festspiele. Foto: SF/Monika Rittershaus

„Il barbiere di Siviglia“ mit Nicola Alaimo (Figaro), Edgardo Rocha (Il Conte d’Almaviva), Cecilia Bartoli (Rosina), Arturo Brachetti (Arnoldo), Alessandro Corbelli (Bartolo), dem Philharmonia Chor sowie der Statisterie der Salzburger Festspiele. Foto: SF/Monika Rittershaus

Das eigentliche Wunder aber ist die Musik. So brillant und phantasievoll, so präzise in Phrasierung und Artikulation hat man den guten alten „Barbiere“ lange nicht gehört. Der Dirigent Gianluca Capuano hat sich intensiv mit den Quellen beschäftigt, und das hört man seinen Musiciens du Prince-Monaco deutlich an. Das Continuo nutzt die Freiheit der Rezitative in atemberaubender Weise, das Ensemble um Cecilia Bartoli krönt die Aufführung mit Virtuosität, Spielwitz und Empfindung. Und im zweiten Akt findet auch die Regie zu einem stringenteren Erzählfluss.

Il trittico

Wie Rossini und doch ganz anders bezieht sich auch Puccini in „Il trittico“ auf die Commedia dell’arte. Für die Salzburger Produktion hat der Regisseur Chris-tof Loy die Farce „Gianni Schicchi“ an den Anfang gesetzt. Was die Frage aufwirft: Wie hängen die drei Teile denn nun zusammen? Übervater Dantes bündige Stadien „inferno – purgatorio – paradiso“ eignen sich da gar nicht schlecht als Leitfaden.

Für die so unterschiedlichen Einakter eignet sich Loys geradliniger Stil, weil er Assoziationsräume offenlässt und auf die Kraft der Werke vertraut. Mit leichter Hand arrangiert Loy das Gewusel und Geheuchel der habgierigen Verwandten in „Gianni Schicchi“. Der einzig wahrhaftige Moment gehört der Sopranistin Asmik Grigorian als Lauretta, die das „O mio babbino caro“ schier in den Himmel hebt.

„Suor Angelica“ mit Asmik Grigorian (Suor Angelica). Foto: SF/Monika Rittershaus

„Suor Angelica“ mit Asmik Grigorian (Suor Angelica). Foto: SF/Monika Rittershaus

In den beiden folgenden Stücken singt Grigorian die Hauptrollen. Seit sie 2018 in Salzburg als Salome debütierte, schlägt sie die Menschen in den Bann mit der Kompromisslosigkeit ihres Ausdrucks, der Souveränität und vor allem Wandelbarkeit ihrer Stimme. Den tödlich endenden Liebeskonflikt in „Il tabarro“ verkörpert sie furchterregend intensiv. An ihr liegt es nicht, dass vor dem Showdown bei den knirschend naturalistischen Schilderungen romantischer Sehnsüchte und unentrinnbarer Armut der Spannungsbogen bisweilen durchhängt. Vielleicht hätte es die Tänzer nicht gebraucht, die Loy den ohnehin zahlreichen Figuren beigesellt. Selbst nach dem hochdramatischen „Il tabarro“ hat Grigorian noch die Reserven für die lyrische Partie der „Suor Angelica“ zur Verfügung. In Angelicas Auseinandersetzung mit ihrer kaltherzigen Tante (kraftvoll und düster gesungen von Karita Mattila), die der Nonne nach Jahren gleichsam nebenbei die Nachricht vom Tod ihres Söhnchens überbringt, formt Grigorian mit wenigen, aber starken Gesten das Porträt einer Mutter, der das denkbar Schlimmste widerfahren ist.

„Il trittico“ ist die erste Puccini-Opernaufführung in Salzburg überhaupt. Lange galt die Tonsprache des Italieners als süßlich-kitschig und nicht satisfaktionsfähig. Im Graben des Großen Festspielhauses nun führen Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker vor, welche emotionale Dichte entstehen kann, wenn man diese Tonsprache ernst und genau nimmt.

Zauberflöte

Mozarts „Zauberflöte“ gehört natürlich zum Kernrepertoire der Festspiele. Lydia Steier hat ihre Inszenierung von 2018 umgestaltet. Geblieben ist die Rahmenhandlung mit Königin der Nacht und Sarastro als Eltern der drei Knaben. Die Kinder bilden in dieser Lesart das Zentrum zusammen mit Roland Koch als ihrem Großvater, der ihnen die Handlung der „Zauberflöte“ als Gutenachtgeschichte vorliest. Ein gelungener Kniff, um den Inhalt der Dialoge zu raffen und das Geschehen gleichsam mit den Augen der Kinder zu verfolgen. Und es geschieht ganz schön viel. Auch bei der Adaption für die Bühne im Haus für Mozart hatte Steier offenkundig keine Scheu vor optischer Überwältigung. Der Revue-Charakter ist geblieben. Sarastros Priester sehen aus wie die grauen Herren aus Michael Endes „Momo“, Nummerngirls tanzen als Gemüse, und Papageno scheint zu den Brathähnchen, die er bei der Köchin abliefert, eine erotische Beziehung zu haben. Steier inszeniert derlei Klamauk pointensicher und kontrastiert ihn mit Bildern aus dem Ersten Weltkrieg von Blut, Leid und Tod, die im Laufe des Abends immer präsenter werden. Die sind natürlich der Aktualität geschuldet. Was das alles mit der so deutungsoffenen „Zauberflöte“ zu tun haben soll, bleibt allerdings unklar. Der Konflikt zwischen Königin der Nacht und Sarastro als Ausgangspunkt für einen Waffengang, das ist als Assoziation so oberflächlich wie viele von Steiers Ideen.

Musikalisch bleiben dafür kaum Wünsche offen. Regula Mühlemann spielt und singt Pamina mit silbern fließendem Timbre als zupackende junge Frau statt als Opfer. Sarastro klingt bei Tareq Nazmi bis in die tiefsten Lagen tonschön und souverän. Die drei Wiener Sängerknaben machen ihre Sache szenisch wie stimmlich hervorragend. Und die Wiener Philharmoniker können das Stück natürlich vorwärts und rückwärts, klingen unter Joana Mallwitz trotzdem nicht routiniert, höchstens etwas konventionell.

Kátja Kabanová

Einen Kontrast zu Steiers Reizüberflutung setzt Barrie Kosky. Ausgerechnet er, der doch sonst szenisch gern groß auffährt, verzichtet für Leoš Janáčeks düstere „Kátja Kabanová“ auf jegliche Ablenkung. Die Requisiten sind an einer Hand abzuzählen, das Bühnenbild besteht in einer Mauer von Menschen, die den Protagonisten den ganzen Abend lang den Rücken zukehren. Hier geht es um das Seelenleben eines Menschen: Eine unterdrückte Ehefrau verliebt sich in einen anderen und zerbricht an dem, was sie – wie die Dorfgemeinschaft – für eine Todsünde hält. Koskys Personenführung zeichnet das haarfein nach, und das Ensemble geht mit ihm an und über die Grenzen des seelisch Erträglichen. Evelyn Herlitzius legt alle Grausamkeit und Kälte von Kátjas Schwiegermutter in ihren bayreuthgestählten Sopran. Auch von ihrem Mann kann Kátja keinen Beistand erwarten. Einzig ihre Schwägerin Varvara versteht sie. Die Mezzosopranistin Jarmila Balážová verleiht der Figur Herz, Verstand, Plastizität und ein Selbstbewusstsein, das der Hauptfigur fehlt.

In der Titelrolle dieser Tragödie erweist sich Corinne Winters als Extremdarstellerin. Für Kátjas emotionale Parforcetour hat sie nichts als die übergroße Bühne und ihren Körper – und den hochsensiblen Jakub Hrůša, der mit den Wiener Philharmonikern Janáčeks feingewirkte Landschafts- und Seelenbilder zum Leuchten und Flirren bringt. Gemeinsam machen sie deutlich: Das Schicksal dieser einfachen Frau ist universell. Mehr kann man vom Genre Oper nicht verlangen.

Verena Fischer-Zernin

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