Schwerpunkt: ILLUSION & BÜHNE
Etwas bringt Dich dorthin …
Serge Honegger im Gespräch mit Jordi Roig
Jordi Roig wurde im spanischen Lleida geboren. Bereits in früher Kindheit beschäftigte er sich unter dem Einfluss seines Vaters, der für seine ballettbezogenen Gemälde berühmt gewesen ist, mit Bildender Kunst und Plastik. Er studierte die Fächer Bühnenbild und Marionettenwesen am Institut del Teatre de Barcelona und ließ sich außerdem zum Tänzer ausbilden.
Skizze von Jordi Roig zu „Dornröschen“ am Berliner Staatsballett (Choreografie: Marcia Haydée nach Petipa; Bühne und Kostüme: Jordi Roig)
1987 beendete er seine Tänzerlaufbahn, um sich ausschließlich seiner Arbeit als Bühnen- und Kostümbildner zu widmen. Seine künstlerische Arbeit brachte ihn in Kontakt mit zahlreichen renommierten Regisseuren und Choreografen; zu den Institutionen und Ensembles, die ihn verpflichteten, zählen das Stuttgarter Ballett, die Wiener Staatsoper, das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, die Semperoper Dresden, Les Ballets de Monte Carlo, Introdans, die Deutsche Oper Berlin, das Züricher Ballett, das Teatre Nacional de Catalunya oder die Staatsoper Unter den Linden. Serge Honegger, Dramaturg des Bayerischen Staatsballetts, hat sich mit Jordi Roig über seine Arbeit über das Schaffen von Illusionen unterhalten.
Serge Honegger: Das Kreieren einer Illusion ist für viele Bühnen- und Kostümbildner immer wieder ein wichtiges Thema. In Deiner Arbeit für Ballettproduktionen weltweit scheint es mir aber ganz besonders ausgeprägt zu sein. Stimmt der Eindruck?
Jordi Roig: Ich kann das nicht so genau sagen. Ich mache einfach Dinge, die mir gefallen und die mich interessieren. Auf dem Weg ergibt sich dann ein Resultat, von dem ich hoffe, dass die Leute im Publikum auch Freude daran haben werden.
Honegger: Ich gehe aber davon aus, dass die Choreografen, mit denen Du zusammengearbeitet hast, wie Edward Clug, Marcia Haydée, Vladimir Malakhov, Goyo Montero, Heinz Spoerli, Victor Ullate oder Renato Zanella, Dich aus einem ganz bestimmten Grund angefragt haben, Bühnenräume und Kostüme für ihre Inszenierungen zu entwerfen.
Bühnenbild „Dornröschen“ am Berliner Staatsballett (Choreografie: Marcia Haydée nach Petipa; Bühne und Kostüme: Jordi Roig). Foto: Jordi Roig
Roig: Da müsstest Du die Leute selber fragen, was den Ausschlag gab, dass sie sich für meine Ästhetik interessierten. Dass ich sehr oft Ballette ausgestattet habe, hat sicher damit zu tun, dass ich über meinen Vater, der ein bekannter Maler und Zeichner war, sehr früh mit der Ballettwelt in Kontakt kam. Er hatte sich in seiner Arbeit intensiv mit dem Tanz als Ausdrucksform auseinandergesetzt. Er begleitete als Zeichner und Aquarellist Ballettproduktionen und nahm mich immer wieder zu Proben und Aufführungen mit. Über ihn lernte ich auch die Musik dieses Genres kennen, die für mich bis heute zentral ist, wenn ich Entwürfe für ein neues Stück anfertige. Dieses Wissen prägt meine Arbeit und beeinflusst mit Sicherheit auch die Art, wie ich das gestalte, was man eine „Bühnenillusion“ nennt.
Honegger: Wenn wir über „Illusionen auf der Bühne“ sprechen, was umfasst das eigentlich?
Alle Fotos von Jordi Roig: Bühnenbild „Dornröschen“ am Berliner Staatsballett (Choreografie: Marcia Haydée nach Petipa; Bühne und Kostüme: Jordi Roig).
Roig: Ich würde sagen, dass damit alles gemeint ist, was uns glaubhaft erscheint, wenn wir eine Aufführung anschauen. Es ist das Gesamtbild, das uns an einen Ort zu transportieren vermag, den wir als Illusion akzeptieren.
Honegger: Ich weiß, dass der in diesem Frühjahr verstorbene Bühnenbildner Ezio Frigerio für Dich einen wichtigen Fix-punkt darstellt. Er hat ein Werk geschaffen, das möglicherweise auf Dich genau einen solchen „ergreifenden“ Effekt hatte, wie Du es gerade beschrieben hast.
Roig: Das kann man sicher so sagen. Mir imponiert, wie er mit Räumen, Proportionen, Farben und Licht umging.
Er hat übrigens in seinem wunderbaren, kurz vor seinem Tod erschienenen Buch mit dem Titel „Io sono il mago“ („Ich bin der Zauberer“, Anm. d. Red.) beschrieben, wie er zu den Illusionen auf der Bühne steht. Zwar gibt er darin keine wirklichen Geheimnisse preis, aber man kann nachvollziehen, wie ein künstlerischer Weg zustande kommt und weshalb ein Bühnenbildner zu diesen oder jenen Lösungen gelangt.
Honegger: Hast Du seine Arbeit besonders intensiv studiert?
Alle Fotos von Jordi Roig: Bühnenbild „Dornröschen“ am Berliner Staatsballett (Choreografie: Marcia Haydée nach Petipa; Bühne und Kostüme: Jordi Roig).
Roig: Ich habe mir einfach sehr viele Produktionen von ihm angeschaut, von Oper über Ballett bis zum Sprechtheater. Nicht alle gefielen mir gleich gut, aber ich fand immer einen Moment, der mich staunen ließ und bei dem ich mich fragte, wie er wohl auf die Lösung gekommen war. Ezio Frigerio hat wirklich etwas von einem Theatergenie. Er konnte aber auch auf radikale Weise Kritik üben. Er hatte da einen Riecher für Dinge, die funktionieren, und für solche, die es eben nicht tun. Er war ein Zauberer.
Honegger: Du hast Dich nicht nur mit seinen Bühnenbildern befasst, sondern Ihr wart auch persönlich miteinander bekannt.
Roig: Ja, wir standen für viele Jahre in einem engen Austausch. Wir hatten wohl gerade deswegen ein besonderes Verhältnis, weil ich ihm nie assistierte. Ich habe seine Arbeit als meine ganz eigene, persönliche „master class“ über viele Jahre verfolgt, und ich denke, wir haben in vielerlei Hinsicht eine künstlerische Verwandtschaft.
Honegger: Wo siehst Du diese ganz konkret?
Roig: Ich würde sagen, dass sie im Zusammenspiel der Elemente liegt und in der Art der Bezugnahme auf die Vergangenheit. Ezio Frigerio war begeistert von architektonischen Strukturen vergangener Epochen. Er hat daraus Räume geschaffen, die aussehen, als seien sie aus der Realität auf die Bühne „kopiert“, natürlich auf seine ganz unnachahmliche Art.
Honegger: Das Kopieren verbindet man nicht zuallererst mit einem künstlerisch-eigenständigen Vorgang ...
Alle Fotos von Jordi Roig: Bühnenbild „Dornröschen“ am Berliner Staatsballett (Choreografie: Marcia Haydée nach Petipa; Bühne und Kostüme: Jordi Roig).
Roig: Es hängt von der Art ab, wie man diesen Transfer gestaltet. Denn man kann die Formen nicht eins zu eins auf die Bühne bringen, sondern muss sie eine Verwandlung durchlaufen lassen. Dieser Prozess hat letztlich nichts mit Kopieren zu tun hat, sondern funktioniert nur mittels Gestaltungsprinzipien, denen auch ich mich in meiner Arbeit als Bühnenbildner verpflichtet fühle. Ich nehme mir die Freiheit, die Formen in den Dienst einer Handlung, einer Choreografie, einer Inszenierung zu stellen, wodurch sie ein ganz neues Leben erhalten. Sie wirken dann glaubhaft, wenn es mir gelingt, die Illusion zu vermitteln, das Bild könne nur so und nicht anders sein.
Honegger: Wie muss man sich den Gestaltungsprozess genau vorstellen?
Roig: Es handelt sich um eine Art Spiel, auch wenn es bisweilen ein anstrengendes und nervenaufreibendes ist. Ich höre die Musik, habe eine Vorstellung, was sich der Choreograf vorstellt, und kenne die Produktionsbedingungen am Theater. Um eine bestimmte Atmosphäre zu kreieren, lege ich eine Sammlung an Bildern an, wähle aus, bringe die Elemente zusammen, verändere sie, kreiere eine neue Ordnung und suche Verbindungen, bis sich ein stimmiger Gesamtklang ergibt. Warum dann genau ein Bild auf der Theaterbühne funktioniert, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Letztendlich ist es aus meiner Sicht eine individuelle Intuition, die sich nur schwer in Worte fassen lässt, die über Gelingen oder Scheitern entscheidet. Etwas bringt Dich dorthin ...
Honegger: Die Illusion kommt also dadurch zustande, dass wir als Zuschauer in der Aufführung einem Bild gegenübersitzen, das „stimmig“ oder „organisch“ daherkommt?
Roig: Ja, so kann man das beschreiben. Denn was für eine technische Kon-
struktion dahinter steht, welche Überlegungen genau zum Endresultat geführt haben, spielt zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr. Das Bild steht da und muss für sich selbst sprechen können.
Honegger: Ist dieses Kreieren eines „stimmigen Bildes“ etwas, das man lernen kann?
Roig: Ich glaube nicht. Das Spielen mit den Räumen, das Gewinnen von Sicherheit in Bezug auf Bühnenlösungen entwickelt sich im Verlauf der Arbeit an konkreten Produktionen. Und ganz bestimmt muss ein Interesse für bestimmte Phänomene vorhanden sein, bei denen man sich dazu entscheidet, sie weiter zu verfolgen, sie genauer zu untersuchen oder sie neu herzustellen. Wenn es Illusionen sind, die einen fesseln, dann sind es Illusionen, und man muss dem nachgehen.
Honegger: Illusionen stellen im Theater bis heute eine wichtige Kategorie dar, auch wenn die technisch-visuellen Möglichkeiten des Films jene der Bühne überholt haben.
Roig: Das würde ich nicht so sagen. Denn eine Aufführung spielt sich in Realzeit ab und kann nicht wiederholt werden. Ein solches Ereignis hat für mich seit meinen ersten künstlerischen Versuchen, als ich mich für das Marionettentheater interessierte, bis heute nichts von seinem Zauber verloren.
Honegger: Ungeachtet dessen, dass Du den Theaterbetrieb von innen kennst und die Bedingungen vielleicht nicht immer ideal sind?
Roig: Ein wenig Desillusionierung gehört doch zum Leben dazu. Aber wenn ich mit meiner achtjährigen Tochter ins Theater gehe, dann kann ich durch ihre Augen jene Wirkung des Theaters, uns über Illusionen zu fesseln, ganz ungefiltert miterleben.
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