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Aktuelle Ausgabe

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Im toten Winkel der Gesellschaft?

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Der Theater-Staffellauf fürs Klima und das Netzwerk „Performing for Future“

Ein Fest fürs Auge
Die „freien“ Tanzcompagnien der Komischen Oper und der Deutschen Oper in Berlin

Wagner für das „Volk“
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Serge Honegger im Gespräch mit Jordi Roig

Zwischen Schein und Wirklichkeit
Das Theater und die Illusionskunst

Die Maschine und die Ästhetik im Barock
Aus „Poiesis der Maschine“

Ein Traum von Wirklichkeit
Überlegungen anlässlich eines Besuchs in der Theaterstadt Meiningen

Dance Machines
Spitzentechnologie als Kulturtechnik

Die Fabrik der Träume
Wie Opernwerkstätten Illusionen erzeugen. Ein Besuch beim Bühnenservice Berlin

Täuschende Illusionskraft
Über die Darstellung von Massenszenen im Musiktheater

Machen Sie mal den Lachstest
Gedanken über das „illusionistische Komponieren“

Digitale Landschaften
„Beyond Lightscapes“, ein zukunftsweisendes Projekt in Neubrandenburg

Berichte

Aus Japan und Sibirien
„Madame Butterfly“ und „Sibirien“ bei den Bregenzer Festspielen

Das Wunder der Musik
Musiktheater bei den Salzburger Festspielen

Von Utopie und Scheitern
Richard Wagner und Ernest Chausson bei den Tiroler Festspielen Erl

Wagner-Marathon in Leipzig
Mit 13 Bühnenwerken Richard Wagners beendet Ulf Schirmer seine Intendanz

Ein Teil der deutschen Kultur
Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue in der Komischen Oper

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Chordirigentenpreis – BAG-Urteil Arbeitszeiterfassung – NV Bühne-Manteltarifverhandlungen

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Berichte

Von Utopie und Scheitern

Richard Wagner und Ernest Chausson bei den Tiroler Festspielen Erl

Erl mit seinem ausgebaut „alten“ Passions- und daneben hypermodernen Festspielhaus versteht sich als „Wagner-Hochburg“ und liegt bildschön ländlich vor den Bergen. Boshaft könnte man die alte Regel zitieren „Was der Bauer nicht kennt…“: Wag-ners „Walküre“ ausverkauft – aber eine Menge Karten für den Tristan-nahen „Le Roi Arthus“ des französischen Wagnerianers, häufigen Bayreuth-Pilgers und Assistenten der „Parsifal“-Uraufführung: Ernest Chausson (1855-1898).

Mitten in der Hochindustrialisierung des 19. Jahrhunderts wandten sich viele Künstler dem Mythos als Gegenwelt zu – so auch der aus gutbürgerlichem Haus stammende Chausson. Er durfte sich nach dem Jura-Studium ganz der Musik und Komposition widmen – und war selbstkritisch genug, um sich jenseits aller Begeisterung wortwörtlich zu „de-wagnerisieren“. Also griff er den keltischen Arthus-Mythos auf, die Idealität der „Tafelrunde“ – und kam um die allzu irdische Liebe zwischen Königin Genièvre und Ritter Lancelot nicht herum.

„Le Roi Arthus“. Foto: Xiomara Bender

„Le Roi Arthus“. Foto: Xiomara Bender

Prompt durchzieht Tristanisches alle Szenen, bis hin zu einem glutvollen Duett; dann folgen Genièvres verzweifelter Selbstmord und Lancelots todesverschattete Begnadigungsbitte zu Arthus‘ Füßen: Er will nicht als Rebell sterben. Leider verwechselte Tenor Aaron Cawley all das mit einem Lautsing-Wettbewerb. Er gewann, zuungunsten der Partie. Da sich Regisseurin Rodula Gaitanou und Ausstatter „takis“ an „Game of Thrones“ in Kostümen, Waffen und Felsenlandschaft orientierten, erwies sich ein bühnengroß bespielter Ring trotz hochfahrenden Mittelteils zu wenig als Signal für die legendäre „Tafelrunde“, eher als Deko-Ersatz für ausstrahlungsarme Personenregie. Doch dann gelungene, ja große Eindrücke: Karsten Januschke machte mit dem Festspielorchester in Großbesetzung Chaussons Komposition, von Impressionismus bis Vulkan-Dramatik, erlebbar. Anna Gablers Genièvre vereinte Liebesglut und Liebesleid.

Im Schlussteil belegten zwei Vokalkünstler und der Chor, dass Chausson weit über einen „Kelten-Tristan“ hinausweist: Zwar signalisieren spiegelbildlich angelegte Kostüme von Arthus und „Zauberer“ Merlin einen Hauch von „alter ego“ – ausgeführt war diese Idee nicht. Dafür verstrahlte der Südafrikaner Kabelo Lebyana Merlins Weltwissen-Souveränität mit ruhig strömender Stimmfülle und ernster Würde. Doch übertroffen wurde er vom Frankfurter Ensemblemitglied, dem Bariton-Hünen Domen Križaj: Da wurden weise Entscheidungskraft, humane Wärme und trauernde Einsicht in eine Welt, die „nicht so ist…“, in differenzierten Farben und abgestufter Expression zu Klang, da leuchtete die Hoffnung auf eine andere Weltordnung als unsere „…des Faktischen“ auf. Beider große Szene wurde zum Höhepunkt des Abends – und dann zauberte der Festspielchor die Verklärung und Entrückung des idealen Königs „sphärisch“ in den Raum (Einstudierung Olga Yanum), während für den jungen Slowenen Križaj dieses anrührende Porträt der Durchbruch in die erste Reihe seines Fachs sein sollte.

„Die Walküre“. Foto: Xiomara Bender

„Die Walküre“. Foto: Xiomara Bender

Während die Premiere von Rossinis „Bianca e Falliero“ wegen Corona ausfiel, geriet die Neuinszenierung der „Walküre“ zum anderen Höhepunkt des Erler Festspielsommers. „Wagner-Rausch“-Fans mäkelten über zu wenig „power“ in Erik Nielsens Dirigat, wo doch das Festspielorchester im Passionsspielhaus auf großer Tribüne hinter der Bühne sitzt und loslegen soll. Doch im Gegensatz zu früherer Orchester-Dominanz mit „18er-Besetzung“ setzt das Erler Team um Intendant Loebe, Chefdirigent Nielsen und Regisseurin Fassbaender auf „Anti-Brüll“-Textverständlichkeit und damit „14er-Besetzung“. Schon das ging musikdramatisch überzeugend auf.

Dann faszinierten Werk und Solisten – weil ihnen Brigitte Fassbaender eben kein „Konzept“ übergestülpt, sondern den menschlich-dramatischen Inhalt bitter ernst genommen hatte. Aus der breiten Spielfläche mit sehr begrenzten technischen Möglichkeiten, aber direkt vor dem Publikum hat die Wagner-, „Fricka“- und „Waltraute“-erfahrene Bri-
gitte Fassbaender faszinierenden Gewinn gezogen. Hundings Zuhause zeigt eine braun gemusterte, spätbourgeoise Sitzgruppe in weiter Halle mit passendem Tapetenmuster, hinten begrenzt durch einen Baumstamm, aus dem ein toter Ast ragt –der Schwertknauf. Sieglinde sitzt ängstlich im Gewittersturm und schaut im alten Röhrenfernseher eine Wolfs-Doku. Zum kurzen „Wonnemond“ erscheinen den Liebenden die Wände mit hell-lila Blütenzweigen überzogen; in einer kleinen Senke tanzen sie rhythmusgenau ein wenig Liebeswalzer – nie zuvor gesehen, anrührend.
Wotan sitzt dann inmitten von projizierten Steinquadern-Mauern am Arbeitstisch. Die kleine Bodensenke wird zum Kabinett, in dem er angesichts seines Scheiterns zusammenbricht und von Brünnhilde liebevoll zu neuer Scheingröße aufgebaut wird. Dort liegen Siegmund und Sieglinde ein letztes Mal liebevoll beieinander, ehe Kampf, Tod und Flucht im Blackout enden.

Zum „Walküren-Ritt“ toben acht wilde Mädels umher – „Punk“ und „Gothic“ enorm textverständlich und vokal „anspringend“ hautnah. Zur finalen Abrechnung lässt Wotan einen kleinen Felssockel hochfahren: erst Verhandlungstisch und dann Schlafliege für Brünnhilde, ehe der längst alles beobachtende Loge mit großer Feuerzeugflamme eine Lösung signalisiert und die weite Bühne mit rotem Feuerrauch umgrenzt.
Doch nicht diese gelungenen „kleinen“ Szenerien und die zeitlos heutigen Kostüme Kaspar Glarners prägen den Abend, sondern die detailreiche, mehrfach neue und immer wieder anrührende Feinzeichnung dieser exemplarischen Figuren durch Fassbaenders Personenregie. Das gipfelt nach vielen kleinen Reaktionen etwa darin, dass Sieglinde liebesentzückt ihr Kleidchen auszieht – und dann wirft sich ein jahrelang unterdrücktes zartes Wesen im Unterkleidchen ihrem Liebeserlöser in die Arme. So wird auch die oft lange Welt-Erzählung Wotans im 2. Aufzug zu einem vielfach intimen, oft mitleidenden Dialog durch das Miterleben, Nachempfinden und Kommentieren Brünnhildes – was Christiane Libor nach fulminantem „Hojotoho“ mit Simon Baileys scheiterndem Geheimrat Wotan zum Kammerspiel-Drama gestaltet. Brünnhildes Wandlung zur vermeintlichen Retterin der Liebenden ist nachvollziehbar. Irina Simmes zartgliedrige Sieglinde wird nicht nur vokal nach ihren überwältigenden Ausbrüchen in eine Weltkarriere führen. Brünnhilde ahnt sofort ihre Schwangerschaft, und das zuvor wütende Mannsbild Wotan wagt ihren Körper beim Trauern um den toten Siegmund nicht tröstend zu berühren und hält nur fassungslos den ermordeten Sohn in den Armen. Unter den vielfältigst gezeichneten Walküren begehrt eine wiederholt trotzig auf: Waltraute – Fassbaenders einstige Rolle hier schon vorausdeutend angelegt, die ja dann in der „Götterdämmerung“ noch eine Wende versucht. Brünnhildes und Wotans Abschiedsringen: ein Drama auf Ibsen-Kammerspiel-Niveau, wie es sonst derzeit nur ein Christof Loy mit Sängern zu inszenieren vermag. Und am Ende geben sich Wotan und Loge die Vertragshand: ein Männer-Deal, und wir ahnen, wie alles enden wird… In Erl war dieser Schicksalsumbruch einer ganzen Welt frappierend textverständlich und vor allem mit so viel beeindruckendem Wag-ner-Piano wie seit Jahren nicht mitzuerleben. Ovationen.

Wolf-Dieter Peter

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