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Schwerpunkt: ILLUSION & BÜHNE

Die Maschine und die Ästhetik im Barock

Aus „Poiesis der Maschine“

Im Folgenden drucken wir Auszüge aus dem Buch „Poiesis der Maschine. Barocke Konfigurationen von Technik, Literatur und Theater“ von Nikola Roßbach (Kapitel „Theatermaschine“) ab.

Das 17. Jahrhundert ist beherrscht von der Maschine. Sie dominiert als konkrete technische Konstruktion die Theorien und Praxen der wissenschaftlichen Revolution und bedingt entscheidend den Aufstieg der empirischen Wissenschaften. Als Metapher hat sie zudem Erklärungskraft für barocke Modelle von Welt und Mensch, von Körper und Geist – bildlich repräsentiert sie kulturelle und natürliche, weltliche und religiöse Prozesse. Auch Literatur und Theater sind nicht ohne Maschinen zu denken.

Die Maschine ist historisch und terminologisch eng verbunden mit der Idee eines theatralen Illusionismus, einer künstlichen und künstlerischen Scheinhaftigkeit. Bereits die Vielschichtigkeit des antiken Maschinen- beziehungsweise Technikbegriffs – „mechané“ bedeutet Werkzeug, aber auch Kunstgriff und List; „techné“ bedeutet Fertigkeit, aber auch List und Klugheit – impliziert die Täuschungs- und Illusionsfähigkeit technischer Vorrichtungen, die zudem im Kunsttheater verwendet werden.
Man könnte zwar meinen, dass im Zeitalter des Rationalismus und der Mechanisierung die Maschine endgültig desillusioniert werde beziehungsweise Desillusionierung bewirke; dass Technik gewissermaßen enttheatralisiert werde. Doch so ist es nicht. In komplexer Verflechtung naturwissenschaftlicher, philosophischer und künstlerischer Diskurse, in paradoxaler Engführung von (theatralem) Illusionismus und (philosophischem) Rationalismus ist die barocke Maschine zugleich Funktion der Ent- wie der Verzauberung von Welt.

Die Maschine hat eine konstitutive Bedeutung für die barocke Theaterästhetik. Maschinentechnik ermöglicht auf eine spezifische Weise die Durchbrechung ästhetischer Normen wie etwa der klassizistischen Regel von den drei Einheiten für Ort, Zeit und Handlung. Sie generiert eine spektakuläre Ästhetik und zugleich einen entsprechenden programmatischen Diskurs.

Margarete Baur-Heinolds illustrierter Band zum Theater des Barock gibt einen Einblick in die opulente und komplexe Maschination, die das europäische Illusionstheater des 17. Jahrhunderts in Gang setzt, und findet dafür eine allgemeine und schwer zu belegende anthropologische Erklärung: „Das Verlangen des barocken Menschen nach Verzauberung und nach immer stärkeren Mitteln der Verzauberung – die Diesseitsangst wurde immer drängender, die Flucht in eine andere Welt schien immer notwendiger – ließ die Magie der Illusion die Herrschaft auf der Bühne antreten.“ (Baur-Heinolds, S. 120).

Roßbach, Nikola: Poiesis der Maschine. Barocke Konfigurationen von Technik, Literatur und Theater. Berlin, 2013

Fest steht: Magie, zumindest menschliche Magie, braucht Werkzeug. Die italienischen Theateringenieure Giovanni Battista Aleotti (1546/47-1636), Nicola Sabbattini (1574-1654), Giulio Parigi (1571-1635), Giacomo Torelli (1608-1678), Giulio Troili (ca. 1613-1685), Carlo Vigarani (1637-1713), Andrea Pozzo (1642-1709), Lodovico Burnacini (1636-1707) und Alessandro Galli da Bibiena (1686-1748) sorgen genau dafür. Sie erfinden Unterbühnen zum Versenken, Schnürböden zum Fliegen, Apparaturen zur Produktion von Feuer, Wasser und Dampf, Licht- und Wolkenmaschinen. Sie entwickeln Kulissen- und Perspektivbühnen, um das zwischen Land und Meer, Himmel und Hölle aufgespannte Welttheater zu realisieren. Brauneck bezeichnet die Erfindung der Kulisse, „das Grundelement der barocken Bühnenästhetik“ (Brauneck, Bd. 2, S. 12), als einen der drei epochalen Beiträge Italiens zum europäischen Barocktheater neben Commedia dell’arte und Oper.

Der Karriereweg führt die Italiener – nicht nur Bühnenarchitekten, auch Sänger, Komponisten und Maler – nach Spanien, nach Wien, vor allem aber nach Paris. Ein Grund dafür ist die offensiv anwerbende italophile Kunst- und Kulturpolitik des aus Italien stammenden Kardinals und Ministers Jules (Giulio) Mazarin (1602-1661): 1645 beruft er den Venezianer Giacomo Torelli nach Paris, der dort die Kulissenbühne einführt, die wichtigste Erfindung seines Lehrers Giovanni Battista Aleot-ti. In Frankreich initiieren Torelli, Vigarani und andere die Entwicklung eines spektakulären Maschinentheaters, das dem absolutistischen Streben nach ebenso bewundernswerter wie einschüchternder Machtrepräsentation Genüge tut.

Auch wenn sich in anderen Ländern ebenfalls eine technisch anspruchsvolle, zunächst in der Tradition der italienischen Renaissance stehende Bühnenästhetik entwickelt – so etwa in Deutschland durch den Parigi-Schüler Joseph Furttenbach (1591-1667) und Johann Oswald Harms (1643-1708) –, ist und bleibt Frankreich das Zent-rum der barocken Theatermaschinerie. Louis XIV. bedient sich ihrer wie auch anderer Künste und Wissenschaften in politstrategischer Absicht und wird damit zum Vorbild. Wenngleich sich seine Nachbarn vor den territorial-kriegerischen Ambitionen des Sonnenkönigs fürchten müssen – vielleicht gerade deshalb –, kopieren die kleinen und großen absolutistischen Fürsten Europas seine kulturellen Repräsentationsstrategien.

Mit dem 18. Jahrhundert geht die europäische Ära des höfischen Maschinentheaters endgültig vorbei. Das bedeutet nicht, dass Maschine und Mechanik irrelevant für das Theater werden – im Gegenteil. Die Maschine gehört genuin zum Theater. So wie es schon in der Antike eine Bühnentechnik mit Kränen, Unterbodenmaschinerien und Rampen gab, verzichten auch die Märchenspiele und Zauberopern des 19. Jahrhunderts nicht auf spektakuläre Technikeffekte. Und auch das moderne Theater des 20. Jahrhunderts setzt maschinelle Elemente ein beziehungsweise stellt sie aus. Das Max Reinhardtsche Regietheater ist ohne Maschinentechnik nicht denkbar; geradezu konstitutiv ist sie für die avantgardistischen Maschinenexperimente vom futuristischen und surrealistischen Theater über das Bauhaus bis hin zur Nachkriegszeit.

Es folgen zwei Schlaglichter auf Maschine und Ästhetik im Barock: eine italienische Abhandlung zu Theatermaschinen und eine französische Dramengattung, die „pièces à machines“.

„So wie es der Natur entspricht“

Im Jahr 1638 erscheint in Ravenna eine zweibändige „Pratica Di Fabricar Scene, E Machine Ne‘ Teatri“; schon 1637 war in Pesaro der erste Band separat gedruckt worden. Die Abhandlung, bei der es sich um eine der ersten Anleitungen zum Bau von Theatermaschinen überhaupt handelt, stammt von einem seiner Zeit einflussreichen italienischen Architekten und Bühnenmeister. Nicola Sabbattini (um 1574-1654), ein aus Pe-
saro stammender Schüler des Mathematikers Guido Ubaldo (1545-1607), bereichert die zeitgenössische Theatertechnik um eigene Erfindungen. Er übernimmt „alle Errungenschaften der Renaissancebühne“ und entwickelt „insbesondere diejenigen Techniken weiter, die die Illusionserzeugung und die totale Beweglichkeit der mechanischen Bühnenelemente beförderten“ (Brauneck, Bd. 2, S. 17).

Was will Sabbattini mit seinem Maschinenpark erreichen? Wichtigstes Ziel des ambitionierten Theaterkünstlers ist es, den (An)Schein von Natürlichkeit zu erzeugen: ein Paradox, dem mimetische, Natur nachahmende Kunst nie entkommt. Sabbattini möchte beschreiben, „Wie man den Anschein hervorrufen kann, als ob die ganze Szene zusammenstürzt“, oder wie Wolken ihre Größe und Farbe so verändern können, „wie es der Natur entspricht“ (Sabbatini, Bd. 2, S. 226, 257). Gerade in der durch Maschinen erzeugten Naturnähe der theatralen Inszenierung besteht das Spektakuläre. Dabei bleibt offen, ob beispielsweise die ausdifferenzierte Wolkentypologie, die kurioserweise auf reale meteorologische Erkenntnisse vorausweist (vgl. Tkaczyk 2006, S. 55), die Natur tatsächlich nur nachahmen oder gar übertreffen soll. In jedem Fall verbindet sich mit dem Anspruch vollkommener Illusion das Ziel, das Vergnügen der Zuschauer zu steigern. Menschen versinken zu lassen, beispielsweise pflege, „wenn gut gemacht, sehr genußreich und erstaunlich zu sein, besonders wenn die Zuschauer nicht bemerken, wie und wann sie hinausgekommen sind“ (Sabbattini, Bd. 2, S. 235). Die technische Apparatur muss unsichtbar bleiben. Auch Dekorationswechsel sollen unbemerkt geschehen; Sabbattini diskutiert dazu verschiedene, von ihm als „üblich“ bezeichnete Tricks: einen Streit künstlich anzuzetteln, den Bruch eines Balkens der Zuschauertreppe zu fingieren oder einen Trompetenstoß erklingen zu lassen. Nach Abschätzung des Sicherheitsrisikos votiert er für das Musikinstrument (Sabbattini, Bd. 2, S. 217f.).

Das Maschinentheater dient also in Sabbattinis Abhandlung von 1638 in erster Linie der Erzeugung von Schein-Natur. Im Lauf des 17. Jahrhunderts scheint es sich mehr und mehr zu verselbständigen; das mimetische Ideal der Naturähnlichkeit wird zunehmend verdrängt zugunsten eines bombastischen und gleichsam selbstgenügsamen Maschinenspektakels. Die Technik selbst, für die mit den „pièces à machines“ in Frankreich eine eigenständige dramatische Gattung entsteht, rückt in den Mittelpunkt der theatralen Ästhetik.
Die „pièces à machines“ von Pierre und Thomas Corneille
Am 9. Juni 1660 heiratet Louis XIV. seine Cousine Maria Theresia von Spanien in Saint-Jean-de-Luz. Zu Ehren dieser Hochzeit führt Alexandre de Rieux, Marquis de Sourdéac, das Maschinenstück „La Chasse de la Toison d’Or“ („Die Jagd nach dem goldenen Vließ“) von Pierre Corneille auf.
[Das Stück] gilt als ein klassischer Höhepunkt jener „pièces à machines“, zu denen es im deutschsprachigen Bereich keine Entsprechung gibt. Das liegt zweifellos an ihrer festen Verankerung in der königlichen Festkultur Frankreichs, die in vergleichbarer Opulenz, Pracht und Exzessivität in den deutschen Kleinstaaten nicht existiert.

Meistens erwähnt die deutschsprachige Forschung zu Maschine und Theater die „pièces à machines“ nur flüchtig-pflichtbewusst und lässt sich selten auf sie ein. Wenn, dann geht es vorrangig um die staatliche Funktion des Theaters, das im hochabsolutistischen Frankreich zum zentralen kulturpolitischen Medium wird.

Bei den „pièces à machines“ handelt es sich um Theaterstücke mit mythologischem Inhalt, die Tanz, Musik und einen an den König gerichteten Prolog enthalten. Die Gestaltung eines antiken Mythos bietet die Möglichkeit, Götter und übernatürliche Wesen in Wolken und fliegenden Wagen erscheinen zu lassen und so die Maschinerie effektvoll in Szene zu setzen: Während anfangs noch das mythologische Sujet im Mittelpunkt steht, das durch die vor allem im Prolog und bei der Auflösung des Handlungsknotens (als „deus ex machina“) eingesetzten Maschinen ergänzt wird, richtet sich später dann umgekehrt eher das Sujet nach den Maschinen – je spektakulärer, desto besser.

Zugleich steht die Maschine ein für die absolute Macht des Herrschers: Die „Ungeregeltheit“ der „pièces à machines“ ist ausschließlich ästhetisch-künstlerisch, keinesfalls politisch zu verstehen. Es ist der König, der die allmächtige göttliche Maschine repräsentiert, die das Stück beherrscht und gleichsam zum Regisseur wird. Es ist der König, der in der Allegorie der Maschine die vier Elemente bewegt, der Gottheiten und Geister sichtbar macht, der den spektakulären und ins Unendliche sich auszudehnen scheinenden Garten mit Statuen und Wasserkünsten entstehen lässt, als Hymen das Porträt der Königin vorzeigt.

Jean de la Bruyère erklärt in „Les Caractères“ (1688), Theatermaschinen dienten der Fiktionssteigerung – in manchen Maschinenstücken wird die Fiktion sogar erst durch Maschinen hergestellt.

Die Maschine generiert eine neue Theaterästhetik – die weiterhin im Dienst absolutistischer Repräsentation und Herrschaftsaffirmation steht. Und auch wenn das Experiment der „pièces à machines“ nie Diskurshoheit in den theatertheoretischen und -praktischen Debatten des 17. Jahrhunderts erreicht, ist es doch über viele Jahrzehnte hinweg präsent: als antiklassizistische Unter- und Gegenstimme der dominierenden klassizistischen Theaterästhetik.

Nikola Roßbach


Literaturverzeichnis

  • Roßbach, Nikola: Poiesis der Maschine. Barocke Konfigurationen von Technik, Literatur und Theater. Berlin, 2013
  • Baur-Heinhold, Margarete: Theater des Barock. Festliches Bühnenspiel im 17. und 18. Jahrhundert. München, 1966
  • Brauneck, Manfred: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. 3 Bde., Stuttgart, Weimar 1993-1999
  • Tkaczyk, Viktoria: Cumulus ex machina. Wolkeninszenierungen in Theater und Wissenschaft, in: Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Lazardzig (Hg.): Spektakuläre Experimente. Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert. Berlin, New York 2006, S. 43-77

 

 

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