
Geht es billiger auch?
Intendanten deutscher Bühnen debattieren erregt über das Weimarer Modell
Es hätte nicht viel gefehlt, und Stephan Märki wäre aus dem Saal geprügelt worden. Der
Generalintendant des Weimarer Nationaltheaters gilt als Buhmann der Branche. Das bekam er deutlich zu spüren,
als er bei der Jahrestagung des Deutschen Bühnenvereins in Halle den Intendanten seinen Versuch erklärte,
das traditionsreiche Weimarer Haus zu retten.
Märki streitet gegen eine vom Land Thüringen favorisierte Fusion mit Erfurt. Er weiß sich darin
einig mit den eigenen Ensembles, mit dem Stadtrat von Weimar und einer theaterbegeisterten Bürgerbewegung.
Das Nationaltheater soll selbstständig bleiben. Es soll nicht auf ein eigenes Opernensemble verzichten.
Es soll schon gar nicht verzichten auf die Weimarer Staatskapelle, ein renommiertes Orchester, dessen Ruf gerade
gestern beim Festkonzert zum 400-jährigen Jubiläum einmal mehr bestätigt wurde.
Der Preis für die Eigenständigkeit ist hoch. Zu hoch!, tönten die Intendanten bei
ihrer Jahresversammlung. Sie sprachen von Ungeheuerlichkeit, Querschlägen und Vabanquespiel. Denn der Preis
heißt: Lohnverzicht. Märkis Vorschlag: Das 13. Gehalt aller Mitarbeiter wird auf ein Sonderkonto
gelegt, von dem Tarifsteigerungen bis 2008 bezahlt werden; die Anpassung an Westgehälter (derzeit: neunzig
Prozent) wird bis dahin in drei Etappen hinausgezogen. Das Theater soll zur GmbH umgestaltet werden, mit 40
weniger Mitarbeitern; frei werdende Stellen sollen frei bleiben. Über weitere Details schwieg Märki
sich aus, um, wie er sagte, Verhandlungen nicht zu gefährden.
Wenn es nicht einmal Weimar gelingt, die Sinnfälligkeit des Theaters zu behaupten und einer Fusion
zu entgehen, wird das eine verheerende Signalwirkung haben für die Kulturpolitiker aller Bundesländer,
sagte Stephan Märki in einem SZ-Gespräch. Das Argument scheint sich jetzt verblüffend gegen ihn
zu kehren: Wenn Weimar den Eindruck erweckt, wir wüssten, wie man Theater billiger macht, werden
die Politiker uns auffordern, diesen Weg mitzugehen, sagte Rolf Bolwin, Direktor des Bühnenvereins,
bei der Jahresversammlung. Diese Befürchtung teilen viele.
Christian Schmidt, Intendant der Landesbühnen Sachsen: Ich halte den Weimarer Weg für gefährlich,
weil er der Öffentlichkeit suggeriert, dass man Theater kostengünstiger haben kann, wenn man die Mitarbeiter
zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Und noch eines gibt Schmidt zu bedenken: Wer geht noch freiwillig
nach Weimar, wenn es dort weniger Lohn gibt?
Auf dieses Problem hat auch Weimars Generalmusikdirektor George Alexander Albrecht schon aufmerksam gemacht:
Es bewerben sich bei uns auffallend weniger junge Musiker und Spitzenkünstler, das hat gewiss mit
der unsicheren Zukunft des Orchesters zu tun. Albrecht fürchtet zudem, dass bei einer Verkleinerung
im Gespräch sind 85 statt der bisher 95 Orchester-Stellen bedeutende Werke des 20. Jahrhunderts
nicht mehr aufgeführt werden könnten. Das Theater in Weimar wird scheibchenweise tot gespart,
sagt Holk Freytag, Intendant des Dresdner Staatsschauspiels.
Angesichts des Weimarer Modells zeigten sich die Bühnenchefs in selten schöner Einmütigkeit
an der Seite der Gewerkschaften. Sie wird nicht lange halten. Die Intendanten verfassten am Sonnabend eine Resolution,
die für das nichtkünstlerische Personal am Theater flexiblere, spezifischere Tarifverträge fordert.
Karin
Großmann // Sächsische Zeitung, 27.05.02
Erklärung der am Deutschen Nationaltheater Weimar vertretenen Gewerkschaften
Die Beschäftigten des DNT und ihre Gewerkschaften begrüßen die weitere Selbstständigkeit
des Deutschen Nationaltheaters. Sie sind deshalb selbstverständlich bereit mit allen ihren
Möglichkeiten, ihren Erfahrungen, Kenntnissen, Fähigkeiten dazu beizutragen, das Theater auch für
die Zukunft als wertvollen, weit über Thüringens Grenzen hinaus gerühmten Teil deutscher Theater-
und Musikkultur zu erhalten. Dazu gehört auch die Bereitschaft zum materiellen Verzicht unter fairen Bedingungen,
so wie es die Theatergewerkschaften bereits im November 1999 in ihrer gemeinsamen Erklärung bekundet haben.
Ein so theaterfremdes Weimarer Modell allerdings, wie es von einer Berliner Anwaltskanzlei vorgeschlagen
wird, lehnen Beschäftigte und Gewerkschaften ab, weil es die beeindruckende und überwältigende
Solidarität aller Beschäftigten, ihr entschiedenes Engagement im Ringen um den Erhalt des DNT in der
Vergangenheit ignoriert, sachgerechte Ideen und Vorschläge aus den Reihen der Theaterleute nicht zur Kenntnis
nimmt und statt dessen versucht, den Beschäftigten allein für die gegebene schwierige Situation und
deren Auswirkungen den Schwarzen Peter zuzuschieben.
Dagegen fordern wir eine gründliche betriebswirtschaftliche Prüfung des gesamten Hauses wie
vor Wochen auch angekündigt und die saubere, sachliche Auswertung der Ergebnisse unter Berücksichtigung
der spezifischen Besonderheiten eines Theaters. In die auf dieser Basis zu erarbeitenden Folgerungen sind die
Ergebnisse der Vorschläge aus den gebildeten Projektgruppen der verschiedenen Sparten einzubeziehen. Nur
auf der Grundlage aller künstlerischen, technischen, wirtschaftlichen, organisatorischen Potenzen des Hauses,
der engagierten Mitwirkung aller Beschäftigten kann ein wirkliches tragfähiges Weimarer Modell
entstehen, das der Stadt Weimar auf lange Sicht das Deutsche Nationaltheater und die Staatskapelle Weimar
in hoher künstlerischer Qualität erhält.
Um die dafür notwendige solide Vorarbeit ohne Zeitdruck leisten zu können, erklären sich die
Gewerkschaften bei auftretenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Hauses durch in Kraft tretende Tarifsteigerungen
ausdrücklich sofort zu tariflich zu vereinbarenden Verzichtsleistungen bereit.
Weimar, 30. Mai 2002
Deutsche Orchestervereinigung (DOV)
Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA)
Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO)
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
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