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Berichte

Virtualität und Realität

Die Münchener Biennale 2002 · Von Reinhard Schulz

Die Münchener Biennale hatte in diesem Jahr den Anspruch mit dem Motto „Oper als virtuelle Realität“ sehr hoch gehängt. Gemeint war die Einbeziehung der Mittel, die unseren Alltag immer mehr dominieren: die immer schnellere Verfügbarkeit von Informationen, das Internet, der Computer, die überwältigende Bandbreite von Simulationsspielen, in denen Realität und Schein sich vermischen. Nachrichten aus Krisengebieten über unterschiedliche Medien etwa sind Beispiel für solch unmerkliche Verschleifungen. Das Wagnis der Biennale war also zeitlich überfällig. Virtualität in die Oper zu holen hieß im dialektischen Doppelschritt nichts anderes, als sie wieder mit der Realität unseres Daseins zu verknüpfen.

 
 

Einer der in Winklers „Heptameron“ agierenden Musiker: Fabrice di Falco als Contersopran. Foto: Rabanus

 

Dass diese Annäherungsversuche mitunter zäh verlaufen, da Opernapparat und Opernästhetik nicht zum Beweglichsten zählen, war von Biennale-Leiter Peter Ruzicka schon vorab einkalkuliert. Schwerer wog die Notwendigkeit des Schrittes, der sich aber auch förmlich aufdrängte. Denn die Komponisten André Werner, Manfred Stahnke, Gerhard E. Winkler und auch Jörg Widmann (mit einem munteren Spiel über die Kommunikationsunfähigkeit) oder die Gruppe „48 nord“ (Versuche mit Übersetzungsprogrammen von Computern und Sprachverwirrungen) hatten schon in der Vorbereitungsphase Projekte vorgeschlagen, die ganz spontan Fragen von gegenwärtiger gesellschaftlicher Kommunikation, von medialen Vernetzungen in den Arbeitsprozess zu integrieren suchten. Es ist wohl die seismografische Funktion von Kunst, die diese Fragen als dringende auf die Tagesordnung setzte.

Wenn man aber Überfälliges macht, heißt es freilich noch lange nicht, dass es rundum gelingt. Musik ist zäh. Sie verteidigt Bastionen, die sie einst eroberte auch dann, wenn sie vorgibt sie abzuschaffen. Da war zum Beispiel die Oper „Orpheus Kristall“ von Manfred Stahnke, eine Neuaufmischung des so opernträchtigen Stoffes also. Als „Oper in zwei Medien“ wurde sie angekündigt, was zum einen hieß, dass parallel zur Aufführung mit allem, was die Oper so braucht, eine Version im Internet existierte. Version freilich ist übertrieben, im Grunde handelt es sich um ein Suchspiel nach Eurydike, nach der Frau an sich, die immer auftaucht und sich immer wieder entzieht.

Auch im „realen“ Stück ging es ums Suchen. Eurydike ist Vorstellung, dreigeteiltes Fantasma. Um freilich die mediale Suchkomponente noch zu unterstreichen, hatte Stahnke die Idee, über das Internet Musiker aus aller Welt mitspielen zu lassen. Was hier aber herauskam blieb weit hinter einem ohnehin niedrig geschraubten Erwartungsdruck zurück. Manchmal zwitscherte es von irgendwo her, unortbar ob von präpariertem Band oder wirklich aus LA oder Amsterdam. Für den dramaturgischen Verlauf spielte es ohnehin keine Rolle.

Auf der Bühne wurde dazu ein Männer- und vor allem Frauenbild zelebriert (Regie: Bettina Wackernagel), das in seiner Naivität geradezu peinlich wirkte. Der Orpheus-Mythos beschreibt den Versuch, das Schicksal anzuhalten, das Geschichtsrad zurückzudrehen mit einer der größten (friedlichen) Waffen, die die Menschheit überhaupt hat: mit der Musik. Das reduzierte sich hier auf schemenhaftes Aufleuchten von Männerfantasien, ungeschickt gestellt und plump. Als Positivum konnte man letztlich nur die mikrotonal durchkonzipierte Musik Stahnkes notieren.

Anders lagen die Probleme bei André Werners Stück „Marlowe. Der Jude von Malta“. Auch er hatte schon im Vorfeld so etwas wie eine virtuelle Struktur angedacht. Werner hatte ein bewegliches System gewissermaßen von Opernausschnitten (einer nicht existierenden Oper) im Sinn, Kreisläufe ohne Halt, wie sie zum Beispiel Treppenhäuser von M. C. Escher suggerieren. Es ging um Machtverhältnisse auf dem Hintergrund der drei monotheistischen (dadurch Alleinanspruch erhebenden) Religionen Judentum, Christentum und Islam.

Marlowes Stück vom Ende des 16. Jahrhunderts sollte ins Überzeitliche gehoben werden, sein Aufriss legt dies gerade angesichts heutiger politischer Wirren auch nahe. Darum hieß das Prinzip des Stücks Bewegung. Nichts steht still und dennoch kommt nichts vom Fleck. Ob das die Musik vermitteln konnte? Hier freilich hatte das Bühnenbild ein technisch höchst artifizielles Gegengewicht geliefert. Auf hintereinander geschachtelten Stellwänden wurden Räume projiziert, die sich ständig wandelten. Ein schweifender Blick eines Protagonisten konnte (parallel dazu) den ganzen Raum in Drehung versetzen, dann wieder wurden die Agierenden, vom Computer in ihren Konturen abgetastet, mit verblüffend genau gelenkten Lichtelementen in unterschiedliche Gewänder gesteckt. Es blieb allerdings noch Probiermasse.

 
 

Schattenspiel in „Der Jude von Malta“. Foto: Rabanus

 

So war man in der Suche nach neuer Opernvirtualität auf das ambitionierteste Projekt, auf Gerhard E. Winklers „Heptameron“ verwiesen. Und hier wurde man fündig. Man ist ja, wenn es um neue Verfahren geht, technisch neugierig, fragt spontan nach In- und Output. In Winklers Stück auf der Basis von fast reportageartigen Beobachtungen der Renaissance-Dichterin Margarete von Navarra wurde nun der Spieß umgedreht. Im Rhythmus von Videoclip-geschulten Sensorien wurde der Bühnenraum mit Spots, Piktogrammen, Codes, hart geschnittenen musikalischen Takes und Samplings, Computergrafiken, mit interaktiven Koppelungen zwischen Bühnengegenständen, Bildern und Sounds, und mit fragmentierten Szenen zwischen Commedia dell’arte, Star Wars und Joystick-Lenksystemen geradezu überschwemmt.

Das Bewusstsein wurde in „Heptameron“ gleichsam gespalten. Auf der einen Seite war es immer auf der Suche nach den Beziehungsnetzen, die auch dann als offenkundig auszumachen gewesen wären, wenn in Vorgesprächen und Erläuterungen nicht so massiv darauf verwiesen worden wäre. Hier befand es sich immer auf der wachen Schwelle zwischen Einblick und Verwirrung im weiten Feld der neuen Unübersichtlichkeit. Auf der anderen Seite konnte es sich das Bewusstsein gewissermaßen bequem machen, sich zurücklehnen und sich einfach dem Informationsstrom wie einem Brausebad aus Witz, Ironie, Irrsinn und tieferer Bedeutung überlassen.

„Heptameron“ war Spielfläche. Es war Baukasten und mit der unverstellten Neugier eines Kindes wurden mit den Klötzen Türme gebaut. Die fallen auch immer wieder mal zusammen, man beginnt neu, verändert die Statik, wagt andere Kühnheiten. Der Begriff des Neustarts wurde zum formalen Prinzip. Szenenfragmente wurden neu aufgerufen, die Ausgangsbedingungen wurden hergestellt und schon driftete man wieder weg in andere Konstellationen. Das schuf, auch beim einmaligen Sehen und Hören vermittelte sich dies, direktere Formen der Bühnenpräsenz. Spielästhetik wurde zum übergreifenden Prinzip. Und Spiel heißt ja, dass der Spielende in groben Zügen weiß, was er will, dass die Konkretion aber jedes Mal unerwartete Konstellationen herstellt.

Winkler schrieb dazu eine große Anzahl musikalischer Sets, die je nach Situation über Samples und von drei höchst spontan agierenden Musikern (Teodoro Anzellotti, Akkordeon, Marcus Weiss, Saxophon, und Garth Knox, Viola) gespielt wurden. Vielleicht ist insgesamt der Vergleich mit einem auf Hightech gelifteten Jahrmarktspiel zutreffend, wo die Agierenden über ein Reservoir an Spielmodellen verfügen aber immer auf die Situation, etwa auf Zwischenrufe in drahtgestellartiger Wendigkeit zu reagieren haben. Die Musik bewies charakterliche Trennschärfen, vor allem aber viel ironische Unterhöhlungen und Ausbuchtungen, die subtile Leichtigkeiten erzeugten.

Eines vor allem wurde in alte Ehre versetzt: das Team. Musiktheater ist Zusammenarbeit und jeder, Regisseur Alexander Löblein, Bühnengestalter Lawrence Wallen, die Sänger Jannie Pranger, Martin Lindsay und Fabrice di Falco, die Tänzer/Schauspieler Sabine Friesz, Boris J. Pietsch und Anna Tenta-Pancevski suchten und fanden im Informationsgewirr Nischen und Freiräume, die sie mit theatraler Intensität, mit Spaß an der Aktion füllten.

Reinhard Schulz

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