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Berichte

Die Pest als Reiniger

Stäblers „Madame La Peste“ in Düsseldorf und Duisburg
Von Georg Beck

Madame La Peste”, ein Auftragswerk der Deutschen Oper am Rhein und des Saarländischen Staatstheaters, bringt über die Akteure viel Unheil. Heil winkt ihnen und dem Opernauditorium, das in den Erosionsprozess einer Gesellschaft hineingenommen wird, erst am Ende – mit leisen Tönen und eher verschwiegenen Zeichen. „Hört, wie die Ähren rauschen!” rufen die Angeklagten in der abschließenden Gerichtsszene. Doch die Zeugen höhnen: „Immer noch Hoffnung?” Nachdem Pest und Tod über die Welt gekommen sind, ist es unvernünftig und lächerlich noch etwas anderes zu wollen. „Tabula rasa!” singen die Richter. Wenn alle Hoffnungen enttäuscht worden sind, feit gegen neue Enttäuschung einzig die konsequente Hoffnungslosigkeit. Geläutertsein heißt das heute. „Die neue Zeit rein. Von Hoffnung und endlich von Enttäuschung.” Dem widerspricht die Musik. Stäbler besetzt den Chor der in knallrote Roben gekleideten Richter – am Ende demaskieren sie sich als pubertierende Collegeboys – mit je drei Bass- und Falsettstimmen. Keine Mitte, keine Vermittlung. Der Pseudorealismus hängt hörbar in der Luft. Dagegen provozieren die Angeklagten mit einer Zumutung: „Die Pest rettet die Hoffnung”. Was aber ist die „Pest”? Die Vergiftung als Bereinigen des Lebens von allem Beiläufigen, Disfunktionalen. Ein Gedanke voller Brisanz.

 
 

H. Järvinen (Madame La Peste), A. Krabbe (Tschen). Foto: Straub

 

Dass dieser Reinigungsprozess trotz des Triumphs der „Madame La Peste” am Ende misslingt, darf als Botschaft genommen werden. Andererseits hat Stäbler, der sich auf Debussys „Les nocturnes” beruft und fragmentiert verwendet, keine Verlautbarungsmusik geschaffen. Er und sein Librettist Matthias Kaiser hissen kein Hoffnungsfähnchen auf einem Verzweiflungsturm. Vielmehr intendieren sie das Nebeneinander, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen von Hoffnung und Verzweiflung. Die großen Bühnen in Duisburg und Düsseldorf werden teilweise zu regelrechten Schlachtfeldern. In einer grotesken Horrorszene hängt Hannele Järvinen als stumme Tänzerin mit dem feuerroten Haar der „Lady Madeline” und rückwärts baumelnden Armen an einem Mikrofonständer. Wie die Schächer auf Golgatha. Doch ein ultimativer Triumphschrei gelingt ihr nicht. Das letzte Wort gehört der Musik. Aus den Rängen hoch über dem Zuschauerraum kommt Chorgesang. So wie die Kunst nicht einfach aus dem verkehrten Leben verschwindet, behauptet sich auch die Hoffnung – hervorgetrieben aus ihrem Gegenteil. Stäblers „Madame La Peste”, die dritte Oper des Duisburger Komponisten, ist aufs Ende komponiert und von dort zu begreifen. Allerdings ist so auch zu ermessen, inwiefern die mäandernde Textvorlage von Matthias Kaiser in Mithaft genommen werden muss. Dies festzuhalten ist insofern zentral, als daran deutlich werden kann, was aufs Konto einer Regiearbeit geht, die vor lauter Libretto-Bäumen den Wald nicht mehr gesehen hat.

Die vier Bilder der Oper beginnen mit einem Prolog, in dem der junge Kommunist P’an (Christopher Lincoln) der Verführungskraft der stummen Madeline erliegt. Im zweiten Bild wird Paris wegen Pestalarm von der Außenwelt abgeschlossen. Quarantäne über der Stadt, von Bühnenbildner Florian Parbs in einen Cordon sanitaire aus Plastikplanen übersetzt. Eine Extremsituation, in der bis auf P’an alle das machen, was sie sonst auch machen: Pläne schmieden, buhlen, töten, beten. Ein Serum gegen die Krankheit wird fahrlässig verschüttet. Pest und Terror richten alle und alles zugrunde. An dieser Stelle könnte die Geschichte, die dem 1928 erschienenen Buch „Ich zünde Paris an” des polnischen Exilliteraten Bruno Jasienski abgewonnen ist, bereits ins Schlussbild übergehen. Doch Matthias Kaiser eröffnet ein weiteres Tableau. Er führt ins Haus Usher, dessen Untergang Edgar Allen Poe in seiner 1839 veröffentlichten schwarzromantischen Erzählung schildert. Kaiser verschärft die sehr im Nebulösen liegende Situation um das Geschwisterpaar Roderick und Lady Madeline zum Inzestdrama, an dem auch der hinzugebetene Dichter Poe nichts mehr ausrichten kann. Erst Sündenfall und Pestalarm, dann Psychobunker. Insofern muss das Tribunal im abschließenden vierten Bild aus dieser Verzweiflungslogik herausspringen. Unvermittelt stehen die Opfer des Pestalarms als Angeklagte im Zuschauerraum, Zeugen und Richter ihnen gegenüber.

Begleitet wird diese schrille Szenerie von einem leisen Spiel. Es erscheint das Mädchen Tschen, auch sie ein Opfer der Pest. Sie singt. Ihr hoher, langer Ton hält sich neben dem Gekreische der Richter. Hinter ihr steht ein Gewalttäter. Doch jetzt ist Solomin verwandelt zu einem Bündnispartner der singenden Hoffnung. Gemäß Libretto sollte er sich Tschen nähern, sie aufheben und wie ein „schlafendes Kind” hinaustragen. Regisseur Elmar Fulda, der nicht nur an dieser Stelle die klaren Symbole einer ausufernden Vorlage ignoriert, hat sich für eine Schubkarre entschieden. Zwar ist auch eine Schubkarre ein Bild des Aufgehobenseins, des Bewahrens von Hoffnung, doch frei von störenden Assoziationen ist sie nicht. So müssen es die Sänger eines insgesamt hervorragenden Ensembles, das von Günther Albers am Pult jederzeit präzise geführt wurde, allein richten. Dabei gerät das Duett zwischen dem bemerkenswerten Tenor Torsten Hofmann und Anke Krabbe mit ihrer schlanken Sopranstimme zu den ergreifendsten Momenten dieses Theaterabends.

Inkommensurables Musiktheater wie Stäblers „Madame La Peste” benötigt dramaturgische Klarheit und Eindeutigkeit. Die Regie, die mit einem sperrigen Libretto freilich ihre liebe Not hatte, hat sich im Cordon sanitaire erst verlaufen, Inszenierungshilfen wie eine vorgesehene Bahnhofsuhr, die mit jeder Pestleiche um eine Stunde vorspringt, verschmäht und Schlüsselszenen vertändelt. Warum zum Beispiel nicht, wie vom Librettisten gewünscht, den verstörten Besuchern an die Theaterausgänge die letzten Klänge der Oper noch einmal als Klanginstallation hinterherschicken? Was hätte es geschadet, „nur“ mit Musik im Ohr das Opern-Schlachtfeld am Rhein hinter sich zu lassen?

Georg Beck

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