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Berichte

Ende laut, Belgien out

Die Ära Mortier in Salzburg endete turbulent
Von Gerhard Rohde

Was für Aufregungen: „Die Fledermaus“, das nationale Amüsier-Heiligtum zerrupft und zerstampft, Hofmannsthals „Ariadne“ eine nervlich strapazierte Trinkerin, „Figaros Hochzeit“ zwischen Modeschaufenstern und heutigem Outfit, Verdis „Don Carlo“ inmitten abstrakter Gestänge – am Ende seiner zehnjährigen Salzburger Festspielintendanz wollte es Gerard Mortier noch einmal wissen.

   

A. Denoke (Gräfin), C. Oelze (Susanna) in der Salzburger Figaro-Inszenierung Foto: Charlotte Oswald

 

Was war geschehen? Jedem auch nur halbwegs Informierten war klar, dass Mortiers „Fledermaus“-Team mit dem Regisseur Hans Neuenfels, dem Bühnen- und Kostümbildner Reinhard von der Thannen und dem Dirigenten Marc Minkowski keine artige Operette auf die Bühne der Felsenreitschule stellen würde. Palimpsest heißt das Stichwort: Der scheinbar heiteren Fassade des bürgerlichen „Heldenlebens“, das sich vorwiegend in Seitensprüngen und kleinen Gemeinheiten präsentiert, wurde die Maske vom Gesicht gerissen und zum Vorschein kam die grässliche Realität, die mit dem Amüsiertheater nur versteckt werden sollte. Unmöglich aufzuzählen, was Neuenfels dazu alles einfiel: Seine „Fledermaus“ verschwindet förmlich in den „Letzten Tagen der Menschheit“, dem grandiosen Gesellschaftspanorama des Karl Kraus, Musils „Mann ohne Eigenschaften“ scheint hereinzugeistern, und die Figuren der Handlung, diese aufgedrehten kleinen Mittelstandsbürger à la Eisenstein – ist das nicht jene dumpfige Schicht, aus der sich später das Personal des Nationalsozialismus rekrutierte, die freiwilligen Parteigenossen, die manchmal, wie hier Eisenstein, zum Reichsmarschall – in weißer Paradeuniform – avancierten, natürlich nur für einen Kostümball, aber wer weiß? Neuenfels übersah dabei, dass selbst die besten Operetten in ihrer Musik und szenischen Konstruktion zu fragil und im Ausdrucksradius zu begrenzt sind, um Menschheits- und Zeitpanoramen standzuhalten. So bleibt nur die Zerstörung, die sich selbst genügt. Das „Unternehmen“ leistet so nicht einmal das, was man eine Denunziation nennen könnte, und die Musik spielt keine gravierende Rolle mehr, läuft halt so mit und nebenher, quasi als Erinnerungsposten, wie in einer Bilanz. Immerhin bewirkte die Aufführung in den Medien den Ausbruch alter Hassgefühle: Mortier wurde wieder als „Belgier“ apostrophiert, was als ärgster Schimpf gedacht ist. Es sind dieselben Leute, die in der „Fledermaus“ von Neuenfels aus der Operette in die Wirklichkeit überführt werden: So gesehen funktioniert die Aufführung, bei aller Problematik ihrer Dramaturgie auch entlarvend: Theater als Enthemmer. Man kann das als eine eigene Qualität nehmen.

Die Empörung des Publikums hielt sich bei den beiden anderen Hauptärgernissen im Vergleich zum „Fledermaus“-Tumult in überschaubaren Grenzen. Christoph Marthalers „Le nozze di Figaro“-Inszenierung verordnet der Oper die ästhetischen Merkmale des Regie-Tandems Marthaler/Anna Viebrock. Figaros Hochzeit findet heute statt, zwischen Schaufenstern, in denen Hochzeitskleider ausgestellt sind, vor der Pförtnerloge des Standesamtes und den Türen für „H“ und „D“. Über der Szene, auf schmalen Brettern, hütet ein alter Musiker seine Schafe, steht ein ausrangiertes Cembalo – auch das ein Erinnerungswert an arkadische Zeiten. Marthaler jongliert mit Handlung, Personen und Versatzstücken in bewährter Manier, sehr musikalisch und präzis in Abläufen und Gesten, doch hängt die einstmals feudale Geschichte doch irgendwie wie ein abstraktes Handlungsmobile gleichsam in der Luft, die auch durch die Musik (Sylvain Cambreling mit der Camerata Salzburg) keine festere Konsistenz gewinnt.

Ambitioniert auch die dritte neue Premiere: „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss. Jossi Wieler und Sergio Morabito als Regisseur und Dramaturg putzten sich zum Lesen von Libretto und Noten die Augen und siehe da, sie wurden fündig: Die leichtfertige Zerbinetta ist nicht länger die Repräsentantin der Opera buffa, die die trauernde Seria-Singstatue Ariadne aufzuheitern versucht, sie ist vielmehr Schwester, Alter ego, Kumpel für die todessüchtige Heroine, die sich in einer Nervenheilanstalt, deren Ausstaffierung durch Anna Viebrock täuschende Ähnlichkeit mit Direktionsetage und Foyers des Festspielhauses suggeriert, gleichmäßig ins Jenseits zu trinken bemüht. Am Schluss geht sie allein seitwärts die Treppe ins Unsichtbare hinunter, während der Tenor Bacchus der Tänzerin Zerbinetta durch die Tür im Hintergrund nachzusteigen scheint. Aus dem personifizierten Formenspiel mit tradierten Operntypen bei Strauss und Hofmannsthal wird hier ein analytisches Psycho-Drama, in dem die Dramatis personae stärker individualisiert erscheinen als sonst. Das ist als Interpretation immerhin plausibel, zumal das Konzept in dieser Aufführung durch die vokale Besetzung legitimiert wird: Deborah Polaski als Ariadne, die virtuose, spielgewandte Natalie Dessay als Zerbinetta, die großartige Susan Graham als Komponist und der zuverlässig strahlende Jon Villars als Bacchus, dazu die fulminant aufspielenden Wiener Philharmoniker unter Christoph von Dohnanyi – das besaß absolutes Festspielformat. Publikumsreaktion: Jubel für die Musik, heftige Teil-Ablehnung für die Inszenierung. Auch spontane Reaktionen können zu Ritualen erstarren.

In der Summe ergibt sich ein recht buntscheckiges Opern-Bild für Mortiers letzte Saison in Salzburg, buntscheckig nicht allein in den szenischen und musikalischen Handschriften, sondern auch in der Qualität der Produktionen. Oper live birgt immer auch ein Risiko. Dass Mortier in seiner Zeit in Salzburg dieses Risiko nie gescheut hat, macht eine seiner persönlichen Qualitäten aus.

Gerhard Rohde

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