Trotzdem hat Lehmann zumeist ein erstaunliches Niveau halten können. In den letzten Jahren jedoch war er ein wenig vom Pech verfolgt. Der vorzügliche Nachfolger seines langjährigen Generalmusikdirektors George Alexander Albrecht, Christof Prick, verließ das Haus vorzeitig. Dessen Nachfolger Andreas Delfs hatte zwar weitaus weniger Format, hat aber seinen Vertrag auch nicht bis zu Ende erfüllt. Daraufhin gab es in der letzten Spielzeit einen handwerklich vorzüglichen, jedoch künstlerisch wenig inspirierten Interims-Chefdirigenten Hans Urbanek. Und im Ballett hatte Lehmann nach dem Ende der langen Ära Höffgen Pech, als ein bereits verpflichteter, durchaus hochkarätiger Choreograf letztlich sein Engagement nicht antrat. In keinem dieser Fälle traf den Intendanten eine Schuld. Im Gegenteil: Wie Lehmann solch missliche Situationen immer noch irgendwie zum Besseren wendete, war bewundernswert und überdeckt, dass die künstlerische Bilanz letztlich zwiespältig ausfällt. Im Positiven fällt auf, dass es Lehmann wie kaum einem seiner Kollegen gelungen ist, ein auf hohem Niveau singendes und funktionierendes Ensemble zu erhalten. Außerdem hat er alleine im Haupthaus in 21 Jahren 25 Werke der so genannten Moderne spielen lassen. Die Auswahl geriet zwar nicht immer glücklich, genannt seien nur die Komponisten Weiss und Corigliano, deren künstlerisch dürftige Werke jedoch beim Publikum recht gut ankamen. Aber gerade in diesem Bereich gab es andererseits das, was Hannover sonst fast nie zu bieten hatte: Highlights. Man denke an Zimmermanns Soldaten, Reimanns Schloss oder Ligetis Grand Macabre.
In den letzten Monaten hat sich die Lage nun nochmals zugespitzt. Der ab dieser Spielzeit amtierende Intendant Albrecht Puhlmann musste bereits öffentlich darauf hinweisen, dass er seinen Vertrag unter anderen Bedingungen abgeschlossen habe als man ihm jetzt möglicherweise aufzwingen will. Zusätzliche jährliche Einsparungen stehen im Raum. Puhlmanns anspruchsvolles Programm der ersten Spielzeit und seine langfristigen Projekte scheinen in Frage gestellt, bevor er überhaupt sein niedersächsisches Büro bezieht. Hans-Peter Lehmann konnten die Subventionsgeber immer wieder einen Kompromiss abringen. Puhlmann hat glücklicherweise von vornherein klargestellt, dass er dazu nicht bereit ist. Er steht für das, wofür er meint, verpflichtet worden zu sein, nämlich für Metropolentheater. Und so erklärt sich auch sein anspruchsvolles, sehr wagemutiges Programm mit Cages wunderbarem musikalisch-szenischen Rundgang durch die Operngeschichte Europeras, einer spartenübergreifenden Musiktheaterproduktion von Mike Svoboda Amerika, einem Zeitopern-Projekt und zwei Composern in Residence. Dazu eine beachtliche Portion Klassische Moderne (Jenufa, Rakes Progress). Außerdem plant er einen Mozart-Schwerpunkt mit Don Giovanni und Zaide. Mit Andreas Homoki (Aida) und Herbert Wernicke (Xerxes-Übernahme aus Basel), mit Barbara Beyer, Ernst Theo Richter, Nigel Lowery, Tim Hopkins und dem umstrittenen Calixto Bieito sind ausschließlich hochkarätige, und ästhetisch sehr anspruchsvolle Regisseure in Hannover zu erwarten. Stephan Thoss als neuer Ballettdirektor wird das Tanztheater sicherlich weiter profilieren. Und mit dem neuen Chefdirigenten Shao-Chia Lü sowie seinem auf zeitgenössische Musik spezialisierten Stellvertreter Johannes Harneit warten zwei weniger bekannte Musiker auf ihre Chance. Wenn Albrecht Puhlmann nicht der Geldhahn zugedreht wird, so dürften beide bald im Rampenlicht deutschen Operninteresses stehen. Denn Puhlmanns Programm wird für Furore sorgen. Fast sicher. Reinald Hanke
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|