Leider bleibt das an der Oberfläche – warum zertrümmert das Mädchen das Radio zum Schluss? Frust über das eigene Elend? Zorn auf die „Besatzer“? Oder die vielen lästigen Ausländer, Italiener, Schweden und Juden? Letzten Endes ist das für das Lieben und Leiden der Multi-Kulti-Belegschaft des gar nicht ruinösen New Yorker Hauses ohne Belang. Das Ensemble des Anhaltischen Theaters Dessau (musikalische Leitung: Golo Berg) bietet runde Tanz- und Gesangsleistungen; an der liebevollen Genrezeichnung, den vielen pfiffigen und anrührenden Typen hat der solistisch ausdifferenzierte Chor hohen Anteil. Stadtkultur ist das Motto des diesjährigen Kurt Weill Festes, das ein Werk wie „Street Scene“ schon im Titel erfüllt. Es kennzeichnet aber auch eine Besonderheit dieses Festivals, denn Dessau bemühte sich von Anfang an um die Integration seines großen Sohnes, ein Fremder aus dem US-Exil. Da kam ein „Weill-Mobil“ direkt zur Bevölkerung, wandten sich Workshops und Produktionen des Theaterjugendclubs Chamäleon e.V. speziell an ein jugendliches Publikum. Die Openair-Aktivitäten wurden jetzt durch eine „Weill-Meile“ ersetzt, ein rein kommerzielles Angebot mit „Dreigroschen-Baguette“ und „Mahagonny-Cocktail“. Ein Verständnis von „Stadtkultur“ scheint sich hier anzudeuten, das lediglich aufgreift, was ist, auf das Faszinosum des buntschillernden Molochs Großstadt starrt und damit das von Weill einkomponierte kritische Moment gerade ausblendet. Mag das Ensemble „Singer pur“ die Songs der libertinären „Netzestadt“ mit noch so viel ironischem Belcanto-Charme versehen – wie scharf und inhaltlich aktuell diese Musik einmal war, vermittelt der „Mahagonny“-Film von Harry Smith aus den 70er- Jahren, der die Aufnahme von 1950 mit der schon recht wackeligen, aber unschlagbar präsenten Lotte Lenya benutzt.
Stilfragen sind wohl doch von der inhaltlichen Klärung nicht zu trennen – als „Artist in residence“ sollte Starsopranistin Christine Schäfer dem Kurt Weill Fest besonders attraktives Profil geben. Doch was im Vorjahr dem Pantomimen Milan Sladek so unnachahmlich gelang, blieb diesmal blass. Mit dem Palastorchester Max Raabe versuchte Schäfer vergeblich das freche Flair der Goldenen Zwanziger einzufangen, zeigte bis auf ein paar berührende Nuancen in „Surabaya Johnny“ lediglich ihre für diese Songs viel zu artifizielle, kostbar gepflegte Stimme vor. Natürlich, in ihrer Liedmatinee war sie dafür ganz bei sich selbst, durchleuchtete die vertrauten Gesänge von Strauss und Mozart mit phantasiereichen Details und wusste auch Verbindungslinien zwischen Bach und Weill, dem jüdischen Kantorensohn, zu ziehen. Doch „Nanas Lied“ geriet wieder viel zu opernhaft pathetisch. Beim Lotte Lenya-Wettbewerb, den es hoffentlich bald wieder einmal geben wird, hätte die gefeierte Sängerin damit wohl nicht gewonnen.
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