Wenn sich der Dresdner Opernchor durch seine Qualität in besonderer Weise auszeichnet, so hat das auch etwas mit der Struktur seines Einsatzes zu tun. Denn er ist beileibe nicht nur ein „Opernchor“. Er ist ganz selbstverständlich und regelmäßig auch in Konzerten mit der Sächsischen Staatskapelle präsent, ist Teil grandioser CD-Aufnahmen, war sogar 2001 mit Dvoráks „Stabat mater“ unter Giuseppe Sinopoli Anwärter auf den Grammy Award der Deutschen Grammophon Gesellschaft für die beste Choreinstudierung. Nicht zuletzt aus diesem Zusammenwirken in Oper und Konzert bezieht er seine Spannbreite eines immensen Repertoires, das oft nebeneinander, nahezu zur gleichen Zeit, geboten werden muss. Vor nicht allzu langer Zeit sang der Chor unmittelbar nacheinander in Wagners „Götterdämmmerung“, drei Tage später den 100. Psalm von Schütz in einer a-cappella-Version, Haydns „Schöpfung“ in einer Inszenierung des Ballett Dresden bis hin zu Michael Tippett im Konzert und daneben natürlich das gesamte klassische und moderne Repertoire des Opernbereiches. Und während gerade „Die Fledermaus“ Premiere hatte, beginnen schon die Proben für die Neuinszenierung der Alban-Berg-Oper „Wozzeck“ und für die nächsten Aufführungen der zeitgenössischen Opern „Lear“ und „Celan“... Nicht genug mit der Vielfalt der Aufgaben: Vielleicht hat auch mancher Zuschauer den Dresdner Staatsopernchor bei der ZDF-Übertragung aus der Dresdner Frauenkirche oder der MDR-Sendung aus der Semperoper mit jeweils weihnachtlichem Programm am Bildschirm erleben können. Wichtig vielleicht: Bei zahlreichen Konzertmitschnitten des MDR handelt es sich um Life-Übertragungen, die ja immer ganz besondere Anforderungen erfüllen müssen. Jeder Sänger ein SolistNoch vor wenigen Jahren waren Gastdirigenten überrascht, an der Semperoper einen Chor vorzufinden, der in jeder musikalischen Richtung stilsicher agiert – heute rechnen die Dirigenten damit und setzen den Chor entsprechend gern ein. So bedeutende Dirigenten wie Michael Boder, Sir Colin Davis, Myung-Whun Chung, Sir Eliot Gardener, Daniele Gatti, Bernard Haitink, Sir Neville Marriner, Fabio Luisi, Massimo Zanetti, um nur einige zu nennen, schätzen die Zusammenarbeit mit ihm. Hier Sänger zu sein heißt, wie ein Solist singen und agieren zu können, aber anders als dieser nicht in nur einem „Fach“ engagiert zu sein. (Ganz nebenbei: Manchmal übernimmt eine im Chor engagierte Sängerin oder ein Sänger auch kleinere, solistische Partien: Die Brautjungfern im „Freischütz“, die Edelknaben in „Tannhäuser“ und „Lohengrin“, die Knaben in der „Zauberflöte“, verschiedene Partien in „Madame Butterfly“, „A Midsummer Night’s Dream“ und zuletzt die Partie der Ida in „Die Fledermaus“ seien hier genannt.) Bei den abendlichen Vorstellungen und den täglichen Proben stellt der Opernchorsänger sein Können unter Beweis. Er kombiniert die musikalischen mit den gewünschten szenischen Anforderungen und führt sie zur Deckungsgleichheit – das in Dresden erreichte Niveau hält jedem Vergleich mit anderen deutschen Opernchören stand. Reizvoll und schwierig zugleich ist es, sich dabei innerhalb der Gemeinschaft aller Chorsänger integrieren, zurücknehmen und dennoch als Bühnenpersönlichkeit mit möglichst großer Individualität auftreten zu müssen. Nachwuchs-ArbeitChordirektor Matthias Brauer ebenso wie sein Stellvertreter Christof Bauer und der Chorrepetitor Christoph Heinig sorgen in umfangreicher Probenarbeit für eine hohe Klangkultur, die sich aus kraftvoller Stimmführung und homogenem, schlankem Chorklang auch im Opernbereich speist. Diese Kultur ist nicht nur seit Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten historisch gewachsen (Chorbegründer war im Jahre 1817 niemand anders als der Dresdner Hofkapellmeister Carl Maria von Weber). Auf diesem Fundament bauen Chorleitung und alle neunzig Chormitglieder gemeinsam weiter. Als sich die Leitung Sorgen wegen des mangelnden Nachwuchses machen musste, wurde 1989 ein Opernchorstudio gegründet, in dem seither gemeinsam mit der Hochschule für Musik Dresden Opernchorsänger praxisnah ausgebildet werden. So gelang es in den vergangenen Jahren, den Staatsopernchor wesentlich zu verjüngen. Aber noch immer fehlen bestimmte Stimmgruppen, gerade jetzt Tenöre (zur Zeit gibt es vier Vakanzen) und tiefe Bässe. Vereinzelt wurden deshalb schon Kräfte aus fernen Ländern auch für den Chor engagiert; aus Japan, Korea und der Ukraine kamen Mitarbeiter mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen und einwandfreier Phonetik ans Haus – beides eine Grundvoraussetzung für ein Festengagement. Ebenso wie sich Musiker der Staatskapelle zu kammermusikalischen Vereinigungen zusammenschließen, haben sich auch einige Opernchorsänger dem kammermusikalischen Singen verschrieben. Diese nebenberufliche Tätigkeit fördert außerhalb von beruflichen Zwängen, eigene musikalische Interessen zu pflegen, individuelle Kraft zu schöpfen und (im musikalischen Sinne) aufeinander zu hören – also die Dinge zu tun, die der Sänger im Berufsleben täglich braucht. Sänger und Sängerinnen des Dresdner Staatsopernchores agieren außerdem als ständige Gäste in verschiedenen Rundfunkchören und werden auch gern in den Bayreuther Festspielchor aufgenommen. Der Chor und die PresseWünsche? Vor allem, dass die Konzertarbeit in gleicher Intensität wie in der jüngeren Vergangenheit fortgesetzt werden möge. Das Singen im Konzert ist die hohe Schule des Chorgesangs und bildet eine Grundlage für seine Qualität. Ein weiterer Wunsch richtet sich vor allem an die Kritiker. Wenn – wie in der Neuinszenierung von „Götterdämmerung“ geschehen – der Chor vom Publikum mit Bravi bedacht und dann mit keinem einzigen Wort in der Rezension erwähnt wird, dann stimmt dies eben doch traurig. Mitwirkende (und der Staatsopernchor wirkt sicht- und hörbar in vielen Aufführungen mit) haben auch das Recht, bei guter Leistung zumindest benannt, besser noch: beschrieben zu werden. Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem „Theaterjournal“ der Sächsischen Staatsoper Dresden.
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