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Berichte

Himmel, Arsch und Wolkenstein

Winfried Hillers und Felix Mitterers „Wolkenstein“ im Staatstheater Nürnberg
Von Frieder Reininghaus

Das Unternehmen war grundsätzlich gemeint: als Speerspitze gegen das moderne Musiktheater. Das Sänger-Schwergewicht Bernd Weikl, das mit Sachs, Palestrina, Falstaff & Co. seine Meriten ersungen hat, konstatierte ein allgemeines „Elend des aktuellen Musiktheaters“ und forderte: „Die Komponisten müssen wieder lernen, wie man für Sänger schreibt – und das kann nur über tonale Musik gehen.“ In diesem Kontext erscheint es selbstverständlich, dass für die „Auferstehung der Oper“ auch „richtige“ Geschichten bereit gestellt werden.

 
 

Anne Lünenburger als Margarethe von Schwangau, Bernd Weikl als Wolkenstein. Foto: Marion Bührle

 

Für das Musterstück wurde Maß und Modell am spätmittelalterlichen Abenteurer und Minnesänger Oswald aus Südtirol genommen. Der muss eine „starke Type“ mit Dickkopf und Herz gewesen sein, ein freiheitsliebender Mann und ein Ausbund der Sinnlichkeit. Im emsigen Tiroler Dichter Felix Mitterer fand Weikl einen Kombattanten, der – unter Beibehaltung vieler mittelhochdeutscher Redewendungen – einen Text zu Wege brachte, der vor einigen Jahrzehnten, als es dergleichen noch gab, für eine Schulfunkreihe gut gewesen wäre.

Mitterer bändigte eine pralle Lebenslegende in acht Bilder – vom Jungentraum der Vogelleichtigkeit bis zur lebenssatten Melancholie des alten Recken, der fortdauernder Rauf- und Liebeshändel müde ist, erschöpft von Bruderzwist und renitenten Bauern, die von ihm allzu hart ausgepresst wurden. Bildungsweise wird in Erinnerung gerufen, dass der Herr von Wolkenstein als Zehnjähriger zuhause ausbüchste, vom Pustertal bis nach Portugal wanderte und sich Richtung Bosporus durchschlug. Als Laufbursch, Koch und Pferdedieb. Er diente König Siegmund, geriet in die Hände von dessen Widersachern, wurde in Meran gefangengesetzt. Da mag er Zeit gefunden haben, sein Œuvre zu arrondieren: 130 Lieder nebst zugehörigen Melodien sind erhalten, die von Aventuren künden, von den Nöten mit dem Geld und dem Glück mit Frauen, vom Essen und Trinken, von Kämpfen und Niederlagen. Das alles und dazu noch Hinweise auf Oswalds polyglotte Gewandtheit packte Mitterer ins Libretto, kommentierte auch die gesellschaftliche Außenseiterstellung des Künstlers (die allerdings war eher ein Problem des 19. als des 15. Jahrhunderts).

Wilfried Hiller visiert mit Harfe und Glasharfe, Zither und Hackbrett-Geklöppel, Flötenmelodei und Tamburin-Ostinato esoterisch getönte Gefilde an. Das achtköpfige Ensemble auf der Bühne, streckenweise mehr beschäftigt als die Nürnberger Philharmoniker im Graben, etabliert Klischees von Mittelalter-Musik – gestützt auf Oswalds Melodienschatzkästchen. Die fortdauernd kurzatmige Tontöpferei rekurriert ferner auf Carl Orffs Rhythmik und Jazz-Adaption, wie sie vor dreißig Jahren in der deutschen Schulmusik geschätzt wurden. Der Chor bleibt unsichtbar, auch wo – wie beim Ausflug zum Konzil von Konstanz – sich ein Tableau mit reger Anteilnahme des Volkes angeboten hätte. An der effektiven Fülle fehlt es bei den aus unergründlichen Tiefen quellenden Klängen nicht.

Hillers Ragout wirkt insgesamt wie schon einmal gegessen und nicht verdaut. Und obwohl die Gesangspartien auf Melodiosität hin angelegt wurden, erweisen sie sich nicht als sonderlich effektiv für die Sänger. Vergleichsweise am besten bedient scheint die Partie der Bürgerin Anna, einer Widersacherin und Geliebten des Titelhelden. Frances Pappas entwickelt eine gewisse Sinnlichkeit. Anne Lüneburger ist mit schwächelndem Sopran auf die Beglaubigung der Mutter-Rollen verwiesen. Hauptsächlich identifiziert sich Bernd Weikl mit dem Barden und Lebenskünstler Oswald. Der Hauptbetreiber des Projekts sagt von sich wie von ihm, sie seien „schwierig“. Aber ein wenig wirkt er nun als alternde Pop-Größe auch schmierig, zumal er bei mancher der ihm zugedachten melodiösen Figuren mehr laviert als mit ihr klare Tiroler Prosa prononciert.

Der Filmemacher Percy Adlon zog im Einheitsbühnenbild von Hartmut Schörghofer eine Revue durch. Flexible Öffnungen in der Wand mit der Wappen-Tapete erlauben unterschiedliche Einblicke in domestizierte Episoden aus einer versunkenen Welt. Ein paar an den Vorhang geheftete Symbole verweisen dekorativ auf die Historizität des Unternehmens. Das entwickelt bei der Konstanz-Szene schließlich eine gewisse schäbige Munterkeit: Drei Päpste mit offenen Hosenschlitzen werden in Holzzubern von Baderinnen verwöhnt und der geile alte König kommt wohl auch auf seine Kosten. Derweil wettert Johannes Huß im Gitterkäfig über den Sündenpfuhl und wird mit der Höchststrafe aus dem Bild geheizt.

Auch diese Episode kommt über abgenützte Klischees nicht hinaus. Weder die zum Aufbruch in die Neuzeit drängenden großen Kräfte des 15. Jahrhunderts noch die Schärfe der Antagonismen jener Geschichtsepoche werden lebendig oder problematisiert. Ein grundsätzlich reaktionär gemünztes Theater-Projekt, dessen Substanz nicht einmal Volkshochschul-Niveau erreicht, erscheint wenig geeignet, die Freiheitshoffnungen und den Lebenskampf des ungebärdigen Oswald zu transportieren. Der derbe Dichter und die Idee einer neuen Historienoper hätten Besseres verdient.

rieder Reininghaus


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