Die Oper wurde 1951 in Berlin/DDR aus der Taufe gehoben und in Ost wie West hin und wieder als Antikriegsstück gespielt. Im Werk geht es um die soziale Vision, dass ein (mit einst Unterdrückten besetztes) Totengericht die Taten eines verstorbenen Kriegshelden misst und über dessen Verbleib in der Geschichte entscheidet. Czellnik dreht den Spieß hier einmal ganz und gar um: Lukullus steht nicht ernsthaft Rede und Antwort, vielmehr sorgt er – perfekter Wahlkampf! – mit allen Mitteln für ein makelloses Bild in der Öffentlichkeit. Tenor Kor-Jan Dusseljee spielt und singt die Figur als raffinierten Manipulator, der je nach Lage der Dinge Charme oder rohe Gewalt, Stimmkraft und Kulinarik einzusetzen versteht. Ein zweiter „Medienprofi“ ist ihm zur Seite gestellt: der Kommentator, der den zentralen Vorgang der Handlung, das Verhör des Feldherrn, als Gerichtsshow anmoderiert. Markus John, Schauspieler, gibt einen Clown, der in Gestus, Kostüm und Charakter sehr farbenreich changiert. In der Oper, die Dessau und Brecht unter politischem Druck um eine Verurteilungsszene ergänzten, entzündet sich am Triumph-Fries des Feldherrn ein Diskurs über den Begriff der Geschichte, die bekanntlich stets im Dienste der jeweils Herrschenden steht. Brechts Ansinnen war es, bei den Toten zumindest einmal die Opfer zu Sprache und Recht gelangen zu lassen. Dass in Czellniks Regie von dieser Utopie nicht sehr viel bleibt, wirkt als sensibler Reflex auf jüngste Geschichte und die gegenwärtige Entwicklung der Welt. Bühnenbildner Hartmut Meyer hat die Unterwelt-Szenen in ein leeres Studio verlegt, in dem es in der Art von Gewinnshows zugeht. Auch entsprechende Personage ist zugegen: Gegängelte, Looser, Gescheiterte verkörpern ein manipulierbares Volk, das unterhalten, jedoch nicht aufgeklärt werden soll. Paul Dessaus Theatermusik kann die Reduktion auf das Clownsspiel bestens verkraften. Gast Eberhard Kloke am Pult des Orchesters der Komischen Oper bringt sinnliche wie zirzensische Momente gut auf den Punkt. Der Chor des Hauses ist weniger szenisch als musikalisch gefordert – vor allem die gespenstischen Massenspektakel stemmt er sehr konzentriert. Das Hauptpotenzial der Musik, Figuren und Vorgänge zu persiflieren, verdeutlicht sich bis ins Detail – zum Beispiel, wenn die Musik die Gattung Oper zitiert und Lukullus vom Belcanto-Tenor in den Hysteriker kippt. Nur einmal stockt dessen hyperaktives Gebaren: wenn nämlich das Fischweib, die Mutter des im Kriege Vermissten, die Szene betritt und einen Moment dominiert. Die Partie ist mit Gabriela Maria Schmeide besetzt – einer Schauspielerin, die ihrem Gesang alles Sentimentale auszutreiben vermag. Angesichts der Wahrhaftigkeit dieser Frauenfigur zieht der Feldherr seine wichtigste Karte. Er packt die Elenden bei ihrem wundesten Punkt, beim Hunger, und führt eine hypermoderne Kochzeile vor. Höchstselbst drapiert er die Vorspeisen, die Schöffen, Zeugen und Opfer bald ohne Unterschied verschlingen. Die Kirschbaum-Szene danach, die letzte Station vor dem Urteil, schreibt seinen VIP-Status fest: Die mit zahllosen Toten erkauften Früchte sind Mode, Lukullus wird Kult, der Moderator spielt selber den Kirschbaum und der eingangs vom Pöbel geteerte und gefederte Richter reibt sich den Körper mit Fruchtsäften ein. Die Hölle – einst Wunschbild, jetzt Quizshow – scheint ganz aus den Fugen zu sein. Genau dies wäre das optimale Finale. Hier zu schließen und das chorische Rondo „Ins Nichts mit ihm“ (wie auch andere Szenen der Oper) zu streichen, hat die Komische Oper dann leider doch nicht gewagt. Bedauerlich – man hätte so einen Ur-„Lukullus“ zu bieten gehabt und – wie von den Autoren gedacht – ein eigenes Weiterdenken erforderndes offenes Ende. Frank Kämpfer  | 
  ||||||||||||||||||||||||||
|  
       
 
 
  |