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Erinnerung an jüdische Mitbürger
Das Stadttheater Fürth im Porträt · Von Juan Martin
Koch Es könnte ein versöhnliches Ende sein: 33 Tänzerinnen
und Tänzer bilden einen Kreis, nehmen sich an der Hand und
steigern ihren Rundtanz zu immer ausgelassenerer Freude. Dann kommen
die Musiker hinzu, spielend und singend treten alle zusammen nach
vorne an die Rampe und stecken das Publikum mit ihrer Begeisterung
an. Doch das ist noch nicht ganz das Ende dieses in vielerlei Beziehung
einzigartigen Tanzabends am Stadttheater Fürth. „Mayim
Mayim“ heißt er und das ist auch das getanzte Lied,
in das er gegen Ende mündet, eine hebräische Weise, die
das Leben spendende Element Wasser feiert.
Die Geschichte
In der Stadt Fürth, die in diesem Jahr ihren 1.000. Geburtstag
begeht, hatte jüdisches Leben seit dem 15. Jahrhundert eine
prägende Rolle gespielt. Die 1657 hier gegründete Talmudschule
zählte zu den bedeutendsten Europas, Ende des 19. Jahrhunderts
lebten über 3.000 Menschen jüdischen Glaubens im „fränkischen
Jerusalem“ und sie waren es auch, die den neuen Theaterbau
von 1902 maßgeblich mit Spenden unterstützten. Vor allem
als Uraufführungsbühne für Operetten profilierte
sich das Haus in den 1920er- und 1930er-Jahren, der schwierigen
Nachkriegszeit folgte eine „Theaterehe“ mit dem benachbarten
Nürnberg. Nach deren Ende konnte es sich wieder eine gewisse
Eigenständigkeit erarbeiten, blieb als Bühne ohne eigenes
Ensemble zunächst freilich auf Gastspiele aller Sparten angewiesen. Drei Säulen Werner Müller, seit 1990 Intendant in Fürth, war das
zu wenig. Die Ressourcen des Theaters müssten weiter reichen,
glaubte er, und begann das aufzubauen, was als Drei-Säulen-Modell
mittlerweile eine Fürther Erfolgsgeschichte genannt werden
kann. Bei den Gastspielen fing er an, mit einigen renommierten
Häusern, etwa dem Bochumer Schauspielhaus oder den Münchner
Kammerspielen, die Zusammenarbeit in eine Kontinuität zu bringen. „Das
sichert zum einen die Qualität und birgt überdies den
Reiz, dass man über einen längeren Zeitraum auch eine
gewisse Handschrift, das Profil des jeweiligen Hauses verfolgen
kann“, so Werner Müller im Gespräch mit Oper&Tanz.
Zu dieser ersten Säule, die auch Musiktheatergastspiele etwa
des Münchner Gärtnerplatztheaters oder der Dresdner Staatsoperette
einschließt, kommen als zweites Element regelmäßige
Koproduktionen mit anderen Bühnen und Ensembles, vornehmlich
aus der Region hinzu. Und was 1994 mit einer ersten Eigenproduktion
begann, hat sich im Lauf der Jahre zur dritten Säule des Theaters
mit mittlerweile zehn bis zwölf eigenen Premieren pro Jahr
entwickelt. Der Jahresetat von gut fünf Millionen Euro reicht
dabei nach wie vor nicht für ein festes Ensemble, aber viele
Künstler sind dem Haus seit langer Zeit verbunden und prägen
so den Charakter vieler Produktionen. In dieser Saison zählte
eine Auftragsoper zum Stadtjubiläum dazu: Hans Kraus-Hübners „Ganna
oder Die Wahnwelt“ nach dem Roman des Fürther Erfolgsschriftstellers
Jakob Wassermann scheiterte allerdings trotz engagierter musikalischer
Umsetzung weitgehend an seinem den autobiografischen Plot ungeschickt überhöhenden
Libretto (Jörg W. Gronius). Tanztheater
Die Nähe zum Nürnberger Staatstheater ist, was die Zuschauerzahlen
betrifft, kein Problem für Fürth. Der Großraum,
zu dem auch Erlangen gehört, hat mit etwa eineinhalb Millionen
Einwohnern genügend Interessierte für mehrere Bühnen,
was sich auch in der Publikumsstruktur zeigt: 30 Prozent der Besucher
sind Nürnberger und diese sind mit dem selben Anteil auch
im Theaterverein vertreten, der laut Müller mit über
2.200 Mitgliedern zu den größten in Deutschland zählt.
Eine besondere Beziehung hat das Fürther Publikum zum Tanztheater.
Schon zu Beginn seiner Amtszeit seien die Abonnements mit eintägigen
Gastspielen renommierter Compagnien gut angenommen worden, sagt
Werner Müller, mittlerweile besuchen 1.800 Abonnenten die
3 Ballettreihen, darunter viele von außerhalb der Region: „Wir
sind zu einer Art melting pot des modernen Tanzes in Süddeutschland
geworden.“
Maßgeblichen Anteil daran hatte die Tänzerin und Choreografin
Jutta Czurda, die mit ihrem „Czurda Tanztheater“ bis
1997 über zehn Jahre lang in Fürth wirkte, um dann ihren
kreativen Schwerpunkt auf den Gesang und ihre feste künstlerische
Mitarbeit am Fürther Theater zu legen. Sie war es auch, die
die Idee hatte, zum Stadtjubiläum an ein besonders erschütterndes
Ereignis in der Leidensgeschichte der jüdischen Bevölkerung
zu erinnern: Wahrscheinlich 33 Kinder wurden am 22. März 1942
aus dem jüdischen Waisenhaus in Fürth deportiert, der
Leiter Isaak Hallemann und seine Frau Klara gingen, trotz der Möglichkeit
zur Ausreise, mit ihnen. Miniaturen des Erinnerns
Czurdas Einladung an Choreografen aus aller Welt, die Patenschaft
für eines der ermordeten Kinder in Form einer eigenen Tanzminiatur
zu übernehmen und dafür ein Mitglied ihre Compagnie nach
Fürth zu entsenden, stieß auf große Resonanz;
ebenso die Aufforderung an Fürther Bürger, als „Gasteltern“ wiederum
eine Patenschaft für die Tänzer
zu übernehmen. Der Erfolg der Aufführung war somit zum
einen dem Engagement der Gäste und der Gastfreundschaft der
Fürther zu verdanken. Zum anderen gelang es Jutta Czurda,
die naturgemäß vereinzelten „Miniaturen des Erinnerns“ trotz
der kurzen gemeinsamen Probenzeit unter einen gro-ßen Bogen
zu spannen. Kleine Begegnungen der Tänzer zwischen ihren Soli
wirkten wie Überblendungen und setzten so die Einzigartigkeit
jedes Beitrags ebenso ins Licht wie die übergeordnete Idee.
Am Ende des ersten Teils führte sie das ganze Ensemble zu
einem stummen Schrei zusammen, ganz organisch herauswachsend aus
der vor Intensität berstenden Szene der Costaricanerin Elvira
Zúñiga. Ohne ein musikalisch tragfähiges Konzept hätte all dies
freilich kaum gelingen können. So war es ein Glücksfall,
wie Gregor Hübner, als eminenter Geiger im Jazz und in anderen
Stilen zuhause, mit einer exquisiten Band und der finnischen Sängerin
Sanni Orasmaa den Abend mit hochklassigen eigenen Kompositionen
und Improvisationen (dazu Pärt und Schubert) nicht nur zusammenhielt,
sondern prägend mitgestaltete.
Dass manche Miniaturen einander im trauernden Gestus oder gar
bis in einzelne Gesten hinein ähnelten (etwa das Verdecken der
Augen mit Händen und Armen), lag nahe, umso faszinierender
war es zu beobachten, wie die Tänzerinnen und Tänzer
diese verwandten Konzeptionen auf ganz eigene Weise umsetzten.
Markante Akzente kamen andererseits von Persönlichkeiten wie
dem Australier Anton Lock (Compagnie Meryl Tankard), mit Fächer
und Elementen des Martial-Arts-Films, Doron Gueta von der Kibbutz
Contemporary Dance Company mit einer beklemmenden, immer wieder
von „Raus“-Rufen rhythmisierten Studie oder dem Spanier
Albert Quesada, der mit verzweifelter Ausgelassenheit dem Publikum
weitgehend den Rücken zuwandte.
Es war, als hätte man in die Zukunft eines jeden einzelnen
Kindes gesehen, hätte verfolgt, was aus ihnen geworden, welch
unterschiedliche Persönlichkeiten in ihnen herangereift wären.
Die Zahl 33 erwachte zum Leben. Denn nicht nur Trauerarbeit wurde
geleistet, zu Beginn des zweiten Teils beschworen Tänze aus
dem Senegal, Sri Lanka und Indien die Kraft traditioneller Kunst.
Und am Ende, nach dem Rundtanz, deckte man gemeinsam eine Tafel,
Gläser wurden mit Wasser gefüllt, die Tänzer traten
zurück, und 33 Plätze blieben leer. Juan Martin Koch
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