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Hintergrund

Lachen soll das Publikum

Ein Gespräch mit dem Sänger Max Raabe

Seit über 30 Jahren ist Max Raabe mit dem Palast Orches­ter auf der Bühne. Georg Rudiger hat sich mit dem ausgebildeten Opernsänger unterhalten über die richtige Mischung zwischen Ernst und Komik, seine Zusammenarbeit mit Herbert Grönemeyer und über die Frage, wie politisch ein Künstler sein muss.

Georg Rudiger: „Kein Schwein ruft mich an“, beklagen Sie sich in Ihrem ersten Hit aus dem Jahr 1992. In diesem Augenblick meldet sich nun ein Journalist, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Bekommen Sie gerne solche Anrufe?

Max Raabe alias Matthias Otto. Foto: Gregor Hohenberg

Max Raabe alias Matthias Otto. Foto: Gregor Hohenberg

Max Raabe: Das ist schon wichtig für uns. Wir haben jetzt ein neues Album auf dem Markt und gehen auf Tournee. Wenn darüber nicht berichtet wird, dann versandet das.

Rudiger: Gehören Sie demnach nicht zu den Künstlern, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen?

Raabe: Das ist ganz unterschiedlich. Manche Interviews sind ganz grässlich und kommen nicht aus dem Quark. Andere laufen eher als Gespräch ab und sind inspirierend.

Rudiger: Max Raabe ist ein Künstlername. Ist Max Raabe auch eine Kunstfigur?

Raabe: Sobald ich meinen Frack anziehe, bin ich in der Rolle. Wenn ich den Frack dann wieder ablege, bleibt immer noch etwas hängen von dem, was ich auf der Bühne getan habe. Aber eigentlich kann ich das gut trennen.

Rudiger: Wie kam es zu dem Namen?

Raabe: Meine Schulkameraden haben eigentlich alle Matze oder Maxe zu mir gesagt. Das habe ich übernommen. Ich wollte ja eigentlich an die Oper. Mit den zwei verschiedenen Namen konnte ich gut die leichte Muse von der ernsten Oper trennen.

Rudiger: Sie haben im Jahr 1986 noch als Gesangsstudent in Berlin das Palast Orchester mitgegründet, um die Musik aus den Goldenen Zwanzigerjahren zu spielen. Warum diese Schlager, warum diese Zeit?

Raabe: Ich hatte immer schon ein Faible für dieses Repertoire. Als ich noch Mess-diener war, habe ich mir zuhause den Hochzeitszylinder meines Vaters aufgesetzt und mit einem Freund am Klavier bei bunten Abenden „Mein Papagei frisst keine harten Eier“ gesungen. Als ich dann zum Gesangsstudium nach Berlin gekommen bin, fand ich auf dem Flohmarkt Orches­terarrangements dieser alten Schlager. Diese Sachen spielten wir bei Studentenbällen. Das kam von Beginn an sehr gut an. Diese Lieder haben etwas Zeitloses – einen Witz, der auch heute noch zündet.

Rudiger: Auf der Bühne strahlen Sie auch eine ironische Distanz zu den Liedern und zu den Texten aus. Wie wichtig ist Ironie für Ihren Umgang mit dieser musikalischen Vergangenheit?

Raabe: Ich nehme die Kompositionen und Texte sehr ernst und versuche auch nicht, auf der Bühne komisch zu sein, sondern die Texte und die Eleganz der Melodien für sich sprechen zu lassen. Die Ironie, die Sie da sehen, habe ich mir gegenüber. Mich selbst nehme ich nicht ernst. Aber das, was wir mit dem Palast Orchester machen, nehmen wir sehr ernst.

Es ist schon eine merkwürdige Entwicklung, dass die Verwertung von Musik durch grosse Internetplattformen nicht angemessen honoriert wird.

Rudiger: Aber es entsteht doch Ironie, wenn Sie Klamaukstücke wie „Mein Gorilla hat ’ne Villa im Zoo“ mit todernster Miene vortragen.

Raabe: Komik entsteht auf jeden Fall. Komische Dinge ernsthaft vorzutragen, finde ich lustiger als einen Witz zu erzählen – und sich selbst dabei schlappzulachen. Das behagt mir nicht. Lachen soll das Publikum.

Rudiger: Dem Stil der 20er-Jahre sind Sie auch bei den neu komponierten Stücken treu geblieben. Auf dem neuen MTV-Unplugged-Album arbeiten Sie mit ungewöhnlichen Gästen zusammen, die aus ganz anderen Musikrichtungen kommen wie Herbert Grönemeyer, Namika, Samy Deluxe oder die finnische Hardrock-Gruppe Lordi. Haben Sie die Gesangspartner ausgewählt?

Raabe: Selbstverständlich. Wir hatten die Idee, für dieses MTV-Unplugged-Album Künstler einzuladen, auf die man nie käme, wenn man an Max ­Raabe und das Palast Orchester denkt. Der Reiz für mich war, dass sich diese Interpreten auf unser Repertoire einlassen und sich in unsere Welt begeben.

Rudiger: Sie fangen auf dem Album aber nicht an zu rappen oder zu grölen, sondern bleiben Ihrer Art zu singen treu – mit feinem Falsett, schönem Legato, stark gerolltem R und weicher Tiefe. Hat die Begegnung mit den musikalischen Gästen Sie trotzdem beeinflusst?

Foto: Gregor Hohenberg

Foto: Gregor Hohenberg

Raabe: Es macht einfach Spaß, mit Leuten zu arbeiten, die begabt sind und einen eigenen Blick auf Stücke werfen, die man zu kennen glaubt. Am Eindrücklichsten war das bei Herbert Grönemeyer, der das Lied „Du weißt nichts von Liebe“, das ich zusammen mit Annette Humpe geschrieben habe, auf eine Art und Weise interpretiert hat, auf die ich nie gekommen wäre. Er hat das Stück komplett neu hingestellt. Das Lied hat eine solche Kraft entwickelt, dass mir fast die Tränen gekommen wären.

Rudiger: Welche Vorgaben hatten die Gäste?

Raabe: Wir haben ihnen einfach ein paar Stücke vorgestellt, aus denen sie sich etwas ausgewählt haben. Namika hat sich sofort „Küssen kann man nicht alleine“ ausgewählt, das sie schon sehr lange kennt und mag. Auch Herbert Grönemeyer kannte „Du weißt nichts von Liebe“. Bei den anderen haben wir ein bisschen herum­experimentiert.

Rudiger: Ist in Ihrer aktuellen Live-Show mit dem Titel „Der perfekte Moment wird heut’ verpennt“, mit der Sie und das Palast Orchester am 16. November im Festspielhaus Baden-Baden gastieren, etwas von dieser Zusammenarbeit eingeflossen?

Raabe: Wir übernehmen Stücke aus dem neuen Album, die dann vielleicht ein wenig anders klingen als gewohnt. Gäste haben wir allerdings keine dabei. Und ich werde mich auch nicht am Rap-Part von Samy Deluxe versuchen.

Rudiger: Sie sind seit über dreißig Jahren im Musikgeschäft. Was hat sich verändert?

Raabe: Unser Publikum hat sich sehr verjüngt. Dafür sind sicherlich auch die neu geschriebenen Stücke verantwortlich. Es kommen inzwischen viele Kinder ins Konzert. Verse wie „Ich bin ein Fisch im Ozean“ oder „Heut mach’ ich gar nichts“ gefallen Erwachsenen und Kindern gleichermaßen.

Rudiger: Und wie fällt Ihr allgemeiner Blick auf das Musik-Business aus? Es hat bekanntlich große Veränderungen gegeben. Mit CD-Verkäufen kann man wegen der Streamingdienste kein Geld mehr verdienen. Die Live-Konzerte sind wichtiger geworden.

Raabe: Es ist schon eine merkwürdige Entwicklung, dass die Verwertung von Musik durch große Internetplattformen nicht angemessen honoriert wird. Wir haben allerdings immer schon von unseren Konzerten gelebt. Unsere Alben waren eher Dreingaben. Mit unseren rund 80 Konzerten im Jahr in Deutschland, der Schweiz und Österreich, aber auch in Skandinavien oder den USA verdienen wir unser Geld. Das lastet uns aus und macht uns auch am meisten Spaß.

Die Säle, in denen wir spielen sind größer geworden. Wir werden immer entspannter. Ich habe das Gefühl, meine Moderationen sind klarer als früher und meine Stimme sitzt noch besser. Das ist eigentlich ein großes Glück.

Rudiger: Sie singen leichte, humorvolle Lieder aus der liberalen Weimarer Republik, die durch den aufkommenden Nationalsozialismus gefährdet und schließlich mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestürzt wurde. Rechtsextremismus und Antisemitismus sind in der heutigen Gesellschaft wieder er­starkt. Bleiben Ihnen da manchmal die Worte der Schlager im Halse stecken?

Raabe: Was meinen Sie? Welche Stücke könnten das sein?

Unser Repertoire tut alles dafür, dass der Blick geschärft bleibt. Ironie und rechtes Gedankengut gehen nicht zusammen.

Rudiger: Die frivolen und klamaukigen Lieder beispielsweise, die die Roaring Twenties repräsentieren. Ein breites Fernsehpublikum hat es auch in der Serie „Babylon Berlin“ gesehen, wie diese übermütige, überdrehte Stimmung während der 20er-Jahre allmählich kippte. Sind Sie davon berührt, wenn Sie diese Lieder singen mit dem Wissen um das, was danach gekommen ist – und gleichzeitig auch gegenwärtig das Erstarken der Rechten betrachten?

Raabe: Das, was Sie beschreiben, sollte jeden berühren – egal, welchen Beruf man ausübt. Die Geschichte wiederholt sich ja nicht. Die Katastrophen kehren anders zurück. Man muss natürlich die Dinge im Auge behalten. Unser Repertoire jedenfalls tut alles dafür, dass der Blick geschärft bleibt. Denn Ironie und rechtes Gedankengut gehen nicht zusammen.

Rudiger: Es wird gegenwärtig auch in der klassischen Musik sehr darüber diskutiert, wie politisch ein Künstler sein muss. Können Sie sich als Künstler auch hinter der Kunstfigur Max Raabe verstecken? Ihre Ansagen zwischen den Stücken sind andere als beispielsweise von Herbert Grönemeyer bei seinen Konzerten.

Raabe: Meine Ansagen haben immer Ironie und Distanz. Ich kann jetzt nicht plötzlich anfangen, den Leuten die Welt zu erklären. Das passt nicht zu mir. Und passt auch nicht zu dem, was ich auf der Bühne mache. Wenn ich mich irgendwo sozial engagieren kann oder in einer Talkshow nach meiner Meinung zu Rechtsextremismus gefragt werde, dann bin ich natürlich dabei. Ich finde die politischen Ansagen von Herbert Grönemeyer in seinen Konzerten sehr gut und tapfer. Meine politische Meinung kann jeder von mir hören, nur nicht bei unseren Konzerten.

Rudiger: Felix Kummer, der Sänger der Rockband Kraftklub, hat 2018 nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz das „Wirsindmehr“-Konzert mitorganisiert. Auf seinem neuen Soloalbum singen Sie gemeinsam ein Lied mit dem Titel „Der Rest meines Lebens“. Wie sind Sie zusammengekommen?

Raabe: Er hat mich gefragt, ob ich bei diesem Song auf dem Album dabei sein will. Der Text hat mich angerührt – ich habe sofort zugesagt. Felix Kummer kannte ich natürlich vorher schon. Ich schätze sein politisches Engagement. Und auch die Ironie in seinen Stücken.

Rudiger: Bleiben Sie den Rest Ihres Lebens Ihrem musikalischen Stil treu?

Raabe: Wenn mich das Publikum hören möchte, könnte ich mir gut vorstellen, dass ich weitermache wie bisher. Es passiert ja immer auch etwas Neues. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass ich ein Duett mit Lordi singe und dieses Unplugged-Album mache?

Rudiger: Welches Lied ist Ihr Lieblingslied in der aktuellen Show?

Raabe: Immer das, was ich gerade singe. Ich überlege mir genau, wie ich den Abend anfange und welche Dramaturgie wir entwickeln. Da hat dann jedes Lied seinen genauen Platz. Wenn wir bei den Konzerten merken, dass das eine oder andere nicht funktioniert, dann schmeißen wir es raus oder stellen die Reihenfolge um. Es muss dem Publikum gefallen. Und mir.

Georg Rudiger

 

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