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Ich will nicht alles kontrollieren

Dominique Dumais, Direktorin der Tanzcompagnie am Mainfranken Theater Würzburg

„Wenn wir Kunst machen wollen, braucht es vor allem ein ausgeprägtes Interesse an Selbstentwicklung“, sagt Dominique Dumais. Seit der Spielzeit 2018/2019 ist die Kanadierin aus Lac Saint-Jean in Quebec Direktorin der Tanzcompagnie am Mainfranken Theater Würzburg. Und wer ihre Tanzabende besucht, erlebt, was sie meint: In ihren Produktionen – der Adaption des Stückes „Chansons“, ihrer neuen Arbeit „Muttersprache“ oder auch in „Ludwigs Leidenschaften“ über Beethovens Leben und Wirken – begegnen die Zuschauer den Tänzerinnen und Tänzern nicht allein in Rollen, sondern auch in ihrer Persönlichkeit.

Oder, mit Dumais‘ Worten: Für Bühnenkunst brauche es Neugier, den Willen Chancen zu ergreifen, den Wunsch zu entdecken und den Mut, sich auch einmal verletzlich zu zeigen. Was den Zuschauer immer wieder fasziniert, ist, wie fließend es Dumais in ihren Produktionen gelingt, Individuen zur Gruppe verschmelzen zu lassen. Und, umgekehrt, aus der Gruppendynamik heraus wie selbstverständlich intensive persönliche Momente zu entwickeln.

Dominique Dumais. Foto: Michaela Schneider

Dominique Dumais. Foto: Michaela Schneider

Ihre eigene Tanzausbildung genoss die heute 51-Jährige an der National Ballet School in Toronto. 1984 trat sie dem National Ballet of Canada bei, wurde zur Solistin ernannt und tanzte selbst im klassischen wie zeitgenössischen Repertoire. Dumais‘ Lebensgefährte, der Choreograf Kevin O’Day, kam im Sommer 2018 als Artist in Residence mit ans Dreispartenhaus in Unterfranken. Die Rollen hatten die beiden damit quasi getauscht: Am Nationaltheater in Mannheim hatte seinerzeit O’Day als Direktor der Tanzcompagnie gearbeitet – und Dumais ab August 2002 als Hauschoreografin und stellvertretende Direktorin. Über die Frage, wer bei zwei Choreografen mit unfraglich starkem Charakter daheim die Hosen anhabe, muss Dominique Dumais lachen. „Unsere Tochter ist jetzt zwölf Jahre. Wir haben inzwischen drei Direktoren daheim. Das macht es manchmal schwierig.“

Zwischen März 2013 und August 2016 arbeitete Dumais also in Mannheim als stellvertretende Ballettintendantin und anschließend bis zur Anstellung in Würzburg als freischaffende Choreografin und Dozentin. Ihr kreatives Schaffen ist dabei beachtlich: Mehr als 40 Uraufführungen verantwortete die Kanadierin, darunter zwölf abendfüllende Produktionen wie „Frida Kahlo“ oder „The Little Prince“. „Ich war Ballerina, das ist komplett in meiner DNA“, sagt Dumais. Als Choreografin und Direktorin hat sie sich dennoch vom klassischen Ballett weitgehend gelöst. „Dass der höchste Ausdruck von Schönheit im Ballett liegt, stimmt für mich so nicht mehr“, sagt sie und greift zum anschaulichen Vergleich: Eine Frau müsse keine High Heels tragen, um schön zu sein. Contemporary spreche mehr aus der Zeit heraus, in der wir lebten. Zeitgenössischer Tanz könne tiefe Einblicke in die menschliche Natur gewähren.

Spätestens mit ihrer in der vorigen Spielzeit neu erarbeiteten Produktion „Muttersprache“ wurde manchem Würzburger Theaterbesucher wohl klar, was Dumais und ihre zwölf Tänzerinnen und Tänzer vermitteln wollen. Die Tanzdirektorin erreichte seinerzeit viel Post, unter anderem war darin, frei zitiert, zu lesen: Noch nie habe der Schreiber nebeneinander so viel Verletzlichkeit und Stärke in einer Tanzproduktion erlebt. In der Stückbeschreibung war damals zu lesen: „Eine Tanzcompagnie ist ein ganz eigener Mikrokosmos und oft ein Schmelztiegel der Kulturen. Zwölf Tänzerinnen und Tänzer aus England, Spanien, Italien, Kanada, Tschechien, Mauritius, Hongkong und Ungarn bilden das neue Tanzensemble. Sie alle haben individuelle persönliche, kulturelle und künstlerische Hintergründe und bauen in Würzburg an ihrer gemeinsamen künstlerischen Heimat. Vom ‚Er-Finden‘ einer gemeinsamen Bewegungssprache, dem Aufbau einer Gemeinschaft und dem Annehmen der Eigenheiten des jeweils anderen erzählt der Abend ‚Muttersprache‘.“

„#mythos“ (Premiere im April 2020). Foto: Nik Schölzel

„#mythos“ (Premiere im April 2020). Foto: Nik Schölzel

Die große Herausforderung war damals: Als Dumais ihren neuen Posten in Würzburg antrat, musste sich ein komplett neues Ensemble zusammenfinden. Einzelne Tänzer/-innen hätte Intendant Markus Trabusch zwar nach der Trennung von der vorigen Ballettdirektorin Anna Vita gern in Würzburg gehalten; sie verließen das Mainfranken Theater seinerzeit aber geschlossen. Beim Vortanzen sechs Monate vor Saisonbeginn achtete Dumais nicht nur auf die individuellen Fähigkeiten der Frauen und Männer, sondern vor allem auch aufs Harmonieren in der Gruppe. Es gehe um „relationships“, sagt Dumais. Die Chemie müsse in einer Compagnie stimmen. Jeder Tänzer, jede Tänzerin müsse bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Ballett, moderner Tanz, Partnerarbeit und Improvisation standen beim Vortanzen wenig überraschend auf dem Programm. Aber eben auch das persönliche Gespräch mit der Tanzdirektorin. „Wir haben Worte, Geschichten und Erfahrungen in uns“, sagt Dumais. Wer in der Kunst darauf baue, sei in der Lage etwas auszudrücken ohne in Klischees zu verfallen.

„Ich will nicht alles kontrollieren, ich will, dass die Tänzerinnen und Tänzer Individuen bleiben“, erklärt Dumais einen ihrer zentralen Werte. Eine Rolle spielen dabei immer wieder Improvisationselemente. „Lässt man es zu, dass die Tänzerinnen und Tänzer aus gewohnten Bahnen ausbrechen, sieht man auch als Choreografin neue Dinge, jenseits von Klischees.“ Bringe man Tanz zu stark in Strukturen, sehe alles gleich aus. Bei zu freier Bewegung wiederum fehle die Struktur.

In „Ludwigs Leidenschaften“ hatte sie für eine Passage nur Bausteine erarbeitet, ein Pianist improvisierte am Flügel auf der Bühne über Beethovens „Für Elise“. Die Tänzer wagten das Experiment, live Bewegungsbausteine zu kombinieren, zu interpretieren und zu improvisieren. Auch in der aktuellen Produktion „Es war einmal…“ von Kevin O’Day hatte der Artist in Residence zwar für eine Passage eine Choreografie erarbeitet, die sehr unterschiedlichen Klangelemente aber wurden per Zufall eingespielt. Welchen Ausdruck, welche Gefühle sie zu den choreografierten Bewegungen jeweils transportieren wollten, entschieden die Tänzer spontan.

Ehe Dominique Dumais seinerzeit den neuen Posten in Würzburg antrat, blickte mancher Würzburger den sich ankündigenden zum Teil doch recht experimentellen Ansätzen in der Tanzsparte mit einer gewissen Skepsis entgegen, zumal Vorgängerin Anna Vita mit ihren Handlungsballetten und getanzten Märchenerzählungen eine beachtliche Fangemeinde hinter sich versammelt hatte. „Ich war auf ein sehr reserviertes, kühles Publikum vorbereitet“, erinnert sich Dumais an ihren Amtsantritt im Sommer 2018. Und sei von sehr neugierigen, offenen Theaterbesuchern überrascht worden.

Bewusst stellte sie sich dem Publikum damals mit der Neuadaption des Tanzabends „Chansons“ vor. „‚Chansons‘ baute eine Brücke zwischen mir und dem Publikum. Es bot sich an als Stück, um sich gegenseitig kennenzulernen und die Hand zu reichen.“ Mit Zuschauern sprach sie darüber, weshalb sich in ihren Produktionen Bewegung nicht nur in der Bühnenmitte, sondern häufig auch am Boden abspielt. Sie redete über die Schwerkraft als einer natürlichen Kraft, die nun mal Teil des Menschen sei. Sehe Bewegung nach Kontrollverlust, vielleicht einmal auch mehr nach Kampf als nach Tanz aus, sei dies vielleicht Ausdruck genau dessen, was Menschen fühlten. „Theater und Tanz sollen nicht Walt Disney sein“, ergänzt Dumais noch. Sie schätze inzwischen, wie geschichtsverwurzelt die unterfränkische Bischofsstadt sei und wie sich Würzburg gleichzeitig weiterentwickle.

Inzwischen arbeitet Dominique Dumais zusammen mit ihrem Tanzensemble an der nächsten eigenen abendfüllenden Produktion, diesmal mit Orchester und Chor. Premiere feiern wird „#mythos“ am 25. April. Es werde um Sagen über griechische Gottheiten gehen. Die antiken Mythen hielten sich hartnäckig und hätten nichts von ihrer Faszination eingebüßt, heißt es in der Vorankündigung. Und weiter: „Das liegt wohl auch daran, dass die Geschichten gar nicht so angestaubt sind, wie sie zunächst erscheinen mögen. Im Gegenteil: Die griechischen Gottheiten tragen zutiefst menschliche Züge und transportieren damit Wahrheiten, die den Menschen über die Jahrhunderte hinweg bis heute begleiten.“

Michaela Schneider

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