Christoph Hein bekannt aus dem Kontext der DDR-Bürgerbewegung und zuletzt Präsident des gesamtdeutschen PEN-Clubs hat die beiden Ebenen seines Stücks, die geschichts- und religionsphilosophischen Thesen und die aktuelle Gegenwartswelt ziemlich unspektakulär, fast prosaisch miteinander verknüpft. Für ein Opernlibretto ist seine Sprache auffällig karg, poesiearm und unartifiziell. Genau dies hatte Sydney Corbett, 1960 in Chicago geboren, beim Komponieren gereizt. Inspiriert von Opernversuchen Arnold Schönbergs, die er bei der Suche nach einer Gottes-Darstellung studierte, hat der Komponist für seinen Noach und die anderen Alltagsfiguren einen melodramatischen Sprechgesang gewählt, der zugleich expressive und ariose Gesten aufweist. Vergleichsweise archaisch wirken dagegen die zumeist unbegleiteten Chöre als in sich widerspruchsreiches Terzett von Knabensopran, Bass und hohem, quasi byzantinisch gefärbtem Sopran erklingt die polyphone Stimme des Herrn. Bedient der melodramatische Part die konkrete, alltagszentrierte Figurenaktion, so scheint die philosophische Ebene des Stücks mit einem instrumentalen Geschehen zu korrespondieren, das der Oper einen besonderen Klang und Charakter verleiht. Corbett, ein Ligeti-Schüler, versteht Musik weniger als Drama, vielmehr als Gebet und orientiert sein Orchester auf Ruhe und Kontemplation. Typisch ist für ihn die Nähe zum Tonalen, die auch hier mehrdeutig bleibt, der die harmonische Festlegung fehlt. Mittels verschiedener Flöten, Violine, Oboe und dezentem, vielgestaltigem Schlagwerk wird in hohen, manchmal in höchsten Lagen gespielt. Tiefe Klänge, Akzente, Ausflüge ins Forte oder Fortissimo bleiben Ausnahmefall. Exotische Instrumente wie Gong, Steeldrum, Akkordeon und Harfe differenziert, klangschön und unaufdringlich verwendet suggerieren einen nichteuropäischen, partiell asiatischen Klang, dem ein wiederkehrender, einfacher rhythmischer Puls zugrunde liegt. Unter seinem ersten Kapellmeister bewältigt das Philharmonische Staatsorchester Bremen die schwierige Partitur sensibel und differenziert. Graham Jackson hat mit Holz, Blech und Schlagwerk anfangs einzeln geprobt, um die Schichtung verschiedener Klangwelten zu realisieren. Der städtische Klangkörper verfügt hinsichtlich der zeitgenössischen Oper über Erfahrungen. Vor Corbetts Noach wurden in den vergangenen Jahren Auftragskompositionen von Johannes Kalitzke, Detlef Glanert, Marcello Panni und Giorgio Battistelli uraufgeführt. Auch in den Zeiten des Sparens hat Intendant Klaus Pierwoß ein neues Werk pro Saison durchgesetzt eine Praxis, die überregional für Aufsehen sorgt und die ein aufgeschlossenes Publikum inzwischen auch honoriert. Der Schwachpunkt der Bremer Premiere war die szenische Realisierung. Ausstatter Carl Friedrich Oberle hat eine Entsprechung zur musikalischen Schichtung versucht. Sein Bühnenraum bleibt abstrakt, er birgt den Berg Ararat wie die Straße der Großstadt. Eine hydraulisch hebbare Plattform mehr Psychogramm als Wohnraum birgt die höhere Ebene Noachs. Hier wird Zwangsläufiges relativ, hier tanzen die Engel. Hier schließlich zieht Barbara ein abgestoßen und fasziniert von der Mischung verschiedener Realitäten. Rosamund Gilmores Inszenierung ist weitgehend nur auf das Libretto fixiert. In Alltagskostümen wird über weite Strecken realistisch agiert. Die zarte kontemplative Kammermusik zwischen den Szenen, die asketischen Chöre, die expressiven Melodramen das musikalische Potenzial der Oper schlechthin wird szenisch kaum relevant; der leere Raum füllt sich meist nur beim Aufmarsch der Chöre. Katharina von Bülow, Loren Lang, Ina Schlingensiepen, Karsten Küsters und Katherine Stone singen ihren Part souverän, bleiben szenisch-gestisch jedoch undifferenziert. Allein die umfangreiche Titelpartie wirkt, wenn auch konventionell, eigenständig interpretiert: Clemens-C. Löschmann gibt einen behutsam agierenden, keineswegs gebrechlichen jüdischen Intellektuellen bezüglich Habitus, Maske und Kleidung eher aus dem osteuropäischen Raum. Die Szenen der Hausbesetzer, Prostituierten und rabiaten Makler, das Vegetieren eigentlich aller am Rand der Gesellschaft weckt in Noach eigene Sehnsüchte auf. In diesem Zusammenhang verlässt Regisseurin Gilmore ein einziges Mal den vorgeschriebenen Fortlauf der Handlung. Als nämlich Immobilienhai Rispe, auf dem Straßenstrich unterwegs, den greisen Noach versehentlich totschlägt da ist es plötzlich nicht mehr allein Gottes Befehl, sondern auch Barbaras zögernde Liebe, die den Alten für die nächste Ewigkeit zu neuem Leben erweckt.
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