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Berichte

Wartburg im Gaskessel

„Tannhäuser“ und der „Ring für Kinder“ in Bayreuth · Von Juan Martin Koch

Wenn das Verfahren Schule macht, dessen Ergebnisse kürzlich in München und Bayreuth zu besichtigen waren, dürfte sich das Anforderungsprofil an Festspielintendanten und Dramaturgen in naher Zukunft wandeln: Statt sich den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, wer die wichtige Premiereninszenierung stemmt, dürften dann Ausflüge in die Kunstmetropolen der Welt anstehen. Irgendwo findet sich sicher ein angesagter Aktionist oder Installateur, dessen Arbeiten zur ausgewählten Oper passen könnten. Um die auf die Bühne verfrachteten Kunstobjekte oder um deren Ad-hoc-Verfertigung herum sind dann nur noch Sängerensemble und Chor passend zu gruppieren und zu arrangieren. Wenn dabei noch das eine oder andere Skandälchen um die Ecke lugt – auch recht. War in Hermann Nitschs Teilübergießung des Heiligen Franziskus noch eine konstruktive Reibung von Messiaens himmelstürmender, trotz Vogelgezwitscher eher vergeistigter mit Nitschs geerdeter, körpernaher Mystik zu erfahren, so wirkte Sebastian Baumgartens Bayreuther Rückzug hinter Joep van Lieshouts alles dominierende Bühneninstallation über weite Strecken wie eine Kapitulationserklärung.

 
Wartburg einmal anders: „Tannhäuser“ in Bayreuth. Foto: Enrico Nawrath
 

Wartburg einmal anders: „Tannhäuser“ in Bayreuth. Foto: Enrico Nawrath

 

Zu besichtigen ist mit der „AVL Biogas“ ein geschlossener Kreislauf menschlicher Arbeits- und Freizeitrhythmik – Wiederverwertung von Stoffwechsel-Abfällen und Triebabfuhr inklusive: Der Venusberg ist im Einheitsbühnenbild integriert, bildet das Kellergeschoss, das bei Bedarf aufgesucht wird. So machen’s alle, aber nur einer hat den Mumm, sich auch dazu zu bekennen, wo ansonsten scheinheilig bis militant verdrängt wird: Als Tannhäuser im Sängerkrieg seine Definition von Liebe zum Besten gibt („Genuss jenseits von Gut und Böse“ lautet die postbrechtische Projektion), geraten viele in Verzückung, um dann schnell wieder in Reih und Glied zurückzutreten.

So sind es dann auch keine erleuchteten Pilger, die zusammen mit dem Abtrünnigen bekehrt aus Rom zurückkehren, sondern eine gehirngewaschene Putzkolonne, die wieder Ordnung in das von Tannhäusers Ausbruch aus dem Gleichgewicht gebrachte Biotop zu bringen versucht. Auch Wolfram (Michael Nagy, mit Mut und der nötigen Substanz für einen liedhaften Zugriff) hat sich des rationierte Tagesmengen zur Volkssedierung abgebenden „Alkoholators“ allzu oft bedient und singt, stillem Trunk ergeben, seinen Abendstern Venus an, nachdem er zuvor Elisabeths Freitod im Gaskessel ein wenig nachgeholfen hat. Letztere scheint als Einzige Sebastian Baumgartens Interesse übers holzschnittartige Arrangieren hinaus erregt zu haben und wird in ihren Neurosen und Zwangshandlungen präzise charakterisiert. Camilla Nylund vermag dem darstellerisches Profil zu verleihen, gesanglich sind ihrem Differenzierungsvermögen Grenzen gesetzt, was noch eklatanter für Stephanie Friedes Venus gilt, die in dieser zweiten Vorstellung vom 1. August aber zumindest keine Buhrufe mehr erntet. Venus ist übrigens – eine weitere nicht wirklich erhellende Pointe – von Tannhäuser schwanger; das finale „Halleluja“ gilt dem Nachwuchs aus dieser Liaison. Auch Lars Cleveman nutzt als akzeptabler, aber zu keinem Zeitpunkt die Rolle stimmlich wirklich erfüllender Protagonist das Angebot nicht, das Thomas Hengelbrock vom Graben aus macht: Dessen von Wagners Dirigierpartitur ausgehende Aufwertung der Holzbläser verleiht der Dresdner Fassung eine Klarheit in der Feinzeichnung, die häufige dynamische Rückzüge zugunsten des Vokalen nach sich zieht. Die Kehrseite der in einzelnen Details immer wieder faszinierend schillernden Medaille ist – bei unverminderter Kraftentfaltung der Sänger – ein zeitweises Abtauchen des Orchesters in den musikdramatischen Hintergrund.

Dass sich der in der Einstudierung Eberhard Friedrichs wie stets überwältigende Festspielchor – Baumgarten hält ihn in steter szenischer Bewegung – von Hengelbrocks Entschlackungskur (noch) unbeeindruckt zeigt, wird vom Publikum dankbar jubelnd quittiert. Für die Bühnenaktionen, die sich in die Pause hinein fortsetzen (unter anderem deklamieren in Videoprojektionen Schaubühnendarsteller aus dem Libretto), hält sich die Begeisterung in engsten Grenzen, erheiterte Buh-Rufe löst die vor Beginn des zweiten Aufzugs eingeblendete Textzeile „Wir denken nach“ aus.

Stagniert auf der großen Bühne also das Bemühen der Wagner-Urenkelinnen, die Festspiele mit provokanten Bayreuth-Neulingen szenisch zu erneuern, so schreitet die Öffnung hin zu breiteren Publikumsschichten weiter voran: An die 40.000 verfolgten das Public Viewing des „Lohengrin“, der außerdem – eine Premiere – auf ARTE übertragen wurde.

Auf der Probebühne ging überdies die Bayreuther Kinderoper in ihre zweite Saison. Das heikle Unterfangen, den kompletten Ring in knapp zwei Stunden zu erzählen und jungen Hörern seine musikalische Faszination nahezubringen, gelang phasenweise – vor allem vor der Pause – durchaus überzeugend: immer dann nämlich, wenn klar wurde, dass bestimmte Zuspitzungen der inneren Handlung im gesprochenen Wort nicht mehr angemessen darstellbar sind und sich im unmittelbaren musikalischen Ausdruck ihr Ventil suchen. Wenn dann das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt seine geschickt reduzierte Klangfülle ausspielt und die Intensität des Singens buchstäblich mit Händen zu greifen ist, kann die Faszination Oper auch für Kinder lebendig werden.

Juan Martin Koch

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