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Wartburg im Gaskessel
„Tannhäuser“ und der „Ring für Kinder“ in
Bayreuth · Von Juan Martin Koch
Wenn das Verfahren Schule macht, dessen Ergebnisse kürzlich
in München und Bayreuth zu besichtigen waren, dürfte
sich das Anforderungsprofil an Festspielintendanten und Dramaturgen
in naher Zukunft wandeln: Statt sich den Kopf darüber zerbrechen
zu müssen, wer die wichtige Premiereninszenierung stemmt,
dürften dann Ausflüge in die Kunstmetropolen der Welt
anstehen. Irgendwo findet sich sicher ein angesagter Aktionist
oder Installateur, dessen Arbeiten zur ausgewählten Oper passen
könnten. Um die auf die Bühne verfrachteten Kunstobjekte
oder um deren Ad-hoc-Verfertigung herum sind dann nur noch Sängerensemble
und Chor passend zu gruppieren und zu arrangieren. Wenn dabei noch
das eine oder andere Skandälchen um die Ecke lugt – auch
recht. War in Hermann Nitschs Teilübergießung des Heiligen
Franziskus noch eine konstruktive Reibung von Messiaens himmelstürmender,
trotz Vogelgezwitscher eher vergeistigter mit Nitschs geerdeter,
körpernaher Mystik zu erfahren, so wirkte Sebastian Baumgartens
Bayreuther Rückzug hinter Joep van Lieshouts alles dominierende
Bühneninstallation über weite Strecken wie eine Kapitulationserklärung.
Zu besichtigen ist mit der „AVL Biogas“ ein geschlossener
Kreislauf menschlicher Arbeits- und Freizeitrhythmik – Wiederverwertung
von Stoffwechsel-Abfällen und Triebabfuhr inklusive: Der Venusberg
ist im Einheitsbühnenbild integriert, bildet das Kellergeschoss,
das bei Bedarf aufgesucht wird. So machen’s alle, aber nur
einer hat den Mumm, sich auch dazu zu bekennen, wo ansonsten scheinheilig
bis militant verdrängt wird: Als Tannhäuser im Sängerkrieg
seine Definition von Liebe zum Besten gibt („Genuss jenseits
von Gut und Böse“ lautet die postbrechtische Projektion),
geraten viele in Verzückung, um dann schnell wieder in Reih
und Glied zurückzutreten.
So sind es dann auch keine erleuchteten Pilger, die zusammen mit
dem Abtrünnigen bekehrt aus Rom zurückkehren, sondern
eine gehirngewaschene Putzkolonne, die wieder Ordnung in das von
Tannhäusers Ausbruch aus dem Gleichgewicht gebrachte Biotop
zu bringen versucht. Auch Wolfram (Michael Nagy, mit Mut und der
nötigen Substanz für einen liedhaften Zugriff) hat sich
des rationierte Tagesmengen zur Volkssedierung abgebenden „Alkoholators“ allzu
oft bedient und singt, stillem Trunk ergeben, seinen Abendstern
Venus an, nachdem er zuvor Elisabeths Freitod im Gaskessel ein
wenig nachgeholfen hat. Letztere scheint als Einzige Sebastian
Baumgartens Interesse übers holzschnittartige Arrangieren
hinaus erregt zu haben und wird in ihren Neurosen und Zwangshandlungen
präzise charakterisiert. Camilla Nylund vermag dem darstellerisches
Profil zu verleihen, gesanglich sind ihrem Differenzierungsvermögen
Grenzen gesetzt, was noch eklatanter für Stephanie Friedes
Venus gilt, die in dieser zweiten Vorstellung vom 1. August aber
zumindest keine Buhrufe mehr erntet. Venus ist übrigens – eine
weitere nicht wirklich erhellende Pointe – von Tannhäuser
schwanger; das finale „Halleluja“ gilt dem Nachwuchs
aus dieser Liaison. Auch Lars Cleveman nutzt als akzeptabler, aber
zu keinem Zeitpunkt die Rolle stimmlich wirklich erfüllender
Protagonist das Angebot nicht, das Thomas Hengelbrock vom Graben
aus macht: Dessen von Wagners Dirigierpartitur ausgehende Aufwertung
der Holzbläser verleiht der Dresdner Fassung eine Klarheit
in der Feinzeichnung, die häufige dynamische Rückzüge
zugunsten des Vokalen nach sich zieht. Die Kehrseite der in einzelnen
Details immer wieder faszinierend schillernden Medaille ist – bei
unverminderter Kraftentfaltung der Sänger – ein zeitweises
Abtauchen des Orchesters in den musikdramatischen Hintergrund.
Dass sich der in der Einstudierung Eberhard Friedrichs wie stets überwältigende
Festspielchor – Baumgarten hält ihn in steter szenischer
Bewegung – von Hengelbrocks Entschlackungskur (noch) unbeeindruckt
zeigt, wird vom Publikum dankbar jubelnd quittiert. Für die
Bühnenaktionen, die sich in die Pause hinein fortsetzen (unter
anderem deklamieren in Videoprojektionen Schaubühnendarsteller
aus dem Libretto), hält sich die Begeisterung in engsten Grenzen,
erheiterte Buh-Rufe löst die vor Beginn des zweiten Aufzugs
eingeblendete Textzeile „Wir denken nach“ aus.
Stagniert auf der großen Bühne also das Bemühen
der Wagner-Urenkelinnen, die Festspiele mit provokanten Bayreuth-Neulingen
szenisch zu erneuern, so schreitet die Öffnung hin zu breiteren
Publikumsschichten weiter voran: An die 40.000 verfolgten das Public
Viewing des „Lohengrin“, der außerdem – eine
Premiere – auf ARTE übertragen wurde.
Auf der Probebühne ging überdies die Bayreuther Kinderoper
in ihre zweite Saison. Das heikle Unterfangen, den kompletten Ring
in knapp zwei Stunden zu erzählen und jungen Hörern seine
musikalische Faszination nahezubringen, gelang phasenweise – vor
allem vor der Pause – durchaus überzeugend: immer dann
nämlich, wenn klar wurde, dass bestimmte Zuspitzungen der
inneren Handlung im gesprochenen Wort nicht mehr angemessen darstellbar
sind und sich im unmittelbaren musikalischen Ausdruck ihr Ventil
suchen. Wenn dann das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt
seine geschickt reduzierte Klangfülle ausspielt und die Intensität
des Singens buchstäblich mit Händen zu greifen ist, kann
die Faszination Oper auch für Kinder lebendig werden. Juan Martin Koch |