Brennpunkt Bonn
Massive Substanzschädigung durch Kürzungsbeschlüsse Gegen erbitterte Gegenwehr aus der Bürgerschaft, der Belegschaft
der Bühnen und der Opposition hat am 14. Juli 2011 die schwarz-grüne
Mehrheit im Bonner Stadtrat im Rahmen eines 60-Millionen-Euro-„Sparpakets“ eine
weit überproportionale Kürzung des Finanzierungsbeitrags
der Stadt zu den städtischen Bühnen um weitere 3,5 Millionen
Euro ab 2013 beschlossen. Sie folgte damit einem Vorschlag von
OB Jürgen Nimptsch (SPD).
Vorangegangen war im Frühjahr eine heftig umstrittene Bürgerbefragung,
mit der Nimptsch versucht hatte, durch suggestive Fragestellung
seinen Kahlschlagsplänen für das Theater eine pseudo-demokratische
Legitimierung zu verschaffen. Dies ging gründlich schief:
Satte Mehrheiten der Bürger sprachen sich gegen einschneidende
Mittelkürzungen für die Bühnen aus. Doch auch dies
hat – wie die überregionale Welle der Entrüs-tung
aus der Kulturwelt – den OB nicht beeindruckt; er drückte
die Kürzungen durch, vorgeblich, um einen Nothaushalt zu vermeiden.
Die Infamie dieses Beschlusses wird umso deutlicher, wenn man
sich vergegenwärtigt,
dass die Bühnen in den vergangenen Jahren schon Einsparungen
in Millionenhöhe realisiert, rund 200 Arbeitsplätze abgebaut
und die Tanzsparte geschlossen haben. Damit ist die Schmerzgrenze
eigentlich bereits überschritten. Dennoch hatte Generalintendant
Klaus Weise im Vorfeld der Ratsbeschlüsse ein eigenes Modell
vorgelegt, das bei schmerzhaften, aber den Bestand der künstlerischen
Leistungsfähigkeit nicht substanziell beeinträchtigenden
Kürzungen und gleichzeitiger moderater Erhöhung der Eintrittspreise
die Kosten für den Stadt-Haushalt um über 1,8 Millionen
Euro entlastet hätte. Doch dieser Vorschlag wurde von Nimptsch
und Konsorten schlichtweg übergangen.
Die ebenso verständliche wie angreifbare Reaktion von Weise
ließ nicht lange auf sich warten: Schon nach der Abstimmung
im Finanzausschuss und vor dem endgültigen Ratsbeschluss ließ er
wissen, dass er unter diesen Umständen für eine Verlängerung
seines Vertrages über das Jahr 2013 hinaus nicht zur Verfügung
stehe. Dies verschärft die Lage drastisch, denn niemand wird
glauben, dass die Stadt, wenn sie denn überhaupt einen entsprechenden
Willen hat, in der Lage sein wird, bei diesen Vorzeichen einen
Nachfolger zu finden, der mit künstlerischem Gewissen und
kreativen Plänen für „sein“ Theater eintritt.
Vielmehr dürfte die Situation geradezu magnetisch auf opportunistische,
profilierungssüchtige Heilsapostel wirken, die dann die Situation
nur noch verschlimmern – eine Erfahrung, die etwa Bremen
ja schon gemacht hat.
Fest steht, dass die Umsetzung des Kürzungsbeschlusses das
Theater in seiner Substanz massiv schädigen wird: Um die vollständige
Schließung einer Sparte wird man kaum herumkommen – und
ob sich damit die „Einsparungen“ wirklich realisieren
lassen, ist auch ungewiss: Die Gebäude müssen, wenn sie
nicht abgerissen werden, unterhalten werden; das Personal in Verwaltung
und Technik ist zum größten Teil faktisch unkündbar.
Daher auch die Beschwichtigungsversuche der Politik, es werde keine
Kündigungen geben. Anders sieht es beim in den letzten Jahren
ohnehin schon drastisch dezimierten künstlerischen Personal
aus: Dieses verfügt durchgehend nur über befristete Arbeitsverträge,
kann also praktischerweise ohne Kündigung weitgehend abgewickelt
werden – im Raum steht die in der Tat innovative Vision eines
verwalteten und technisch betriebenen Theaterbaus ohne Künstler,
eine Wunschvorstellung von Herrn Nimptsch???
Jedenfalls scheint es der einzige „ Ausweg“ aus dem
selbstgeschaffenen Dilemma zu sein. Spartenschließungen stoßen
vor dem eben dargestellten arbeitsrechtlichen Hintergrund auf erhebliche
Schwierigkeiten: Die des Schauspiels (gerade noch 23 statt wie
früher über 50 Schauspieler sind neben einigen künstlerisch-technischen
Beschäftigten übrig) wird nicht ausreichen, um die Kürzungen
zu kompensieren , die der Oper hätte die unangenehme Folge,
dass das bisher unangetastete und als Aushängeschild der Stadt
gehegte Beethoven-Orchester um einen großen Teil seiner Aufgaben
gebracht würde. Und schließlich
sind auch Spartenschließungen nicht zum Null-Tarif zu bekommen:
Abfindungen und langfristige Sozialleistungen an die arbeitslos
gewordenen Künstler werden das Stadtsäckel ebenso wie
der volkswirtschaftliche Verlust auf denkbar unproduktive Weise
drücken. Aber um solche Kosten macht sich unter den herrschenden
Politikern offenbar niemand Gedanken. Nicht zu unterschätzen ist schließlich der überregionale
Signaleffekt: Wenn sich in einer Stadt von über 300.000 Einwohnern,
die sich als Hort von Wissenschaft und Technologie sowie als Kongress-Stadt
versteht und die überdies als einzige Stadt Nordrhein-Westfalens
im Krisenjahr 2010 ein Wirtschaftswachstum vermelden konnte, die
Kultur-Killer à la Nimptsch so ungehemmt durchsetzen können,
hat dies zwangsläufig eine Vorbildwirkung für ebenso
verbohrte Politiker in Städten, die kleiner und wirtschaftsschwächer
sind und ebenfalls über ein funktionierendes Theaterleben
verfügen, das diesen Politikern ein Dorn im Auge ist.
Und das alles, um das nicht zuletzt durch größenwahnsinnige
Projekte der Stadt auf anderen Gebieten erheblich mitverursachte
Defizite um zirka 3 Promille zu senken…
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