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Spektakuläres in Bregenz

„Achterbahn“ und „André Chénier“ · Von Wolf-Dieter Peter

Mit „Bregenz“ verbindet man natürlich als Erstes die Seebühne: spektakuläre Freilichtaufführungen für 7.000 Besucher. Doch in einer Art Doppelstrategie – „Gleich zwei Novitäten“ – boten die Festspiele im Festspielhaus die Uraufführung einer Besonderheit, einer „Opern-Orchidee“: Die englische Komponistin Judith Weir hat sich von einem sizilianischen Märchen um Textilarbeiterinnen inspirieren lassen zu „Achterbahn“. Ja, das ist auch ein Bild für heutige Lebensläufe. In Judith Weirs Libretto erlebt Tina, Tochter in einer Welt der Schönen und Reichen, den Finanzcrash der Eltern. Trotzig steigt sie aus dieser „Welt der Lüge“ aus. Ihr Weg führt durch Slums, durch Vandalismus, vorbei an Textil-Akkordarbeit in einen Waschsalon. Dort verschenkt sie ein Glückslos über 100 Millionen und findet ihr privates Glück bei einem smarten, reichen Jungmanager. Ihr ganzer Weg wird von der Stimme des Schicksals begleitet. Prompt lässt das knapp zweistündige Werk den Zuschauer reichlich ratlos: Es überzeugt inhaltlich weder als modernes Märchen noch als frech-ironische Sozialsatire, als bissige Sozialkritik oder als Hoffnung weckende Utopie. So blieb – über die klare, eingängige Inszenierung von Chen Shi-Zheng hinaus – nur der Trost von Judith Weirs Musik: Sie bewies, dass man Melodien und Harmonien gekonnt mit Dissonanzen mischen kann. Sie kann Solostimmen ohne schrille, verstiegene Phrasen klingen und singen lassen. Sie lässt den Chor mal mit Melismen „schicksalshaft“ aus dem Off tönen, mal als realistisch geplagte Näherinnen im Arbeitstakt oder als Prekariat geldgierig heuchelnd singen – was Dirigent Paul Daniel mit den Wiener Symphonikern und dem Prager Philharmonischen Chor differenziert hörbar machte. Resümee der Uraufführung: eine zu naiv-schlichte Handlung, eingebettet in sofort zugängliche zeitgenössische Musik.

 
„André Chénier“ auf der Seebühne. Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster
 

„André Chénier“ auf der Seebühne. Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster

 

Am Abend zuvor auf der Seebühne Eindeutigeres: „Seine Hoheit – das Elend!“, damit führt der durch das Lesen aufklärerischer Bücher revolutionär gesinnte Kammerdiener Gérard hungernde Bauern mitten in die tanzende Adelsgesellschaft: Die Revolution ist da. Zuvor schon hatte der kritisch denkende und empfindende Dichter André Chénier gefragt: „In dieser ganzen Misere – was tun die Eliten?“ Einzig die junge Comtesse Madeleine versteht das, verliebt sich in ihn und wird vom eifersüchtigen Gérard verfolgt. Doch in der Terrorphase der Französischen Revolution geraten alle drei in die Fänge der blutrünstig agierenden Revolutionstribunale. Ihre Liebe enthusiastisch feiernd besteigt das Liebespaar das Schafott.

Umberto Giordano hat auf das intelligente Libretto Luigi Illicas mal dramatisch packende, mal emotional hochglühende, also beste Theatermusik geschrieben. Er zitiert Revolutionsmusiken, gestaltet aber auch poetisch-lyrische Versunkenheit um das Liebespaar wie abgründige Machtreflexionen des zum Revolutionsführer aufgestiegenen Gérard. Das im Repertoirebetrieb unterschätzte Werk überzeugte nun ausgerechnet in der Bregenzer Open-Air-Aufführung: Ulf Schirmer ist der einzige Dirigent, der sich mit Akustiker Wolfgang Fritz wochenlang zusammensetzt, um das ausgeklügelte Tonsystem mit seinen 500 Lautsprechern für die Wiener Symphoniker musikdramatisch optimal zu nutzen. Das war beeindruckend zu hören – und Bariton Scott Hendricks als Gérard, Tenor Hector Sandoval als Chénier und Norma Fantini als Made leine konnten von schönem Piano bis in wilde Ausbrüche glänzen. Prags Philharmonischer Chor ebenso wie der Bregenzer Festspielchor wandelten sich überzeugend von pastoral säuselnden Aristokraten in den rüden „Vierten Stand“ der Terrorphase – das Ganze in dramaturgisch hinreißenden Kos-tümen von Constance Hoffman.

Doch die Bregenzer Seebühne bietet ja immer auch spektakuläre Inszenierungen. Regisseur Keith Warner und Bühnenbildner David Fielding haben den toten Marat aus Jacques-Louis Davids berühmten Bild statt in die Badewanne nun in den Bodensee gelegt. Marats Körper wird als vielfältige Spielfläche und erstmals für Übertitel genutzt. Regisseur Warner hat Textaussagen zusätzlich bebildert oder durch ergänzende Figuren ausspielen lassen – Stuntmen tanzen, morden und werden gemordet, bis hin zu einem Sensenmann, dessen Todesdrohung alle Szenen durchzieht. Einiges wirkt überdeutlich oder verdoppelt. Doch für den mitdenkenden Zuschauer gibt es da nicht nur den Satz, dass „die Revolution ihre Kinder frisst“, sondern auch, dass die Alten ihre Enkel als letztes Aufgebot in den Krieg schicken… Und dann findet sich Brandaktuelles wie die Anklage, dass da ein „Land seine Dichter mordet“ und die sehnsuchtsvolle Utopie, „die Not der Geschlagenen und Unterdrückten zu lindern“. Plötzlich wurde Giordanos gut einhundert Jahre alte Oper auch zum mahnenden Beispiel, wohin allzu große soziale Ungleichheit führen kann. Dass der rauschende Beifall auch dieser Einsicht entsprang, ist aber wohl Utopie.

Wolf-Dieter Peter


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