Botschaft des Göttlichen
Messiaens „Saint François d’Assise“ in
München · Von Marco Frei Bei Olivier Messiaen geht es nicht einfach um Farben. Wenn eine
Interpretation glückt, erwachsen Schatten. Wenn etwas nur
laut oder bombastisch ist, mag es einen Effekt haben, aber die
Idee geht verloren. Fehlt die richtige dynamische Balance, wird
es dick – es fehlt die Transparenz, Details versickern. Erst
mit der richtigen Balance kommt die klangliche und farbliche Flexibilität,
das natürliche Farbenspektrum.“ Das sagte Kent Nagano
2008 auf Nachfrage, als der 100. Geburtstag von Messiaen begangen
wurde.
Nun hat Nagano an der Bayerischen Staatsoper die – überfällige – Münchner
Erstaufführung von Messiaens einziger Oper „Saint François
d’Assise“ geleitet und sich dabei selber um ein Vielfaches übertroffen.
Das darf man gut und gerne als kleine Sensation bezeichnen, denn
eigentlich ist der Münchner Staatsopern-GMD schon längst
als „der“ Messiaen-Experte etabliert. Tatsächlich
verdankt er dem 1992 verstorbenen französischen Komponisten
und Organisten den Beginn seiner Weltkarriere. Rückblick auf
die 1970er-Jahre: Mit dem Berkeley Symphony Orchestra realisiert
Nagano einen ersten Messiaen-Zyklus.
Nagano wird 1983 von Messiaen nach Paris eingeladen, um dort von
dem Großmeister der Moderne unterrichtet zu werden. „Wir
sind deine europäischen Eltern“, soll das Ehepaar Messiaen
gesagt haben. Kurz darauf wirkte Nagano als Assistent von Seiji
Ozawa bei der Uraufführung von Messiaens Musiktheater „Saint
François d’Assise“ mit. Nagano selber leitete
das Werk 1998 bei den Salzburger Festspielen. Diese Produktion
liegt als Live-Aufnahme auch auf CD vor (Deutsche Grammophon).
In München wurden Messiaens farbliche, harmonische und rhythmische
Erfindungen noch zwingender und zugleich konziser durchdrungen,
ohne jedoch dem bloßen Effekt zu verfallen. Über fünf
Stunden hat Nagano mustergültig verlebendigt, was er – wie
er 2008 formulierte – bei Messiaen als besonders wichtig
erachtet: Das „natürliche Farbenspektrum“. Es
war in München vom ersten bis zum letzten Klang allgegenwärtig.
Auch die „Ondes Martenot“ – ein elektronisches
Musikinstrument, das in den 1920er-Jahren entwickelt wurde – fügte
sich derart schlüssig in den Gemeinklang ein, wie man dies
nur selten erlebt.
Mit dem Bayerischen Staatsorchester und dem Staatsopernchor gelang
Nagano musikalisch eine bleibende Aufführung, dies war ein
historischer Moment. Man wurde Zeuge, wie ein klanglicher Organismus
zu leben begann, wie tief hineingeleuchtet wurde in das Innenleben
von harmonischen und formalen Strukturen. Dabei glühte Naganos
Interpretation vor Liebe zu dieser Musik. Leider konnten die beiden
Hauptsolisten Paul Gay (Franziskus) und Christine Schäfer
(Engel) dieses hohe Niveau nicht erreichen.
Sicher, gerade die Partie des Franziskus ist äußerst
tückisch. Zuweilen wirkte Gays Stimme etwas gepresst, wohingegen
Schäfers Timbre zwar die luzid-transparente Verklärung
hörbar machte, im Piano aber etwas dünn blieb. Dafür
war die Inszenierung von Hermann Nitsch besser, als der Buhsturm
suggerierte – zumal dieses Musiktheater nur schwer umzusetzen
ist. Einerseits erwachsen nämlich aus der farblich und rhythmisch
vielfältigen Musik durchaus bilderreiche Assoziationen, andererseits
ist die Handlung der Oper abstrakt – es geht um die Botschaft
des Göttlichen.
Natürlich bediente der Österreicher Nitsch
einmal mehr sein Orgien-Mysterien-Theater: Auf Videos wurde sich
in Blut und Fleisch gesuhlt – allerdings vor allem dann,
wenn Franziskus von Irrtum und Dunkelheit sang. Leider aber fiel
Nitsch zur Vogelpredigt nicht mehr ein, als das Bild „Der
einsame Baum“ von Caspar David Friedrich einzublenden.
Dass Friedrichs Kunst reich an religiöser, auch existentialistischer
Symbolik ist, das ist freilich kein Geheimnis. Wenn aber aus
der berühmten Eiche im Bildvordergrund bunte Vogelanimationen
flattern, ist das doch etwas plump und platt.
Apropos Religiosität: Wenn man Nagano fragt, wie wichtig
der katholische Glaube für Messiaen war, erzählt er eine
Anekdote, die ganz besonders gut zu „Saint François
d’Assise“ passt. „Auf Meisterkursen kam ständig
die Frage: ‚Maestro Messiaen, muss man glauben, um Ihre Musik
verstehen zu können?‘ Er hat eine Frage gerne mit einer
anderen beantwortet, hier: ‚Würden Sie diese Frage auch
Johann Sebastian Bach stellen?‘“ Dieses Bekenntnis
kulminiert in Messiaens Meisterwerk „Saint François
d’Assise“.
Marco Frei
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