Nagano wird 1983 von Messiaen nach Paris eingeladen, um dort von dem Großmeister der Moderne unterrichtet zu werden. „Wir sind deine europäischen Eltern“, soll das Ehepaar Messiaen gesagt haben. Kurz darauf wirkte Nagano als Assistent von Seiji Ozawa bei der Uraufführung von Messiaens Musiktheater „Saint François d’Assise“ mit. Nagano selber leitete das Werk 1998 bei den Salzburger Festspielen. Diese Produktion liegt als Live-Aufnahme auch auf CD vor (Deutsche Grammophon). In München wurden Messiaens farbliche, harmonische und rhythmische Erfindungen noch zwingender und zugleich konziser durchdrungen, ohne jedoch dem bloßen Effekt zu verfallen. Über fünf Stunden hat Nagano mustergültig verlebendigt, was er – wie er 2008 formulierte – bei Messiaen als besonders wichtig erachtet: Das „natürliche Farbenspektrum“. Es war in München vom ersten bis zum letzten Klang allgegenwärtig. Auch die „Ondes Martenot“ – ein elektronisches Musikinstrument, das in den 1920er-Jahren entwickelt wurde – fügte sich derart schlüssig in den Gemeinklang ein, wie man dies nur selten erlebt. Mit dem Bayerischen Staatsorchester und dem Staatsopernchor gelang Nagano musikalisch eine bleibende Aufführung, dies war ein historischer Moment. Man wurde Zeuge, wie ein klanglicher Organismus zu leben begann, wie tief hineingeleuchtet wurde in das Innenleben von harmonischen und formalen Strukturen. Dabei glühte Naganos Interpretation vor Liebe zu dieser Musik. Leider konnten die beiden Hauptsolisten Paul Gay (Franziskus) und Christine Schäfer (Engel) dieses hohe Niveau nicht erreichen. Sicher, gerade die Partie des Franziskus ist äußerst tückisch. Zuweilen wirkte Gays Stimme etwas gepresst, wohingegen Schäfers Timbre zwar die luzid-transparente Verklärung hörbar machte, im Piano aber etwas dünn blieb. Dafür war die Inszenierung von Hermann Nitsch besser, als der Buhsturm suggerierte – zumal dieses Musiktheater nur schwer umzusetzen ist. Einerseits erwachsen nämlich aus der farblich und rhythmisch vielfältigen Musik durchaus bilderreiche Assoziationen, andererseits ist die Handlung der Oper abstrakt – es geht um die Botschaft des Göttlichen. Natürlich bediente der Österreicher Nitsch einmal mehr sein Orgien-Mysterien-Theater: Auf Videos wurde sich in Blut und Fleisch gesuhlt – allerdings vor allem dann, wenn Franziskus von Irrtum und Dunkelheit sang. Leider aber fiel Nitsch zur Vogelpredigt nicht mehr ein, als das Bild „Der einsame Baum“ von Caspar David Friedrich einzublenden. Dass Friedrichs Kunst reich an religiöser, auch existentialistischer Symbolik ist, das ist freilich kein Geheimnis. Wenn aber aus der berühmten Eiche im Bildvordergrund bunte Vogelanimationen flattern, ist das doch etwas plump und platt. Apropos Religiosität: Wenn man Nagano fragt, wie wichtig der katholische Glaube für Messiaen war, erzählt er eine Anekdote, die ganz besonders gut zu „Saint François d’Assise“ passt. „Auf Meisterkursen kam ständig die Frage: ‚Maestro Messiaen, muss man glauben, um Ihre Musik verstehen zu können?‘ Er hat eine Frage gerne mit einer anderen beantwortet, hier: ‚Würden Sie diese Frage auch Johann Sebastian Bach stellen?‘“ Dieses Bekenntnis kulminiert in Messiaens Meisterwerk „Saint François d’Assise“. Marco Frei
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