Hortensia Völckers: Später als alle anderen Kunstsparten,
und das allein sagt etwas aus über die Kampfbereitschaft der
Szene auf dem politischen Parkett. Die Bildende Kunst hat die „documenta“,
das Schauspiel sein „Theatertreffen“, die Musik die „Donau- Madeline Ritter: Wobei ursprünglich eher an ein Festival gedacht war, um die Strahlkraft des Tanzes zu bündeln. Zugleich schien es notwendig, alle Bereiche – Ausbildung, Produktion, Präsentation und Wissenschaft – in Bewegung zu bringen, und das lief eben auf einen Strukturentwicklungsplan hinaus. Weickmann: Welche Zielvorstellung hatten Sie? Ritter: Eine Kunstsparte anzuschauen und dort eine Veränderung in Gang zu setzen. Das funktioniert aber nur, wenn man die Beteiligten zuerst danach fragt, was sie brauchen, und dann nach dem besten Ansatz sucht. Weickmann: Wie war die Ausgangslage? Völckers: Das mussten wir auch erst einmal klären. Wir sind durchs Land gefahren und haben überall runde Tische mit Ministern, Kulturreferenten, Choreografen und Tänzern einberufen. Was ebenso neuartig wie politisch hochinteressant war, weil es zunächst nach dem üblichen Muster lief: lauter Einzelinteressen statt einer gemeinsamen Sache. Aber für die Kulturstiftung muss es eine übergreifende Idee sein! Hier auf einen Nenner zu kommen, war die entscheidende Weichenstellung noch vor der eigentlichen Bewerbung. Die Akteure haben ihre Ziele selbst definiert und die Zuschüsse von Stadt und Land sichergestellt, an die wiederum unsere Förderzusagen gekoppelt waren. Am Ende haben wir die neun Standorte ausgewählt, die das überzeugendste Konzept hatten und den stimmigsten Eindruck hinterließen. Wobei wir vielleicht nicht immer richtig entschieden haben. Weickmann: Inwiefern? Völckers: Mancherorts ließ die Kooperationsbereitschaft zu wünschen übrig, mitunter war auch das Standortteam nicht stark genug, um alle mitzunehmen. Trotzdem können fast alle weitermachen, also lagen wir mit unserer Einschätzung in der Regel richtig.
Ritter: Im Grunde lautete die Frage: Was bringen Menschen zustande, die vorher nie zusammengearbeitet haben? Der Intendant des Staatsballetts und der freie Choreograf? In Berlin beispielsweise sahen sich zwei Kunsthochschulen plötzlich in eine Zusammenarbeit mit der freien Szene gezwungen, um etwas Neues, Zeitgenössisches und vor allem Freies im Ausbildungsbereich zu schaffen. Was für solche Institutionen allein schon eine Provokation ist! Entsprechend war das „Hochschulübergreifende Zentrum Tanz“ mit einem großen Fragezeichen versehen und wurde nur in Etappen gefördert, um immer wieder zu prüfen: Gelingt ihnen das, was sie sich vorgenommen haben? Es ist gelungen! Weickmann: Ist die Zielmarke überall so glatt erreicht worden? Völckers: Man muss leider feststellen, dass die Tanzszene es nicht geschafft hat, sich national schlagkräftig zu organisieren und eine entsprechende Repräsentanz auf Bundesebene einzufordern. An der Stelle frage ich mich: Warum haben wir das nicht geschafft? Haben wir nicht alle ausreichend mitgenommen? Unterscheiden sich die Vorgehensweisen und Interessen der Fraktionen – hier das Ballett, da die zeitgenössische Richtung, dort die verschiedenen Ansätze innerhalb der Pädagogik – noch immer derart eklatant? Die Ballettwelt jedenfalls hat häufig gefehlt oder war, etwa beim Tanzkongress, kaum vertreten. Offensichtlich ist sie noch nicht Teil dieser Bewegung geworden. Weickmann: Wie lässt sich das ändern? Völckers: Dafür braucht es Zeit und eine klarere Einbindung. Darauf lag nicht der Fokus, und diese selektive Wahrnehmung ist selbst schon Ausdruck der „Tanzkrankheit“. Die Hochschulen wurden in einer großen und erfolgreichen Kraftanstrengung mitgenommen. Dagegen blieben die Stadt- und Staatstheater außen vor. Das ist problematisch. Ritter: Tatsächlich hatten wir am Anfang alle eingeladen, aber die Ideen sprudelten eher aus dem freien Bereich. Das Ziel der Verankerung und Vernetzung vor Ort war wiederum nur mit Partnern zu verwirklichen, die engagiert für eine gemeinsame Idee eintraten, nach dem Motto: Egal ob fest oder frei, genau dieses Vorhaben möchten wir umsetzen! In München beispielsweise haben das Staatsballett und freie Träger hochmotiviert zusammengearbeitet, was auch im Hinblick auf die Anschlussfinanzierung wichtig war. Weickmann: Der „Tanzplan“ war von Anfang an auf fünf Jahre befristet, sollte aber zugleich nachhaltig wirken. Ist das nicht ein Widerspruch? Völckers: Es war ein Vitalisierungsprogramm,
damit Menschen miteinander ko- Ritter: Zeitliche Begrenzung erzeugt Druck und Dynamik und bewirkt, dass das eigene Ziel und der Weg dorthin ständig überprüft werden müssen. Wir haben versucht, eine gute „Staffelübergabe“ für die Weiterarbeit zu organisieren. Gleichwohl sind nunmehr alle aufgerufen, die Dinge emanzipiert in die eigene Hand zu nehmen. Aus meiner Sicht halten solche Befristungen das Fördersystem offen und lebendig. Völckers: Aber die Offenheit hat Vor- und Nachteile. Einerseits wären die Riesentanker der Stadt- und Staatstheater in einem offenen System längst untergegangen. Andererseits war die freie Szene vor dem „Tanzplan“ nicht ausreichend finanziert und ist es jetzt genauso wenig. Das ist ein strukturelles Defizit, auch wenn die Fördermittel leicht gestiegen sind. Ritter: Das Problem ist, dass die meisten Förderer kaum wagen,
etwas auszuprobieren, weil sie fürchten, nie mehr aussteigen
zu können. Deswegen entstehen überall kleine Fördertöpfe
anstelle von Synergien. Genau hier hat der „Tanzplan“ angesetzt
und im Verbund mit Städten und Ländern keine Einzelprojekte,
sondern Strukturen gefördert. Das ließe sich auf lokaler
Ebene durchaus fortsetzen. Völckers: Zumindest spricht eine Institution wie die Kultusministerkonferenz jetzt von sich aus den Staatsminister für Kultur und Medien an und fragt nach der Zukunft des Tanzes. So etwas wäre vor dem „Tanzplan“ undenkbar gewesen. Aber die Politik reagiert auf Bedürfnisse, die bei ihr angemeldet werden, deshalb muss sich die Szene jetzt selbstbewusst positionieren. Sonst läuft das ins Leere. Weickmann: Was war die spannendste Erfahrung? Ritter: Ich bin aus der Kunstproduktion in die -förderung gegangen und habe dabei gemerkt, dass man dort gleichermaßen gestalten kann und nicht alles eine Frage des Geldes ist. Nicht nur die Künstler müssen innovativ und risikofreudig sein, sondern auch die Förderer. Völckers: Für mich hat sich eher etwas Problematisches herauskristallisiert, nämlich dass alle Projekte zu schnell starten. Eigentlich müsste man länger am präzisen Design der Aufgabe arbeiten, denn was am Anfang nicht richtig definiert ist, bleibt eine Schwachstelle und macht sich zuletzt als Systemfehler bemerkbar. Da müssen wir nachbessern. Ansonsten ist es genial aufgegangen, darüber freue ich mich. Weickmann: Mit dem Leuchtturm des „Tanzkongresses“ und dem Fonds „Tanzpartner“, der Schulen und Theater zusammenbringt, werden zwei Seitenstränge des „Tanzplans“ fortgesetzt. Dazu kommt der Fonds „Tanz erbe“. Wie entstand dieses neue Förderprofil? Völckers: Als klar war, dass der Tanz mit erkennbaren Mitteln weitergefördert werden soll, haben wir uns mit dem Stiftungsrat auf zwei Schwerpunkte verständigt: die kulturelle Bildung und das kulturelle Erbe. Wir wollen Bewusstsein schaffen für den Tanz und seine Geschichte, weil das 20. Jahrhundert praktisch komplett verschwunden ist. Deshalb ist der „Tanzerbe“-Fonds für Rekonstruktion und Reinterpretation auch und gerade ein Angebot an die festen Kompanien, ihr Repertoire entsprechend zu erweitern. Ritter: Eine Kunstform, deren Erbe nicht sichtbar ist, bleibt unterbelichtet, auch was die kulturpolitische Wertschätzung angeht. Deshalb lautet die Frage: Wie kann man die Erfahrung der Geschichte lebendig machen? Und für den Fonds „Tanzpartner“ lässt sich mit Jonathan Burrows sagen: „Es ist wesentlich vergnüglicher, selbst zu tanzen, als anderen dabei zuzuschauen.“ Völckers: Tatsächlich ist Tanz in Schulen überaus begehrt. Sobald Kinder und Eltern diese Erfahrung gemacht haben, wollen sie nicht mehr aufhören. Trotzdem gibt es eine Art Schwellenangst und zugleich fehlt die nötige Infrastruktur, weil Tanzen nicht zum Kanon gehört. Hier schaffen wir eine Grundlage, indem wir Schulen und Theater zur Zusammenarbeit einladen und auf die Qualität der entstehenden Produkte setzen – und darauf, dass man versteht: Es geht um Kunst! Der „Tanzkongress“ schließlich ist schon jetzt eine Marke mit viel Potenzial: ein Diskussions- und Präsentationsforum, das sehr gut angenommen wird. Weickmann: Was kann die Tanzszene von der Kulturstiftung des Bundes künftig erwarten? Völckers: Wir sind die Osteopathen des Systems. Das ist eine tolle Aufgabe!
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