|
Im Treibhaus der Gefühle
Junge Oper Schloss Weikersheim mit „Così fan tutte“ · Von
Juan Martin Koch
Giochiam“ – lasst uns spielen! Die kleine Pause, die
auf Don Alfonsos unmoralisches Angebot und den dazugehörigen
Verführungsschnörkel im Cembalo folgt, markiert Entscheidendes:
jenen Augenblick nämlich, da Ferrando in einem Wimpernschlag
schon den Gefühlsabgrund vorausahnt, in den ihn diese Wette
um die Treue der Geliebten stürzen wird, jenen Moment also,
da das Spiel unaufhaltsam zu kippen beginnt.
Diesen kleinen, aber sehr präzise gesetzten Akzent gilt es
im Auge zu behalten, wenn Regisseurin Beverly Blankenship im ersten
Akt der Weikersheimer Così-fan-tutte-
Produktion ihre ganz im 21. Jahrhundert angekommene Buffo-Maschinerie
anwirft. Wenn dem mit ihren Rokoko-Perücken und Brautunterwäschen-Outfit
ganz aus der Zeit gefallenen, herzallerliebsten Doppelpärchen
zwei Gärtner (ganz gewiss nicht aus Liebe) entgegengestellt
werden: Don Alfonso, eine gescheiterte Existenz mit Hygiene-Defiziten,
die in einem Aufklappzelt Lebensberatung anbietet, und Despina,
die auf dem gut gepflegten Rollrasen ein kleines, aber effizientes
Treibhaus der Gefühle unterhält (Christoph Wagenknecht
ist für dieses köstliche Bühnenbild
verantwortlich). Dass diese Partien mit einer überragend spielfreudigen,
vokal souveränen Katharina Ruckgaber und dem nuanciert kommentierenden
Daniel Dropulja besetzt sind, bildet den entscheidenden Rahmen
für das Gelingen dieses turbulenten, mitreißenden Abends.
Die Verwandlung der zuvor doch reichlich effeminiert herumstaksenden
Herren in possierliche Postpunk-Rapper mit Ghettoblaster ist radikal
(Kostümbildnerin Susanne Schwarzer hat sichtlich Spaß an
diesem Irrwitz), doch zunächst riskiert nur Dorabella einen
genaueren Blick auf das üppige Brusthaar(-toupet).
Was nun folgt, ist eine brillante Einbeziehung der Weikersheimer
Schlosskulisse: Denn Fiordiligi hat sich erst gar nicht dazu hinreißen
lassen, zu den lächerlichen Verehrern hinabzusteigen. Von
der Balustrade aus schleudert sie ihr „Come scoglio“ auf
eine Schwester herunter, der jedes Wort dieses in Stein gemeißelten
Treueschwurs durch Mark und Bein geht. Die chilenische Sopranistin
Roxana Herrera Díaz hat hier ihren ersten von mehreren großen
Momenten an diesem Abend. Wie sie ihre zunächst erratisch
kontrollierte Stimme in dem Moment entfesselt, da vom „Sturm“ der
Gefühle die Rede ist, dem sie trotzen will – das ist
intelligente, reife Vokalkunst. Ein weiterer ist ihr über
weite Strecken ganz nach innen gewandtes Rondo „Per pietà“.
Hier gelingt überdies Bruno Weil mit dem Jungen Klangforum
Mitte Europa eine wunderbare instrumentale Verschmelzung mit der
Gesangslinie. Der Dirigent hat die jungen Musiker hörbar zu
einer Einheit geformt, die sich aus dem mitten in die Bühne
geschnittenen Orchestergraben heraus jederzeit auf Augenhöhe
mit dem theatralen Geschehen bewegt. Mit zunehmender Sicherheit
gelingt es dem Orchester auch mehr und mehr, innerhalb der raschen
Tempi Akzente und Farbwechsel zu gestalten.
Marija Jokovics Dorabella steht ihrer Schwester in nichts nach:
Trotz der hohen Schlagzahl, die Bruno Weil vorgibt, charakterisiert
sie die „Smanie implacabili“ ebenso genau wie später
ihr lapidares Eingeständnis, der Tücke der Liebeswirren
erlegen zu sein. Nach einem Schäferstündchen in Despinas
Gewächshaus ist sie nun endgültig im Guglielmo-Partnerlook
unterwegs, als Trophäe wedelt sie mit dessen unwiderstehlichem
Schottenkaro-Slip… Dessen Besitzer ist an diesem Abend auch
der Verführer mit den besseren stimmlichen Voraussetzungen.
Hansung Yoo variiert sein durchsetzungsfähiges, aber stets
geschmeidiges Timbre nach Belieben, während sich Jae-Seung
Lee als Ferrando in der Höhe nicht durchweg freizusingen vermag.
Prägnant gelingt ihm jedoch die (im Gegensatz zu den Chören
und einigen Rezitativ-Passagen) nicht gekürzte, dramaturgisch
wichtige Kavatine „Tradito, schernito“. Hier nun hat
sich die Vorahnung aus der ersten Szene bewahrheitet: Der Partnertausch
hat bleibende Wunden hinterlassen, die auch das von Alfonso und
Despina eilig zusammengeschusterte Versöhnungsfinale nicht
so schnell wird heilen können. Wer es mit wem auf Dauer aushalten
wird, bleibt offen. Die roten Herzluftballons, mit denen Despina
die erste Zuschauerreihe versorgt hatte, steigen in den Nachthimmel
auf, ins Ungewisse.
Im 60. Jahr ihres Bestehens beweist die Jeunesses Musicales Deutschland
einmal mehr, welches künstlerische Niveau mit klug konzipierter
Nachwuchsarbeit erreicht werden kann. Kein Zweifel: Die Produktion
des diesjährigen Opernkurses würde in ihrem szenischen
Spielwitz, ihrer musikalischen Kompetenz, ihrem sängerischen
Niveau und Ensemblegeist jedem größeren Opernhaus zur
Ehre gereichen.
Juan Martin Koch
|