Diesen kleinen, aber sehr präzise gesetzten Akzent gilt es
im Auge zu behalten, wenn Regisseurin Beverly Blankenship im ersten
Akt der Weikersheimer Così-fan-tutte- Die Verwandlung der zuvor doch reichlich effeminiert herumstaksenden Herren in possierliche Postpunk-Rapper mit Ghettoblaster ist radikal (Kostümbildnerin Susanne Schwarzer hat sichtlich Spaß an diesem Irrwitz), doch zunächst riskiert nur Dorabella einen genaueren Blick auf das üppige Brusthaar(-toupet). Was nun folgt, ist eine brillante Einbeziehung der Weikersheimer Schlosskulisse: Denn Fiordiligi hat sich erst gar nicht dazu hinreißen lassen, zu den lächerlichen Verehrern hinabzusteigen. Von der Balustrade aus schleudert sie ihr „Come scoglio“ auf eine Schwester herunter, der jedes Wort dieses in Stein gemeißelten Treueschwurs durch Mark und Bein geht. Die chilenische Sopranistin Roxana Herrera Díaz hat hier ihren ersten von mehreren großen Momenten an diesem Abend. Wie sie ihre zunächst erratisch kontrollierte Stimme in dem Moment entfesselt, da vom „Sturm“ der Gefühle die Rede ist, dem sie trotzen will – das ist intelligente, reife Vokalkunst. Ein weiterer ist ihr über weite Strecken ganz nach innen gewandtes Rondo „Per pietà“. Hier gelingt überdies Bruno Weil mit dem Jungen Klangforum Mitte Europa eine wunderbare instrumentale Verschmelzung mit der Gesangslinie. Der Dirigent hat die jungen Musiker hörbar zu einer Einheit geformt, die sich aus dem mitten in die Bühne geschnittenen Orchestergraben heraus jederzeit auf Augenhöhe mit dem theatralen Geschehen bewegt. Mit zunehmender Sicherheit gelingt es dem Orchester auch mehr und mehr, innerhalb der raschen Tempi Akzente und Farbwechsel zu gestalten. Marija Jokovics Dorabella steht ihrer Schwester in nichts nach: Trotz der hohen Schlagzahl, die Bruno Weil vorgibt, charakterisiert sie die „Smanie implacabili“ ebenso genau wie später ihr lapidares Eingeständnis, der Tücke der Liebeswirren erlegen zu sein. Nach einem Schäferstündchen in Despinas Gewächshaus ist sie nun endgültig im Guglielmo-Partnerlook unterwegs, als Trophäe wedelt sie mit dessen unwiderstehlichem Schottenkaro-Slip… Dessen Besitzer ist an diesem Abend auch der Verführer mit den besseren stimmlichen Voraussetzungen. Hansung Yoo variiert sein durchsetzungsfähiges, aber stets geschmeidiges Timbre nach Belieben, während sich Jae-Seung Lee als Ferrando in der Höhe nicht durchweg freizusingen vermag. Prägnant gelingt ihm jedoch die (im Gegensatz zu den Chören und einigen Rezitativ-Passagen) nicht gekürzte, dramaturgisch wichtige Kavatine „Tradito, schernito“. Hier nun hat sich die Vorahnung aus der ersten Szene bewahrheitet: Der Partnertausch hat bleibende Wunden hinterlassen, die auch das von Alfonso und Despina eilig zusammengeschusterte Versöhnungsfinale nicht so schnell wird heilen können. Wer es mit wem auf Dauer aushalten wird, bleibt offen. Die roten Herzluftballons, mit denen Despina die erste Zuschauerreihe versorgt hatte, steigen in den Nachthimmel auf, ins Ungewisse. Im 60. Jahr ihres Bestehens beweist die Jeunesses Musicales Deutschland einmal mehr, welches künstlerische Niveau mit klug konzipierter Nachwuchsarbeit erreicht werden kann. Kein Zweifel: Die Produktion des diesjährigen Opernkurses würde in ihrem szenischen Spielwitz, ihrer musikalischen Kompetenz, ihrem sängerischen Niveau und Ensemblegeist jedem größeren Opernhaus zur Ehre gereichen. Juan Martin Koch
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|