Alle reden über die Finanz- und Eurokrise, wir auch. Der
Spiegel (Nr. 32) fragte jüngst, was die Europäer eigentlich
eint und wie deutsch der Kontinent werden soll. Eine berechtigte
Frage, denn Deutschland steht im europäischen Vergleich verhältnismäßig
gut da im Hinblick auf seine Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit.
Möglicherweise ist Deutschland einfach zu wettbewerbsfähig?
Vielleicht liegt des Rätsels Lösung gar nicht in der
nachhaltigen Konsolidierung der Haushalte, die nicht zuletzt zu
eben dieser Wettbewerbsfähigkeit beigetragen hat. Aussagen
wie „Wir Deutschen müssen alles zahlen, weil wir so
hart arbeiten, so fleißig sparen und Steuern zahlen“ stehen
den Vorurteilen gegen die Deutschen gegenüber: „Auf
unsere Kos-ten machen sich die Deutschen ein gutes Leben, sie haben
den Krieg verloren, aber sind die Profiteure Europas und zwingen
uns ihren Lebensstil auf...“
Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht
so, dass in Deutschland alles im Reinen wäre, wie uns ein ums andere Mal beispielsweise
die unzureichende Kulturfinanzierung oder aber auch die zunehmend
vernachlässigte Infrastruktur zeigt. Jürgen Trittin hat
in der vorletzten Ausgabe (Nr. 04/11) von „politik und kultur“,
der Zeitung des Deutschen Kulturrates, einen bemerkenswerten Leitartikel über
das Leid der Kulturfinanzierung in Deutschland geschrieben. Danach
darf die angesichts der Rekordverschuldung der öffentlichen
Haushalte notwendige Schuldenbegrenzung nicht zu einer geistig
verarmten Gesellschaft führen, in der die kulturelle Infrastruktur
als Fundament unserer Gesellschaft nachhaltig beschädigt wird. „Kultur
zu stärken statt zu beschneiden, ist auch ein Gebot ökonomischer
Vernunft.“ Vielleicht gibt es ja – über die Kulturfinanzierung
hinaus – einen Weg, der zwar unorthodox scheint, aber möglicherweise
das Euro-Problem in vielerlei Hinsicht zu lösen vermag: Wir
müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit der der anderen Mitgliedstaaten
anpassen, sprich einfach wieder mehr Schulden machen, Geld ausgeben.
An Geld mangelt es grundsätzlich nicht in unserer Wirtschaft,
es ist nur nicht hinreichend aktiviert. Also lasst uns fröhlich
das Füllhorn ausschütten und in alle notwendigen Infrastrukturen,
kultureller wie auch wirtschaftlicher Art, nachhaltig investieren!
Damit schlagen wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe:
Es können beispielsweise Kitas und Schulen modernisiert und
mit ausreichend Personal ausgestattet werden, um soziale Brennpunkte
zu entschärfen, die Kulturlandschaft könnte endlich auskömmlich
finanziert werden, bundesweit ausgehandelte Tarife ohne Einschränkungen
angewendet, notwendige Investitionen und Förderprogramme für
neue Technologien angeschoben, die Verkehrsinfrastruktur den modernen
Gegebenheiten angepasst und erneuert werden usw.. Angenehmer Nebeneffekt
wäre, dass noch mehr Menschen Arbeit fänden, vielleicht
könnten wir sogar unseren europäischen Nachbarn noch
Jobs anbieten. Durch diese Form der Investitionen würden wir natürlich
wieder mehr Schulden machen müssen, die Inflation würde
steigen, die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu unseren
europäischen Nachbarn nachlassen, sprich sich an deren Niveau
anpassen. So müssten die lieben Nachbarn nicht mehr auf die
bösen Deutschen schimpfen, wir wären nicht mehr die Buhmänner,
Europa wieder geeint. Die Menschen würden wieder mehr Geld
ausgeben und damit auch die Konjunktur beleben. Statt den Finanzmarkt
zu subventionieren würde in die Zukunftsfähigkeit der
Realwirtschaft investiert.
Und ganz nebenbei würde damit das erwähnte kulturelle
Fundament, auf dessen Basis die Wirtschaft die nächsten Jahre
und Jahrzehnte aufbauen kann, auch für künftige Generationen
nachhaltig gesichert.
Und: Es muss auch keiner deutsch werden und wir können alle
Europäer bleiben... Gerrit Wedel
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