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Berichte

Ringen mit der Zensur

Jacques Offenbachs „Barkouf“ in Köln

Es war ohne Frage eine der bedeutendsten Ausgrabungen des Musiktheaters, als die Opéra National du Rhin in Straßburg im vergangenen Dezember, Jacques Offenbachs opéra comique „Barkouf“ zum ersten Mal seit 1860 wieder auf die Bühne brachte. Die Oper Köln hat diese Produktion (als Koproduktion) nun übernommen, um mit neuem Ensemble und anderem Dirigenten das Stück, die wohl bedeutendste Politsatire des Musiktheaters, zur deutschen Erstaufführung zu bringen.

Susanne Elmark als Maïma, Patrick Kabongo als Saëb, Chor der Oper Köln. Foto: Paul Leclaire

Susanne Elmark als Maïma, Patrick Kabongo als Saëb, Chor der Oper Köln. Foto: Paul Leclaire

Zwei Jahre nach dem triumphalen Erfolg des „Orphée aux enfers“ brachte Jacques Offenbach am 24.12.1860 in der Pariser Opéra comique seine opéra bouffe „Barkouf“ zur Uraufführung. Es verschwand allerdings nach nur acht Vorstellungen von der Bühne. Die Partitur lag für lange Zeit in einem Archiv der Nachkommen des Komponisten, bis sie von Jean-Christophe Keck kürzlich wiederentdeckt wurde. Die Geburt von Offenbachs erstem Stück, das er für die opéra comique geschrieben hatte, war ein zähes Ringen mit der Zensur. Es handelt sich um eine bittersüße Politsatire, die es in sich hat. Im Zensurbericht vom 10. Oktober 1860 hieß es, „Sultan Barkouf“, wie das Stück ursprünglich heißen sollte, sei ein fremdartiges Werk, das man auf keinen Fall zulassen dürfe, da es, obgleich es in Indien spiele, „dem Land der Fabeln und der Fantasie, eine fortwährende Verhöhnung der höchsten Autorität unserer Zeit und unseres Landes“ bilde. Das Stück wurde verboten. Doch Eugène Scribe und seinem Mitarbeiter Henry Boisseaux gelang es, ein neues Manuskript vorzulegen, in dem die Begriffe wie „Vizekönig, Meister und Herrscher“ durch „Gouverneur“ oder „Kaimakan“ ersetzt wurden, das Stück dadurch abgemildert und somit genehmigt wurde: Aus der opéra comique „Le sultan Barkouf“ wurde die opéra bouffe „Barkouf“.

Den ersten Grundgedanken zum Stück fand Scribe in einer nordischen Legende. Das Volk von Lahore hat die Angewohnheit, seine Vizekönige aus dem Fenster zu stürzen; um es zu bestrafen, wählt der große Mogul als neuen Vizekönig seinen Hund Barkouf, sehr zum Nachteil des Großwesirs Bababeck, der den Platz begehrte. Aber Barkouf gehörte einst dem Blumenmädchen Maïma, die, da sie als Einzige fähig ist, sich dem wilden Tier zu nähern, seine Sekretärin wird und in seinem Namen mit Weisheit herrscht. Sie vereitelt einen von Bababeck verübten Vergiftungsversuch, lässt die Hochzeit ihres Geliebten Saëb mit Périzade, der lächerlichen Tochter des großen Wesir, zerbrechen und rettet den Geliebten ihrer Freundin Balkis, Xailoum, vor dem Todesurteil. Xailoum symbolisiert „das Kind des Volkes“, den „Straßenjungen von Paris“, das heißt die Opposition, die immer in Bewegung ist. Im letzten Akt findet Barkouf einen ehrenvollen Tod. Die Oper endet im Happyend, vermischt mit Klagegesängen über den Tod Barkoufs, des besten Herrschers aller Zeiten.

Regisseurin Mariame Clément hat das Stück in der Gegenwart verortet, bevor sie am Ende den historischen Bezug im Kostümlichen herstellt. Beim Straßenjungen von Paris denkt man sofort an die Gelbwesten auf den Champs-Élysées. Und wenn vom „Klettern und Kriechen“ jener die Rede ist, die dadurch „nach Oben gelangt“ seien, tragen die Akteure Masken gegenwärtiger Politiker: unter ihnen Trump, Emmanuel Macron, Erdogˇan, Vladimir Putin. Die Politikerkaste wird ordentlich durch den Kakao gezogen. Forderungen nach Senkung der Steuern, Beseitigung sozialer Miss-stände, verbunden mit Libertés, Egalités und Croquettes (Hundegebäck) werden vom Hunderegenten Barkouf gewährt, den man nur einmal, ziemlich gegen Ende, tatsächlich sieht, wenn er sich als kleiner schwarzer Kläffer mit goldenem Krönchen aus seiner gigantischen Hundehütte herauswagt und quer über die Bühne rennt.

Mariame Clément zeigt das subversive Stück einerseits in einer asiatisch anmutenden sozialistischen Halle des Volkes, deren Rednerpult sich auf der Rückseite als Revuebühne entpuppt, andererseits in einem gigantischen Aktenarchiv. Auch wenn sie zuweilen mit dem Holzhammer inszeniert, sie will um jeden Preis billigen Klamauk und Posse vermeiden, will alles „richtig“ machen, weshalb die Inszenierung in Straßburg etwas bemüht und unterkühlt wirkte. Erstaunlicherweise zündet ihre Inszenierung in der Kölner Version weit besser. Im Gegensatz zu Straßburg wird in ihr mit deutschen Dialogen und Kölner Bezügen (etwa der Rivalität mit Düsseldorf oder der Endlosbaustelle des Opernhauses) aufgewartet. Und die Räumlichkeit des Staatenhauses, in dem die heimatlose Oper Köln spielt, mit hochgefahrenem Orchestergraben und anderem, gänzlich schmucklosem Raumkonzept kommen der Satire zugute, musikalisch wie szenisch.

Martin Koch als Kaliboul und ein Statist der Oper Köln. Foto: Paul Leclaire

Martin Koch als Kaliboul und ein Statist der Oper Köln. Foto: Paul Leclaire

Musikalisch ist „Barkouf“ ein genialer, operngeschichtlich einmaliger Mix aus seria- und buffa-Elementen, eine oszillierende Mischung von Stilelementen verschiedenster Genres. Die Finali, die großen Ensembles, Trios, Duette, Arien und Tanzmusikpiècen (nicht zu vergessen das einzigartige Verschwörungsnonett) dieses Werks gehören zum Besten und Originellsten, was Offenbach komponierte. Er zeigt sich in diesem Stück als grandioser Komponist, der handwerklich souverän alle Register zu ziehen versteht.

Leider nutzt der Choreograf Mathieu Guilhaumon die Chancen und Möglichkeiten der prachtvollen Tänze Offenbachs nur minimalistisch, wenn auch ironisch. Das Rebellische und ironisch Augenzwinkernde der schillernden Offenbachschen Musik kommen bei Stefan Soltesz am Pult scharf und funkelnd zum Zuge. Er beglaubigt mit attackierender wie eleganter, scharfer, temperamentvoller und unglaublich sensibler Lesart das musikantische Raffinement, die Frechheit Offenbachs. Dem fabelhaften Gürzenich-Orchester Köln gelingt die Entfesselung einer ungemein einfallsreichen, intelligenten und rebellischen Musik von unwiderstehlicher Vitalität. Aber auch die Kölner Sänger sind vorzüglich.

Drei Tenöre werden aufgefahren: ein lyrischer (Bababeck), der mit Matthias Klink sehr überzeugend besetzt ist, ein ténor lyrique léger (Saëb), den Patrick Kabongo zauberhaft leicht singt und ein Charaktertenor (Kaliboul), dem Martin Koch seine charakteristische Stimme leiht. Der Großmogul ist mit dem Bass Bjarni Thor Kristinsson in angemessener Autorität besetzt. Der Stern der Aufführung ist Susanne Elmark, die die atemberaubende Koloraturpartie des Blumenmädchens Maïma singt. Mit schlafwandlerischer Sicherheit interpretiert sie die zwischen Lucia di Lammermoor und Zerbinetta oszillierende, anspruchsvolle Partie mit ihren virtuosen Koloraturkaskaden. Auch der Chor der Oper Köln begeistert durch vorzüglichen Gesang und vitales Aktionstheater.

Das Publikum war außer Rand und Band. Endlich hat Offenbachs Geburtsstadt eine große, überragende, unvergessliche Offenbachaufführung im Offenbachjahr 2019.

Dieter David Scholz

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