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Berichte

Neue Ausgrabung in Bregenz

André Tchaikowsky und Mozart bei den Festspielen · Von Juan Martin Koch

Es könnte der Schädel des Komponisten sein. In der goldenen Truhe wartet er auf den Prinzen von Marokko, einen der erfolglosen Aspiranten auf die Hand der umworbenen Portia. Dass André Tchaikowsky sein Kopfskelett der Royal Shakespeare Company als Requisit vermachte, ist nur ein Mosaikstein in der schillernden, auch düstere Seiten einschließenden Biografie des 1982 verstorbenen polnischen Pianisten und Komponisten. Als späte Uraufführung war nun in Bregenz seine Oper „Der Kaufmann von Venedig“ zu erleben.

Szenenausschnitt aus dem „Kaufmann von Venedig“ mit Kathryn Lewek als Jessica und Jason Bridges als Lorenzo. Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster

Szenenausschnitt aus dem „Kaufmann von Venedig“ mit Kathryn Lewek als Jessica und Jason Bridges als Lorenzo. Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster

Düster, schillernd: Das könnten auch beschreibende Adjektive für diese Opernpartitur sein. In den Jahren von 1968 bis zu seinem Tod hat Tchaikowsky sie den Pausen einer ungeliebten Pianistenkarriere abgerungen. Bisweilen meint man, ihr diese Mühe anzuhören und den Ehrgeiz, allen zu zeigen, dass hier seine wahre Berufung lag. Der Orchestersatz bildet über weite Strecken ein diffiziles polyphones Gewebe, in das der Gesang sich als weitere, führende Stimme nicht immer selbstverständlich einfügt. Britten, Bartók und Strawinsky können als Referenzpunkte ausgemacht werden, und doch ist der sperrige, melancholisch verhangene Tonfall ein ganz eigener.

Er gilt zunächst einmal der Hauptfigur Antonio und seiner Zuneigung zu Bassanio, dessen kostspieligen Werbeversuchen um Portia zuliebe der Kaufmann die Kreditbedingung Shylocks annimmt: ein Pfund eigenen Fleisches als Pfand. Für Antonio, den er als Countertenor besetzt und mit hohen Holzbläserfarben skizziert, fand der offen schwul lebende Komponist ebenso eine spezifische orchestrale Sphäre wie für den ausgegrenzten und gedemütigten Juden Shylock und sein Verlangen nach rächender Gerechtigkeit (tiefes Holz, Blechbläser). Die Wiener Symphoniker unter Erik Nielsen kosten das mit exzellenter Spielkultur aus.

Melancholisch verhangen ist zunächst auch der Anfang des zweiten Aktes. Portias Hoffen darauf, der richtige Kandidat möge das Rätsel der drei Truhen lösen und damit das Recht, sie zu heiraten erwerben, ist eher resigniert denn erwartungsfroh. Mit den ersten, erfolglosen Versuchen nimmt die Musik dann aber einen etwas helleren Scherzando-Charakter an. André Tchaikowskys brillante Idee, das Rätsel tanzpantomimisch darzustellen, inspirierte Regisseur Keith Warner in Bregenz dazu, zwei Tänzer einen wunderbar leichtfüßigen und komischen Gang durch ein Gartenlabyrinth antreten zu lassen.

Überhaupt erweist sich Warners schnörkellose, in der Personenführung sehr klare Regiearbeit als äußerst werkdienlich. Dass er das Stück Ende der 1920er-Jahre, zwischen klaustrophobisch sich verschiebenden Mauern aus Bankschließfächern verortet, ist nicht bloßes Ausweichen vor unverbindlicher Historienkostümierung. Die Journaille, die dem jüdischen Banker Shylock zuleibe rückt, deutet vielmehr, ebenso wie Ku-Klux-Klan und antisemitischer Mob, die Vorgeschichte dessen an, was Tchaikowsky schließlich ins Warschauer Ghetto bringen sollte. (Seine Großmutter schmuggelte den Jungen dort heraus und versteckte ihn unter falschem Namen.)

Die auch musikdramatisch überzeugend zugespitzte Gerichtsszene bis hin zur vernichtenden Niederlage Shylocks weiß Regisseur Warner prägnant auf den Punkt zu bringen. Im zu lang geratenen Epilog bleiben schließlich neben der mondtrunkenen Tochter Shylocks Jessica und ihrem Liebhaber Lorenzo zwei weitere, durch die Ring-Episode sanft erschütterte Paare übrig. Antonio kehrt auf die Psychiatercouch der ersten Szene zurück.

Wäre Christopher Ainslies Countertenor in der Mittellage durchsetzungsfähiger gewesen, sein Porträt der Titelrolle hätte stärkere Wirkung entfaltet. Dies ist aber auch schon die einzige Einschränkung einer stimmlich ansonsten glänzenden Produktion. Angeführt wird sie von Adrian Eröds ebenso gefährlichem wie erschütterndem Shylock. Sein vokales Psychogramm kulminiert im Monolog der Gerichtsszene.

Vorausgegangen war dieser lohnenden Entdeckung (wieder einmal vorbildlich durch weitere Konzerte und ein Symposium flankiert, s.S. 9) als Spiel auf dem See die Zauberflöten-Inszenierung, mit der sich David Pountney als Regie führender Intendant heuer von den Festspielen verabschiedete. Auf den ersten Blick scheint er eine Kinderzimmerperspektive gewählt zu haben: Die drei riesenhaften, Johan Engels Bühne bewachenden Höllenhunde könnten Maurice Sendaks Kinderbuch „Wo die wilden Kerle wohnen“ entstiegen sein; die grüne Mammutschildkröte wiederum, deren Rücken als Drehbühne dient, scheint den beschwerlichen Weg aus Legoland auf sich genommen zu haben; und die drei Damen kommen ebenso wie die drei Knaben oder die Geharnischten als überlebensgroße, von Marie-Jeanne Lecca in schrill-schillernde Farben getauchte Stabpuppen daher.

Mit viel Pyrotechnik und Seilakrobatik, einer veritablen Feuer- und Wasserprüfung sowie diversen Bootsfahrten bebildert Pountney aber eine im Kern gar nicht so kindliche Sicht auf Mozarts und Schikaneders Singspiel. Für ihn ist die Sarastro-Welt nicht weniger fragwürdig als die der Königin der Nacht. Der Sieg Taminos und Paminas besteht darin, beides hinter sich zu lassen: Mit friedvoll leuchtenden Regenbogen auf den T-Shirts verabschieden sie sich zusammen mit dem Chor am Ende von der Zuschauertribüne aus von den weiterhin sich bekriegenden Kontrahenten.

Die auf eine zweieinviertelstündige, pausenlose Dauer gestraffte Produktion weiß somit als kurzweiliges, durch permanente visuelle Reize aber auch etwas kurzatmiges Spektakel intelligent zu unterhalten. Unter Patrick Summers‘ nicht sonderlich zupackendem Dirigat wird bei dieser zweiten Aufführung sehr beachtlich gesungen, unter anderem von Rainer Trost als Tamino, Anja-Nina Bahrmann als Pamina und Laura Claycomb als Königin der Nacht. Bregenz hat somit wieder einen Publikumsmagneten, der auch 2014 sicher seine Anziehungskraft entfalten wird. Im Festspielhaus wird dann die ursprünglich für dieses Jahr geplante Uraufführung von HK Grubers „Geschichten aus dem Wienerwald“ zu hören sein.

Juan Martin Koch

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