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Berichte

Erschreckendes und Gefälliges

Opernbericht von den Salzburger Festspielen · Von Verena Fischer-Zernin

„Gawain“, „Lucio Silla“, „Jeanne d’Arc“ – diese Operntitel sagen auf den ersten Blick nur Eingeweihten etwas. Die Salzburger Festspiele haben den Reigen ihrer Opern-Neuproduktionen dieses Jahr mit eher entlegenen Werken begonnen.

„Gawain“: Christopher Maltman (Gawain), Ivan Ludlow (Agravain), Gun-Brit Barkmin (Guinevere), Andrew Watts (Bishop Baldwin), Jeffrey Lloyd-Roberts (King Arthur), Alexander Sprague (Ywain), Brian Galliford (A Fool). Foto: Ruth Walz

„Gawain“: Christopher Maltman (Gawain), Ivan Ludlow (Agravain), Gun-Brit Barkmin (Guinevere), Andrew Watts (Bishop Baldwin), Jeffrey Lloyd-Roberts (King Arthur), Alexander Sprague (Ywain), Brian Galliford (A Fool). Foto: Ruth Walz

Harrison Birtwistles „Gawain“ führt das Publikum in der Felsenreitschule gleich zu Beginn in eine zerschmetterte Zivilisation. Aus deren Abgründen soll ausgerechnet die Kunst die Menschheit herausführen. Auf diese Formel bringt jedenfalls der lettische Regisseur Alvis Hermanis die Botschaft der Oper. Bei Hermanis trägt die Titelfigur, gesungen vom britischen Bariton Christopher Maltman, den Filzhut und sogar die Züge des Künstlers Joseph Beuys. Es ist das Jahr 2021. Naturkatastrophen haben die zivilisierte Welt zerstört. Verwirrte, schmutzige Gestalten winden sich in den Ecken einer Ruine, ab und zu fressen sie einen der ihren.

Das ist also übriggeblieben von König Artus’ stolzer Tafelrunde. Dort nämlich beginnt die Oper, fußend auf der mittelalterlichen Romanze vom Grünen Ritter (John Tomlinson, ein alternder und doch souveräner Wiedergänger Wotans), der bei Hofe ein seltsames Spiel vorschlägt: Wer den Mut habe, möge ihm den Kopf abschlagen – und sich nach Ablauf eines Jahres bei ihm einstellen, um dann seinerseits enthauptet zu werden. Viel mehr an Handlung findet nicht statt. Stattdessen stellen Birtwistle und sein Librettist David Harsent die schnelllebige, zielorientierte Sichtweise unserer Zeit auf die Probe: Sie schauen genau hin, sie wiederholen vielfach und unterstreichen dadurch den rituellen Charakter.

Dass die Spannung drei Stunden lang hält, ist Hermanis’ präziser Choreografie zu danken. Wie die stummen Schauspieler die Schrecken der Apokalypse verkörpern, das erinnert nicht zufällig an den Titel von Beuys’ Installation „Das Rudel“, die Hermanis zudem wortgetreu auf die Bühne stellt; eins der vielen, in der Massierung leicht kulinarisch wirkenden Beuys-Zitate. Und wenn Gawain die Axt zwar hebt, dann aber zögert zuzuschlagen, treibt das Orchester sein inneres Drama auf die Spitze.

Überhaupt ist die Musik das Gravitationszentrum der Aufführung. Ingo Metzmacher und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien leuchten in jeden Winkel der komplexen Partitur. Winzige Abstimmungsprobleme sind den Distanzen geschuldet. Die Sängerleistungen sind durchwegs beeindruckend, auch die des Salzburger Bachchors, der den ganzen Abend über aus dem Off singt. „I’m not that hero!“, singt Gawain, den der Grüne Ritter begnadigt hat, immer wieder. Doch keiner will hören, dass er gerade im Scheitern Mensch geworden ist.

„Lucio Silla“: Rolando Villazón (Lucio Silla), Eva Liebau (Celia). Foto: Matthias Baus

„Lucio Silla“: Rolando Villazón (Lucio Silla), Eva Liebau (Celia). Foto: Matthias Baus

Der Unterschied zu Mozarts frühem „Lucio Silla“ könnte größer nicht sein. In der Felsenreitschule Hermanis’ oft abstoßende Bilder – und im benachbarten Haus für Mozart ein Abend von gefälliger Schönheit. Marc Minkowski und der kanadische Regisseur Marshall Pynkoski haben das Stück schon bei der diesjährigen Mozartwoche auf die Bühne gebracht; als konzertante Produktion wird es im September außerdem beim Musikfest Bremen gastieren.

Der Bühnenbildner Antoine Fontaine eröffnet den Abend römisch-klassisch mit einem Blick auf Pinien und Zypressen, die Sänger steckt er in milde abs-trahierte seidene Rokokokostüme. Das ist alles hübsch anzusehen – aber man könnte diesen „Lucio Silla“ auch gut mit geschlossenen Augen genießen. Denn was Minkows-ki und seine Musiciens du Louvre Grenoble im Graben entfesseln, ist schlicht überwältigend. Minkows-ki konturiert die Phrasen zum Anfassen genau, für die Kontraste geht er immer wieder an Grenzen. Und präpariert förmlich heraus, wie kompakt und dramatisch diese Musik von der Hand eines 16-Jährigen ist. Von den ersten, wenn auch leicht unscharfen Takten der Ouvertüre an hat dieser Theaterdompteur das Geschehen in der Hand.

Die stimmliche Virtuosität des Ensembles ist beeindruckend. Vier Frauen beherrschen das Stück, wobei die beiden Hosenrollen, die Sopranistin Inga Kalna als Verschwörer Cinna und die Mezzosopranistin Marianne Crebassa als liebender Cecilio, in der klanglichen wie darstellerischen Variabilität die Nase vorn haben. Die Koloraturen perlen bei allen, auch bei Olga Peretyatkos Giunia, die sich der Avancen des Tyrannen Silla erwehren muss, und bei Celia (Eva Liebau), der Schwester des Tyrannen. Doch auch wenn Peretyatko ihre Verachtung Silla raubtierhaft ins Gesicht faucht, bleibt sie blass in ihrer Charakterentwicklung. Hier zeigen sich die dramaturgischen Schwächen des Stücks. Respekt für den Mut, eine ganze Opera seria zu inszenieren – aber an ihren Längen und ihrer Disproportionalität kommt Pynkoskis Regie nicht unbeschadet vorbei. Da werden die bewusst eingesetzten Gebärden schon mal zum running gag. Dass sich Giunia im Schmerz gern zur Wand dreht, dass Cecilio im Furor über die Bühne stürmt, das ist spätestens im zweiten Akt bekannt. Den Salzburger Bachchor stellt Pynkoski für seine paar Nummern reichlich statisch in den Hintergrund, dafür belebt er die Szene durch Balletteinlagen.

Und was ist eigentlich mit Rolando Villazón, dem einzigen Mann im Solistenensemble? Der zeigt sich als Fiesling Silla mal wieder als fulminanter Darsteller. Von einem Mozart gemäßen Schmelz ist seine Stimme allerdings weit entfernt, auch brechen sich immer mal belcantistische Schluchzer Bahn. Die Partie liegt nicht besonders hoch, trotzdem stemmt er die Töne. Der Jubel zeigt: Der Mann hat treue Fans.

„Falstaff“: Ensemble. Foto: Silvia Lelli

„Falstaff“: Ensemble. Foto: Silvia Lelli

Auch „Falstaff“ ist nicht unbedingt ein Blockbuster des Repertoires. Statt Herzschmerz und süffiger Arien beherrschen Witz und Ensemblegeist Verdis letzte Oper: ein Alterswerk, das sich um einen alternden Helden dreht. Der Italiener Damiano Michieletto verlegt es in die Casa Verdi, jenes Altersheim für Musiker, das der Komponist in seinen letzten Lebensjahren in Mailand erbauen ließ. Dort schläft Falstaff im Salon auf einem Sofa und träumt von seiner ruhmreichen Sängervergangenheit, während im Hintergrund Bewohner ihre Rollatoren zum Essen schieben. Die Opernhandlung trägt sich als Rückblende ausschließlich in diesem einen Saal zu, der Bühnenbildner Paolo Fantin hat ihn detailgetreu nachgebaut. Für sein Konzept opfert Michieletto sogar den berühmten Fenstersturz im Wäschekorb. Bei aller Turbulenz gibt er den melancholischen Aspekten der Oper Raum. Anders als bei Shakespeare ist Falstaff bei Verdi nicht nur ein tumber Säufer. Er gesteht es sich zwar selbst kaum ein, aber die Nöte des Altwerdens plagen auch ihn.

Dem Bariton Ambrogio Maestri scheint die Rolle nicht nur in seine wohltönende Kehle, sondern auch auf den schweren Leib geschrieben zu sein. Herrlich, wie dieser Hüne die Gefühlsausbrüche oder das Räsonieren seiner Figur in ein Heben der Augenbraue oder ein Abschattieren des Timbres fassen kann. Ihm steht ein hochkarätiges, spielfreudiges Ensemble zur Seite. Die Mezzosopranistin Elisabeth Kulman kostet ihre Rolle als kokette Mrs Quickly voll aus, und Javier Camarenas biegsamer, runder Tenor (Fenton) ist eine Entdeckung.

Vor lauter Drive klappert es schon mal zwischen Bühne und Graben. Zubin Mehta am Pult der klein besetzten Wiener Philharmoniker nimmt die Ensemble-Parlandostellen in atemberaubenden Staccati und lässt die Bläser nur so schrauben und trillern. Um knackige Italianità ist Mehta nicht verlegen, die kurzen wehmütig-lyrischen Passagen geraten freilich manchmal etwas straff.

Die konzertante „Jeanne d’Arc“ von Walter Braunfels eröffnet wiederum eine ganz andere Welt. Der Komponist wurde als „Halbjude“ von den Nazis mit Berufsverbot belegt. In den Jahren des erzwungenen Schweigens entstand 1938 bis 1942 seine letzte Oper. Ihre Massenszenen jagen dem Hörer eingedenk dieses zeitlichen Zusammenhangs zusätzliche Schauer über den Rücken; der Salzburger Bachchor hat hier einmal eine tragende Rolle und füllt sie eindringlich aus.

Manfred Honeck am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien entfaltet die Partitur zu ungeheurer Stringenz. Braunfels nähert sich seinem Sujet in einer Mischung aus kritischer Reflexion, Dramatik und sogar Witz. Die Buffo-Szenen mit Jeannes Gegenspieler de la Trémouille schaffen erst die Fallhöhe, die es für eine Oper braucht. Ganze 16 Gesangssolisten, allen voran Juliane Banse in der Titelrolle mit ihrem dunkel timbrierten, beseelten Sopran, bringen den Stoff zum Leben und beglaubigen die vielen Stilzitate, die durchaus auch eklektisch wirken könnten: Mal schwingt der Komponist den breiten Filmmusikpinsel, mal näselt es renaissancehaft im Bläsersatz, aber auch Bartók, Hindemith, Strauss klingen an. Eigentlich würde man das Stück doch gerne mal auf der Bühne sehen.

Verena Fischer-Zernin

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