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Wagner aus dem Geiste Mendelssohns

Nürnbergs GMD Marcus Bosch im Gespräch mit Christian Kröber

Marcus Bosch ist seit 2011 Generalmusikdirektor am Staatstheater Nürnberg. Daneben verantwortet er die Heidenheimer Opernfestspiele und die Waldhaus Konzerte Flims. Über seine Arbeit in Nürnberg und sein darüber hinaus gehendes Engagement sprach Christian Kröber für „Oper&Tanz“ mit dem vielseitigen Musiker.

Marcus Bosch. Foto: Ulf Krentz

Marcus Bosch. Foto: Ulf Krentz

Oper&Tanz: Herr Bosch, Sie sind seit der Spielzeit 2011/12 musikalischer Chef der Oper in Nürnberg. Was unterscheidet das Haus in Nürnberg von dem in Aachen, wo Sie zuvor zehn Jahre lang tätig waren?
Marcus Bosch: In Nürnberg ist zunächst alles eine Nummer größer – das Orchester, der Chor und das Solistenensemble. Außerdem ist das Opernrepertoire in Nürnberg ein völlig anderes. Nicht umsonst steht jetzt der „Ring“ vor der Tür, und ich habe hier regelmäßig in der Saison zwei bis drei Wagner-opern dirigiert.
Das Konzertrepertoire in Aachen war mit dem in Nürnberg vergleichbar. In Aachen konnte ich fast alle wesentlichen sinfonischen Zyklen dirigieren und teilweise sogar aufnehmen, unter anderem alle Bruckner- und Brahms-Sinfonien. In Nürnberg sind die Möglichkeiten, den Konzertbereich auszuweiten, eher eingeschränkt, da sind wir ein bisschen „Opfer“ des Erfolgs der Oper. Leider werden auch die Philharmonischen Konzerte nicht wiederholt.

O&T: Im Wagnerjahr 2013 standen die „Meis-tersinger“ und „Tristan“ auf Ihrem Spielplan, jetzt soll – das haben Sie schon erwähnt – ein neuer „Ring“ aus der Taufe gehoben werden. Was ist ihr spezieller Ansatz?
Bosch: Ein wichtiges Anliegen ist es mir, Wagners Musik aus dem Geiste Mendelssohns heraus zu dirigieren. Wenn man allein das Vorspiel zu „Rheingold“ hört und „Die schöne Melusine“ im Ohr hat, dann weiß man, an welchen Ideen Wagner sich erfolgreich bedient hat. Das „falsch Pompöse“ an Wagner liegt mir fern. Insofern ist die Suche nach Transparenz für mich wesentlich. Darüber hinaus ist es eine tolle Chance, den „Ring“ nahezu komplett aus dem Ensemble heraus zu besetzen und so zusammen mit Sängern, die einander schon aus anderen Konstellationen vertraut sind, über die drei oder vier Jahre hinweg etwas zu entwickeln und wachsen zu lassen.

O&T: Ein wesentliches dramaturgisches Gewicht kommt vor allem in der „Götterdämmerung“ dem Chor zu. Wie ist die Aufgabenteilung zwischen GMD und Chordirektor?
Bosch: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Ich würde mir aber in der Tat wünschen, dass ich öfter Zeit hätte, selber in den Chorsaal zu gehen, was wegen meiner vielfältigen Aufgaben im Haus leider nur begrenzt möglich ist. Das bedauere ich sehr, denn ich komme ja vom Chor. Bereits mit 14 Jahren habe ich meinen ersten Kirchenchor geleitet, habe selbst jahrelang im Chor – unter anderem im Stuttgarter Kammerchor – gesungen und zwei große Ensembles aufgebaut. So war der Chor immer eine Art Heimat für mich und liegt mir sehr am Herzen.
Der Opernchor tut mir allerdings manchmal leid, weil er wegen Regiegegebenheiten, Akustik und räumlicher Distanzen in Positionen agieren und singen muss, die eine musikalische Differenzierung deutlich einschränken. Deshalb freue ich mich sehr, nächstes Jahr Verdis „Requiem“ mit dem Nürnberger Opernchor im Konzert zu machen.

„Tristan und Isolde“ am Nürnberger Staatstheater mit Lioba Braun als Isolde, Opernchor und Statisterie. Im Hintergrund: Alexandra Petersamer (Brangäne), Vincent Wolfsteiner (Tristan) und Jochen Kupfer (Kurwenal). Foto: Ludwig Olah

„Tristan und Isolde“ am Nürnberger Staatstheater mit Lioba Braun als Isolde, Opernchor und Statisterie. Im Hintergrund: Alexandra Petersamer (Brangäne), Vincent Wolfsteiner (Tristan) und Jochen Kupfer (Kurwenal). Foto: Ludwig Olah

O&T: Fühlen sich die Mitglieder des Chores auch vom Publikum künstlerisch wahrgenommen?
Bosch: Ich glaube zunächst einmal schon. Wenn ich den Applaus betrachte, den der Chor für seine Leistung erhält, gibt es eine starke positive Resonanz des Publikums. Trotzdem ist es für den einzelnen Chorsänger oft schwierig, seine Rolle im Kollektiv zu finden, weil ja alle eine solistische Ausbildung haben. Vielleicht sagt sich so mancher bei dem einen oder anderen Solisten sogar: Das könnte ich besser. Sängerisch kann der Einzelne im Chor nicht immer gewürdigt werden; bei einem guten Chor geht es vielmehr darum, möglichst homogen zu klingen. Der Einzelne ist eben ein wichtiger Teil des Ganzen. Schauspielerisch sieht es da anders aus. Viele Regisseure haben Rollenprofile für jeden einzelnen Chorsänger, und viele gehen dann darin auf. So gibt es die Möglichkeit, den Einzelnen auch im Publikum stärker wahrzunehmen.

O&T: Neben Ihrer Tätigkeit als GMD der Oper leiten Sie die Staatsphilharmonie Nürnberg mit umfangreicher Konzertverpflichtung. Welche Schwerpunkte setzen Sie bei der Programmgestaltung?
Bosch: Meiner ersten Spielzeit haben wir den Titel „Wegweiser“ gegeben, um zu zeigen, welche Schwerpunkte wir setzen wollen. Die letzte Saison hatte den Titel „Unterwegs“, mit dem Impuls, den Konzertsaal zu verlassen, Schwellenängste abzubauen, das Publikum abzuholen und den Konzertsaal so für neues Publikum interessant zu machen. Ins „Innere“ geht es im nächsten Jahr. Dabei geht es uns unter anderem darum, eine Innenschau der gespielten Komponisten zu zeigen.
Wir haben das Konzertangebot im Zuge all dieser Themen ausgebaut: Zu Anfang der Spielzeit gibt es eine „Einkehr mit Bach“ – im doppelten Sinne. Eine innere Einkehr im ersten Konzert am Samstagabend in Nürnberg und eine „Einkehr“ am Sonntag nach dem zweiten Konzert in der Fränkischen Schweiz im Wirtshaus mit Solisten, Musikern und dem Publikum. Mir besonders wichtig ist die Reihe „Nur im Rathaus“, in der wir einen weiteren Ort für die Auseinandersetzung mit historischer Aufführungspraxis haben, um dort zum Beispiel Beethoven-Sinfonien in Uraufführungsbesetzung kammersinfonischen Werken von Strauss oder Strawinsky gegenüberzustellen. Mit der Internationalen Orgelwoche Nürnberg habe ich eine Bruckner-Reihe vereinbart, die 2014 beginnt.
Wir haben aber auch Konzertformate geschaffen, die einen ganz neuen Zugang für die Nürnberger zu ihrem Orchester geschaffen haben. Zum Beispiel die Reihe „Phil and Lunch“ im Germanischen Nationalmuseum, die Wochen vorher ausgebucht ist – Lunchkonzerte, die mittags im Museum stattfinden. Oder die Reihe „Phil&Chill“, bei der wir im angesagten Club „Hirsch“ in Nürnberg spielen und sinfonische Programme präsentieren, die in ein Miteinander von Orchester und DJs übergehen. Neu sind auch Filmkonzerte. Nicht zuletzt haben wir mit großem Erfolg die Familienkonzerte neu konzipiert.

O&T: Neben Ihrer Tätigkeit in Nürnberg haben Sie vielfältige Aktivitäten entwickelt. Wie kam es zu dem Engagement bei den Opernfestspielen Heidenheim und den Waldhaus Konzerten Flims?
Bosch: In Chur war ich zehn Jahre als Chefdirigent der Kammerphilharmonie Graubünden tätig, die sich in dieser Zeit zu einem res-pektablen Klangkörper entwickelt hat. Dort habe ich auch die Schlossoper Haldenstein gegründet, die neben Rheinsberg und anderen ein wichtiger Ort für Sängerförderung geworden ist. Kurz vor meinem Abschied kam die Anfrage von dem schon bestehenden Festival „FlimsKlang“, ursprünglich als „Waldhausmusik“ gegründet. Da für mich Graubünden so etwas wie eine zweite Heimat geworden ist, habe ich gerne – unter der Voraussetzung, ein eigenes Konzept entwickeln zu können – zugesagt.
In einer Phase der Turbulenz der Opernfestspiele in meiner Heimatstadt Heidenheim wurde ich vom Oberbürgermeister angefragt, die Festspiele zu übernehmen. Mit dem neugebauten Festspielhaus Congress Centrum als wunderbarem Konzert- und Theatersaal und zwei weiteren Konzertsälen in der Stadt habe ich glänzende Perspektiven für die Entwicklung und ein breites Spektrum gesehen und zugesagt. So können wir unter anderem von der fantastischen Open-Air-Naturkulisse von Schloss Hellenstein bei entsprechender Witterung innerhalb von drei Stunden bei komplettem Bühnenbild ins Festspielhaus wechseln.

O&T: Zur Saisoneröffnung im September dirigieren Sie die Hamburger Premiere von York Höllers Oper nach Bulgakov „Meister und Margarita“. Was reizt Sie an zeitgenössischer Musik?
Bosch: Für mich ist zeitgenössische Musik immer eine besonders spannende Herausforderung. Musik, die einen überraschen kann, die in ihrer „Herstellung“ oft keine Vorbilder hat. Das bedeutet auch, Utopien umzusetzen und auszuloten. Die Utopie, die Neue Musik mit sich bringt, ist ein großer Anreiz, und natürlich ist da das Spiel von Scheitern und Gelingen nochmals intensiver gegeben als bei klassischem Repertoire. Denn bei einem neuen Stück ist der Gesamtausgang viel offener und hält das Ohr „frisch“. Frisch bedeutet auch: Man hört alte Dinge wieder neu. Genau wie in die andere Richtung, wenn man nach Alter Musik wieder romantisches Repertoire musiziert.

O&T: Viele musikalische Institutionen und vor allem Opernhäuser müssen sich in Zeiten knapper Kassen den Fragen der Öffentlichkeit nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz stellen. Wie ist Ihr Verständnis vom Wert der Musik in unserer Zeit?
Bosch: Sie fragen einen Menschen, der dafür und auch davon lebt, insofern kann es da auch nur eine Antwort geben: Sie ist ein unglaublicher Wert! Mein Antrieb ist die Musik, und ich glaube daran, dass sie nahezu jeden antreiben und berühren kann. Deshalb ist mit meiner Arbeit immer verbunden, anderen die Hand zu reichen, die den Wert noch nicht sehen. Auch wenn es vielleicht pathetisch klingt, ich glaube, wenn alle Menschen im Herzen eine Öffnung hätten, eine Brahms-Sinfonie wahrhaftig zu hören und zu fühlen, würde unsere Welt wirklich besser aussehen.

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