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Kulturpolitik

Klebstoffe für das Publikum

Studie zur Besucherbindung in Opernhäusern · Von Jelena Rothermel

Untergang des Abendlandes, Kulturinfarkt – so tönt es schon seit Jahren aus verschiedenen Richtungen, wenn es um die Zukunft deutscher Kulturinstitutionen geht. Bemängeln die einen die hohen Kultursubventionen, warnen die anderen vor dem Einbruch marktwirtschaftlicher Erwägungen in die Freiheit der Kunst. Tatsache ist, dass sich die Öffentliche Hand weiter aus der Finanzierung der Kulturinstitutionen zurückzieht. Verstärkt sind die Opernhäuser gezwungen, Publikum zu gewinnen und zu halten. Damit wird das Thema Kundenbindung für Kultureinrichtungen immer wichtiger. Viele Methoden wurden entwickelt, um ein einmal gewonnenes Publikum zu einem erneuten Besuch zu motivieren, zum Beispiel das traditionelle Abonnement oder verbilligte Last-Minute-Karten. Seit einigen Jahren boomt der Markt für Hintergrundinformationen: Einführungsvorträge, Backstage-Führungen; all das soll das Interesse an einem Opernbesuch aufrechterhalten. Die Opernhäuser bemühen sich – doch kommt das bei den Besuchern an?

Markus Lutz, Besucherbindung im Opernbetrieb

Markus Lutz, Besucherbindung im Opernbetrieb

Dieser Frage ist Markus Lutz, seit Oktober 2012 Verwaltungsdirektor und stellvertretender Intendant der Dresdner Musikfestspiele, in seiner Publikation „Besucherbindung im Opernbetrieb. Theoretische Grundlagen, empirische Untersuchungen und praktische Implikationen“ nachgegangen. Ihn interessiert, was genau den Opernbesucher an ein Haus bindet. Befragt wurden Wiederbesucher der elf größten deutschen öffentlich finanzierten Opernhäuser, also Menschen, die mehr als einmal das gleiche Opernhaus besucht haben. Vorgespräche mit Intendanten oder Leitern der Marketingabteilungen ergaben eine Liste mit insgesamt 30 Gründen, „Klebstoffe“ genannt, von denen die Befragten annahmen, dass sie Menschen zum Wiederbesuch anregen. Darunter finden sich die Qualität der Sänger, des Orchesters oder der Inszenierung sowie die zufriedenstellende Spielplangestaltung. Zu den Serviceangeboten gehören unter anderem das Informationsangebot oder der unkomplizierte Kartenerwerb. Weitere Faktoren können die bevorzugte Behandlung von Abonnenten, aber auch eine besondere Affinität zur Kunstform Oper sein.

Im Anschluss wurden Fragebögen verteilt. Zwei Fragen standen im Vordergrund: Welche Merkmale zeichnen die Wiederbesucher aus und bilden diese eine homogene Gruppe? Welche Klebstoffe motivieren die Besucher? In einem dritten Schritt wurden beide Fragestellungen miteinander in Verbindung gebracht: Welche Besuchergruppen werden durch welche Klebstoffe an ein Opernhaus gebunden? Nach Auswertung der Daten stellt sich „das Opernpublikum“ als äußerst heterogen heraus. Markus Lutz unterscheidet vier Gruppen von Wiederbesuchern: die Traditionellen, die Service-Orientierten, die Sozial-Interagierenden und die Leidenschaftlichen.

Auch Zeitgenössisches erwünscht

Bei allen Gruppen steht die Qualität der künstlerischen Besetzung an oberster Stelle, gefolgt von der Erwartung eines abwechslungsreichen Spielplans. Entgegen der landläufigen Meinung sind auch zeitgenössische Opern erwünscht. Interessanterweise werden Inszenierungs- und Ausstattungsqualität nur sehr selten als Wiederbesuchsgrund angegeben. Vertragliche Bindungen wie Abonnements bevorzugt nur noch die Gruppe der Traditionellen. Sie sind mit zirka 33 Prozent die größte Gruppe der Wiederbesucher. Die Service-Orientierten zeigen ein starkes Interesse an Angeboten wie dem unkomplizierten Kartenerwerb. Sie messen auch der Inszenierungs- und Ausstattungsqualität mehr Bedeutung bei. Unter den Sozial-Interagierenden sind besonders viele Jüngere. Sie gehen meist in Begleitung in die Oper und freuen sich, dort auf Bekannte zu treffen. Die so genannten Leidenschaftlichen, die kleinste Gruppe, zeichnen sich durch ein hohes Bildungsniveau und ein starkes persönliches Interesse an der Kunstform Oper aus.

Aus den Daten entwickelt Lutz nun konkrete Ratschläge für die Opernhäuser: Was können sie tun, um mehr Besucher fester an sich zu binden? Zunächst sollten sie ihr Publikum kennen und in Zielgruppen unterteilen. Dann muss sich jedes Haus überlegen, ob es seine Anstrengungen auf eine bestimmte Gruppe fokussieren möchte. An der ausgewählten Zielgruppe sollte es seine Angebote ausrichten. Will man zum Beispiel die Sozial-Interagierenden vermehrt an sein Haus binden, könnte man über flexible Theaterkarten mit der Möglichkeit, Freunde mitzunehmen, nachdenken.

Informative Studie

Die Studie von Markus Lutz ist wohl die erste ihrer Art und deshalb für die Opernhäuser und auch ihre Besucher äußerst wertvoll. Nach einer langen Phase des Entwickelns von Angeboten werden diese nun (endlich) auf ihre Wirksamkeit hin untersucht – und das nicht nur an einem Haus, sondern deutschlandweit. Außerdem widmet sich Lutz gerade nicht der derzeit mehr im Fokus stehenden Herausforderung für die Häuser, auch neue Besuchergruppen zu gewinnen, sondern hebt die Bedeutung der Besucherbindung hervor. So ist die Studie grundlegend und informationsreich, es gelingt dem Autor, besonders die aus praktischer Sicht wertvollen Informationen zu bündeln und sie damit auch für die Marketingabteilungen schnell nutzbar zu machen. Doch die Lektüre wirft auch Fragen auf. Warum zum Beispiel scheint die Qualität der Inszenierung eine so geringe Rolle für die Wiederbesucher zu spielen? Verstehen unter „künstlerischer Qualität“ – immerhin der zentrale Wiederbesuchsgrund – auch alle Befragten das Gleiche? Und indem nur die von den Experten genannten und damit schon etablierten „Klebstoffe“ untersucht wurden, konnten innovativere Ideen wie die Internetangebote der Opernhäuser nicht auf ihre Wirkung hin überprüft werden. Dies wäre sicherlich interessant gewesen, da hier noch keine Erfahrungswerte bestehen.
Als Dissertation von Markus Lutz ist die Publikation entsprechend akademisch gehalten. Die Zielgruppe ist deshalb zu Recht auf Wissenschaftler im Bereich Kulturmanagement und Kulturwissenschaften eingeschränkt, der interessierte Laie wird sich schwerlich durch die zahlreichen Tabellen und Datenanalysen arbeiten. Gerade aber für Intendanten und Marketingleiter der Häuser ist die Studie äußerst interessant und sollte unbedingt gelesen werden

Markus Lutz, Besucherbindung im Opernbetrieb. Theoretische Grundlagen, empirische Untersuchungen und praktische Implikationen, Springer Fachmedien, Wiesbaden 2013

Oper & Tanz: Warum wird die Besucherbindung heute immer wichtiger für die Opernbetriebe?
Markus Lutz: Das hat eine Vielzahl von Gründen. Zum Einen ist das Opernhaus nicht mehr das einzige Kulturangebot in der Stadt. Es hat in den letzten 20 bis 30 Jahren einen riesigen Zuwachs an Angeboten gegeben, sowohl von öffentlich finanzierter Seite als auch im privaten Sektor. Die Menschen sind zudem viel mobiler geworden. Die Konkurrenz wird dadurch stärker. Und die Mittel der Öffentlichen Hand knapper oder sie verharren auf dem Status quo. Die Häuser können sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie, einfach weil sie Kunst machen, auch künftig ausreichend Geld bekommen. Es wird verstärkt danach gefragt, ob sie die Menschen mit ihren Angeboten auch wirklich noch erreichen. Und das klassische Bildungsbürgertum, das über viele Jahre die Theater gestützt hat, nimmt immer weiter ab. Neben diesen Aspekten lässt sich auch eine Veränderung in der Struktur und im Verhalten des Publikums beobachten. In engem Zusammenhang damit stehen eine abnehmende Bereitschaft zur Bindung in vielen Bereichen des Lebens und ein ausgeprägtes Unabhängigkeitsstreben. Diese Tendenzen spiegeln sich auch in der abnehmenden Wirksamkeit der klassischen Bindungskonzepte wie den Abonnements oder Besucherorganisationen. Opernbesucher benötigen demnach mehr Aufmerksamkeit und eine aktivere Ansprache als bisher, um sie aufs Neue zu gewinnen und langfristig zu binden.

Markus Lutz. Foto: Martin Hufner

Markus Lutz. Foto: Martin Hufner

O&T: Die großen Opernhäuser unterhalten auch eigene Marketingabteilungen. Gab es dort schon Vorstudien zu den Wiederbesuchsgründen?
Lutz: Es gab einige Vorstudien, aber nicht explizit zu diesem Thema. Wenn die Opernhäuser Besucherbefragungen durchführen, befragen sie meistens ihr ganzes Publikum, es wird also selten zwischen Einzelbesuchern, Mehrfach- oder Stammbesuchern differenziert. Darüber hinaus haben die Häuser Erhebungen durchgeführt, in denen speziell Abonnenten befragt wurden. Noch hat sich meines Wissens keine Arbeit damit auseinandergesetzt, warum jemand regelmäßig ein bestimmtes Opernhaus besucht. Außerdem wurden bisher nur Studien an einzelnen Häusern durchgeführt.
Interessant ist, dass einige Häuser bislang allein ihre Abonnenten als Stammbesucher im Blick hatten. Die Arbeit zeigt, dass dieser Fokus zu eng gefasst ist. Ein wichtiges Ergebnis war, dass die Abonnenten nur ungefähr 30 Prozent der Besucher ausmachen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Besuchergruppen, die als Einzelkäufer regelmäßig kommen und für die ganz andere Bindungsgründe wichtig sind.

O&T: Lag der Fokus der Häuser bisher auf den Abonnenten?
Lutz: Ja, viele Jahre war es so, dass die Abonnenten im Vordergrund standen. Durch die Abos haben die Häuser zum Beispiel die Möglichkeit, Stücke, die eventuell nicht so gut im Verkauf laufen, ins Abo mit reinzunehmen und damit bei den Vorstellungen die Grundauslastung zu sichern. Die Häuser haben sich zu selten gefragt, was eigentlich der Besucher will und warum er sich bindet.

O&T: Wie ist der Anteil der Jüngeren bei den Abonnenten? Sie hatten ja auch Studentenabonnements untersucht, wie werden die angenommen?
Lutz: Relativ schlecht...

O&T: Heißt das, wenn man Jüngere ansprechen möchte, wäre es falsch, auf Abos zu setzen?
Lutz: Nein, nicht unbedingt falsch. Es gibt auch eine bestimmte Gruppe an jungen Besuchern, die ein Abo haben möchte, aber es sind eben nicht viele. Das Besucherverhalten hat sich stark verändert. Die Menschen gehen jetzt nicht nur in die Oper oder nur ins Theater, sondern sie wollen heute in die Oper, morgen ins Kino und übermorgen vielleicht ins Popkonzert. Durch die zunehmende Spontaneität und Mobilität ist die langfristige Planung schwieriger geworden.

O&T: Das Abonnement ist also nicht vom Aussterben bedroht, muss aber anders als bisher gestaltet werden.
Lutz: Ja. Man muss wissen, dass die Abonnenten nur eine bestimmte Besuchergruppe am Opernhaus ausmachen, die man vor allem im Segment der Traditionalisten findet. Aber auf die alleine sollte sich ein Haus nicht fixieren. Das heißt nicht, dass das Abo vom Aussterben bedroht ist. Aber man kann es nicht mehr so lassen, wie es vor 20 Jahren war. Die Opernhäuser müssen die Bedürfnisse ihrer Besucher kennen. Mein Ratschlag an die Häuser lautet: Gestaltet eure Abos nicht allein so, dass ihr eine gute Aufführungsauslastung habt, sondern schaut erst mal, welches eure Besuchergruppen sind und wie deren Bedürfnisse aussehen, und richtet dementsprechend eure Angebote aus. Da gibt es kein Patentrezept.

O&T: Was ist denn eigentlich schwieriger für ein Opernhaus, neue Besucher zu gewinnen oder die alten zu halten?
Lutz: Wenn jemand erst mal da war, kann ein Opernhaus versuchen, ihn zu regelmäßigen Besuchen zu motivieren. Das ist natürlich viel einfacher, als jemanden anzusprechen, der mit dem Opernhaus noch nie in Berührung gekommen ist. Zirka 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland interessieren sich gar nicht für Oper oder klassische Musik. Sie haben keinen Zugang zu den Häusern, weil sie vielleicht als Kind nicht an die Oper herangeführt wurden. Und deswegen – das zeigt auch meine Arbeit – ist die Grundvoraussetzung für Besucherbindung eine starke Kulturvermittlung. Die Besucher, die heute häufig in die Oper gehen, sind meistens jene, die bereits als Kind mit klassischer Musik in Kontakt gekommen sind. Deswegen sind die Anstrengungen, die die Häuser in den letzten Jahren verstärken, nämlich in die Schulen zu gehen und theaterpädagogische Angebote zu machen, sehr wichtig, um spätere Besucher zu gewinnen und zu binden.

O&T: Im Zentrum Ihrer Arbeit standen die unterschiedlichen Gründe, die Besucher zum Wiederkommen an ein Opernhaus bewegen. Welcher dieser sogenannten „Klebstoffe“ wirkt denn am besten?
Lutz: Generell gesehen sind die musikalischen Aspekte die Wichtigsten. Dass die Kunst stimmt, ist Voraussetzung dafür, dass jemand in die Oper geht – und es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre. Aber die Befragungen zeigen auch, dass das nicht die einzige Voraussetzung ist. Meist ist es ein Bündel unterschiedlicher Gründe, die jemanden dazu bewegen, ein bestimmtes Opernhaus wieder zu besuchen. Das ist unter anderem von den einzelnen Kundengruppen abhängig. Es gibt demnach unterschiedliche Bindungsstrategien.

O&T: Konnten Sie die gewonnenen Erkenntnisse in Ihrem derzeitigen Arbeitsfeld nutzen?
Lutz: Ja, wir bauen zum Beispiel den Vertrieb gerade stark aus und haben in der vergangenen Saison nochmals eine Besucherbefragung bei den Musikfestspielen durchgeführt. Außerdem legen wir gerade ein neues Besucherbindungsprogramm auf, in das wir die einzelnen Bedürfnisse unserer Besucher einfließen lassen. Aber man lernt auch hier nicht aus.

Jelena Rothermel

 

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