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Berichte

Machthunger und Militarismus

»Masepa« am Theater Altenburg-Gera

In schwierigen Rezensions-Fällen empfiehlt es sich, jene Momente des Gebotenen nicht aus den Augen zu verlieren, die uneingeschränkt zu loben sind. Was das Unterfangen des Theaters Altenburg–Gera angeht, sich Peter Tschaikowskis selten aufgeführter Oper „Masepa“ anzunehmen, wäre da zu sagen: Die Ausführenden haben keine Mühen gescheut, das schwierige Vorhaben zu einem Erfolg werden zu lassen. Regie, Ausstattung, Orchester, Solisten und Chor bieten zu dem Zweck ihre ganze Kraft und Kunst auf.

Das Stück selbst ist ein harter Brocken. Das sich auf reale Ereignisse im Russland des 17. Jahrhunderts berufende Libretto barg schon für das Publikum des Uraufführungsjahrs 1884 einige Tücken. Heute gleicht die Handlung über weite Strecken einem Buch mit sieben Siegeln. Auslöser für die mit Gewalt und Verzweiflung befrachteten Szenen ist die Liebe zwischen der 16-jährigen Richterstochter Maria und ihrem fast 50 Jahre älteren Taufpaten, dem Kosakenführer Iwan Masepa. Marias Vater Wassilij Kotschubej fehlt der Sinn für die aus dem Rahmen fallende Verbindung, er kocht vor Wut und verrät dem Zaren Masepas geheime Aufstandspläne. Seine Hoffnung, der einstige Freund werde grausam bestraft, erfüllt sich nicht. Der Zar vertraut Masepa und gibt Kotschubej in dessen Gewalt, der den Spieß umdreht und nun die ihm zugedachte Strafe dem Landsmann zufügt. Die inzwischen an der Seite Masepas lebende Maria bekommt davon erst etwas mit, als es zu spät ist und man den zuvor grausam gefolterten Vater gerade zum Richtplatz führt. Der Kosakenführer selbst wird allerdings auch nicht recht glücklich. Seine Träume von einer freien Ukraine scheitern an der russischen Übermacht. Er muss ins Ausland fliehen, nachdem er zuvor noch Andrej, einen Jugendfreund Marias, im Zweikampf besiegt hat. Jene, inzwischen wahnsinnig geworden, singt den Verwundeten, der einst vergeblich um sie warb, in den Tod.

Johannes Beck als Masepa, Anne Preuß als Maria. Foto: Sabina Sabovic

Johannes Beck als Masepa, Anne Preuß als Maria. Foto: Sabina Sabovic

Die an Brüchen und Widersprüchen reiche Vorlage nutzen Kay Kuntze (Regie), Generalintendant des Hauses Altenburg-Gera, und Martin Fischer (Bühne/Kostüme), um Machthunger und Militarismus zu thematisieren, wobei in freiem Umgang mit Zeit und Zusammenhang die jüngere russische Geschichte zum bevorzugten Zielobjekt wird. Das wirkungsvoll und in sich schlüssig in Szene gesetzte Geschehen spielt vor großflächigen, den Geist stalinistischer Prunkbauten atmenden Kulissen. Die schlimmsten Drahtzieher von Willkür und Mord tragen Uniformen, die der Roten Armee abgeschaut sind; das die Hinrichtung Kotschubejs feiernde, Transparente und Masepa-Bilder schwenkende Volk erinnert an befehlsmäßig jubelnde Parteitagsdelegierte. Der berühmt-berüchtigte, einst von Puschkin und Byron besungene Titelheld hat – was nicht frei von Komik ist – mit seiner steif herausgestreckten ordensgeschmückten Brust etwas von einem farblosen KPdSU-Granden. Für jemanden, der die jüngere russische Geschichte als eine nahtlose Folge ärgster Verfehlungen versteht, mag das alles nachvollziehbar sein. Im gegenteiligen Fall, wo auch die eine oder andere gute Tat Berücksichtigung findet, dürfte die ganz große Begeisterung ausbleiben.

Ulrich Burdack als Kotschubej, Hans-Georg Priese als Andrej, Anne Schuldt als Ljubow und Herren des Opernchors. Foto: Sabina Sabovic

Ulrich Burdack als Kotschubej, Hans-Georg Priese als Andrej, Anne Schuldt als Ljubow und Herren des Opernchors. Foto: Sabina Sabovic

Unstrittig ist, dass die von GMD Laurent Wagner sicher und mit Verve geführten Sänger und Musiker nicht zu beneiden sind. Ihnen ist eine Musik auferlegt, die einerseits bester Tschaikowski, andererseits aber auch äußerst kraftraubend und nicht frei von Einförmigkeit ist. Da auf der Bühne vorwiegend Bitteres und Grausames passiert, kommt selbst der große russische Melodiker und Meister der Instrumentation an seine Grenzen, kann nicht mehr das gesamte Spektrum der Töne bedenken, muss immer wieder auf‘s Pompöse und Laute zurückgreifen. Vor diesem Hintergrund ist das Geleistete gar nicht hoch genug zu würdigen. Die mit imponierender Stimmkraft aufwartende Sopranistin Anne Preuß (Maria), der anfangs ein wenig eng klingende, zunehmend an Statur gewinnende Bass Ulrich Burdack (Kotschubej) und der weich timbrierte Bariton Johannes Beck (Masepa) – um nur einige der Solisten zu nennen – finden anrührende Töne, strahlen Dramatik pur aus. Ähnliches ist vom Chor (Einstudierung: Holger Krause) zu sagen, wobei hier noch ins Gewicht fällt, dass man meist gegen ein gemäß Partitur voll aufdrehendes Orchester anzusingen hat. Um durchweg Transparenz und Brillanz zu erzielen, wäre wohl wenigstens ein 60 Sängerinnen und Sänger starkes Ensemble vonnöten. In Gera kommt man allenfalls auf die Hälfte. So ragen die wenigen zarten Chorpartien heraus – etwa der innige, Marias künftiges Unglück ankündigende Gesang der Frauenstimmen zum Ende des ersten Akts. Die im Ganzen respektable Schulterung der „Masepa“-Aufgabe dürfte dem Chor wertvolle Erfahrungen und weiteres Selbstvertrauen gebracht haben.

Die Ostthüringer Philharmoniker wissen ihre tragende Rolle in dem Stück weidlich zu nutzen. Man vergisst über aller Dynamik und Expressivität nicht das Präzise, glänzt unter anderem mit einem exzellent agierenden Hornsatz und Soloklarinettisten, die das „Masepa-Konzert“ – der Komponist scheint zeitweise kein anderes In-strument mehr zu kennen – mit Bravour bewältigen.

Volker Müller

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