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Editorial

Von der freiwilligen zur Pflichtaufgabe

In der Spielzeit 2014/15 gab es an 142 öffentlich getragenen Stadttheatern, Landesbühnen und Opernhäusern 5381 Inszenierungen und damit 50 % mehr Inszenierungen als in der Spielzeit 1991/92. Mit insgesamt 67.437 Vorstellungen erreichten sie rund 21 Mio. Besucher – unabhängig von den in privater Trägerschaft organisierten Bühnen, die noch einmal rund elf Millionen Zuschauer erreichten.

 Gerrit Wedel. Foto: Charlotte Oswald

Gerrit Wedel. Foto: Charlotte Oswald

Der Zuspruch ist beachtlich – trotz aller Schwierigkeiten angesichts der Entwicklung der Medienlandschaft und eines zunehmenden digitalen Angebots, die Menschen ins Theater zu locken. Die Zuschauerzahlen bleiben konstant. Die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft ist weltweit einmalig, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sie gerade bei der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe nominiert.
Damit sollte eigentlich die grundsätzliche Existenzberechtigung und damit natürlich auch die Frage der auskömmlichen Finanzierung der kulturellen Institutionen nicht in Frage zu stellen sein.

Wenn man sich dann die jüngsten Presseverlautbarungen des deutschen Bühnenvereins anschaut, weiß man fast nicht mehr, auf wessen Seite man eigentlich steht, so sehr decken sich die arbeitgeberseitigen und arbeitnehmerseitigen Forderungen an die Politik.

Der neue Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Marc Grandmontagne, hat sich zu seinem Amtsantritt Anfang des Jahres schon einmal sehr deutlich positioniert und für eine Stärkung des politischen Diskurses auf allen Ebenen eingesetzt: „In Zeiten, in denen Theater und Orchester finanziell in Frage gestellt werden, müssen sie den kulturpolitischen Gestaltungsspielraum wieder zurückerobern und mit stimmigen Konzepten füllen. ... Wir leben in einer Zeit starker gesellschaftlicher Veränderungen und Spannungen. Theater erfüllt eine essenzielle Funktion in der Demokratie, indem es mit den Mitteln der Kunst die Widersprüche und Probleme der Gesellschaft reflektiert und zum gegenseitigen Verständnis beiträgt. Theater und Orchester brauchen daher ein klares Bekenntnis der Kultur- und der Finanzpolitik für ihre Arbeit.“

In einer weiteren Pressemitteilung heißt es: „Ob es Flüchtlinge in unseren Städten sind, ob es um kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen oder Projekte in sozial schwierigen Stadtteilen geht – die Theater engagieren sich landesweit in allen Bereichen.

Trotzdem korrespondiert eine solche Rollenveränderung nicht mit entsprechender kulturpolitischer Aufwertung. So manches Theater kämpft damit, Tarifsteigerungen an sein künstlerisches Personal  weitergeben zu können. Angesichts von zu erwartenden 54 Milliarden Steuermehreinnahmen in den nächsten Jahren fordern wir hier entschiedenes Gegensteuern.“

Trotz all dieser Erkenntnisse stehen die im Kulturbereich arbeitenden Menschen unter einem immer währenden Rechtfertigungszwang, sei es hinsichtlich der grundsätzlichen Existenzberechtigung ihrer Arbeitgeber und deren finanzieller Ausstattung, sei es hinsichtlich der Frage tarifgerechter Bezahlung.

Im Einigungsvertrag wurde noch das hehre Ziel ausdrücklich festgeschrieben, dass die kulturelle Substanz im „Beitrittsgebiet“ keinen Schaden nehmen darf. Was daraus geworden ist und wie das interpretiert werden kann, sieht man anschaulich an der Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern, wo auf Teufel komm raus zusammengespart wird und eine Qualitätsminderung auf ein C-Niveau ausdrücklich billigend in Kauf genommen wird.

Aber den veranwortlichen Rechtsträgern – gerade im kommunalen Bereich – kann angesichts der Ihnen aufgebürdeten Aufgaben und damit einhergehenden finanziellen Belastungen nur bedingt ein Vorwurf gemacht werden.

Gerade vor dem Hintergrund des gesamtgesellschaftlichen Anspruchs an die Kulturinstitutionen ist ein grundsätzliches Umdenken bezüglich der Finanzierung zu erwägen. Es darf für keine Kommune mehr die Ausrede der sogenannten „freiwilligen Aufgaben“ geben, die eigentlich „nur“ Pflichtaufgaben in kommunaler Selbstverantwortung sind. Die Kommunen müssen dementsprechend auch in die Lage versetzt werden, neben allen anderen ihnen zugewiesenen Pflichtaufgaben auch diesen ihren höchsteigenen Aufgaben nachkommen zu können. Es bedarf eines übergeordneten Instruments zur Finanzierung, ohne dass dabei die kommunalen Aufgaben gegeneinander ausgespielt werden dürfen; wir müssen weg von der Argumentation, dass wegen eines Theaterhaushalts keine Kitas und keine Schwimmbäder finanziert werden können.

Bei allen verfassungsrechtlichen Bedenken, es ist an der Zeit über neue Formen der Kulturfinanzierung nachzudenken, um dieses immaterielle Weltkulturerbe auch weiterhin mit Leben zu erfüllen. Diesbezüglich muss man sich auf eine übergeordnete Bedeutung verständigen, und die althergebrachten Pfade verlassen, das föderale System muss ein wenig aufgebrochen werden, ohne dabei Grenzziehungen völlig aufzugeben. Das war schon im Einigungsvertrag angelegt und es gibt keinen sachlichen Grund dafür, die Kulturfinanzierung auf bundesweiter Ebene nicht vollkommen neu zu überdenken, es geht immerhin um ein Weltkulturerbe...

Gerrit Wedel

 

 

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