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Hintergrund

Schritt für Schritt

Theatersanierung in Bauabschnitten

An vielen Theatern in Deutschland hat sich über Jahre und Jahrzehnte ein gewisser Sanierungsstau gebildet. Wenn irgendwann, in vielen Fällen sehr spät, die Entscheidung gefällt wird, dass etwas getan werden muss, stellt sich den Verantwortlichen die Frage, wie man die Besserung herstellt: das Theater für die Zeit einer Sanierung schließen und den Spielbetrieb in ein Interimsquartier auslagern? Dafür braucht man eine geeignete Spielstätte für die Übergangszeit, die sowohl für die Besucher attraktiv ist als auch dem Theaterbetrieb hinreichende Möglichkeiten der Entfaltung und Gestaltung bietet.

Ein neues Theater bauen und die alte Spielstätte nach dem Umzug schließen? Das ist in vielen Fällen angesichts historisch und architektonisch wertvoller Bestandsgebäude kein gangbarer Weg, sei es aus Gründen des Denkmalschutzes oder aufgrund der Bedeutung des Theaters und der Spielstätte in der öffentlichen Wahrnehmung.

Die üblichen spielfreien Zeiten der Theater nutzen und das Gebäude in den langen Sommerpausen phasenweise sanieren? Dann kann das Theater weiter in gewohnter Umgebung wirken, aber für das eigentliche Ziel der Maßnahme, die Verbesserung der Situation im Haus, sei es aus sicherheitstechnischer, betrieblicher oder theatertechnischer Sicht, ist es die Lösung mit der größten Herausforderung. Sehen wir uns diese letzte Variante näher an.

Geringerer Widerstand

Von 2008 bis 2015 wurde das Theater Ulm in acht Bauabschnitten saniert. Betreut wurde das Projekt unter anderem vom Autor dieses Artikels und der Firma theaterprojekte daberto+kollegen planungsgesellschaft mbH. Foto: Dan Glazer

Von 2008 bis 2015 wurde das Theater Ulm in acht Bauabschnitten saniert. Betreut wurde das Projekt unter anderem vom Autor dieses Artikels und der Firma theaterprojekte daberto+kollegen planungsgesellschaft mbH. Foto: Dan Glazer

Die Sanierung in mehreren Bauabschnitten unter Nutzung der jährlichen spielfreien Zeit in den Sommermonaten verspricht auf den ersten Blick einige Vorteile. Zunächst entfällt der aufwändige Umzug des kompletten Theaters. Bei einem größeren Haus mit eigenen Werkstätten, einer Hauptbühne mit Seiten- und Hinterbühne, eventuell noch einer Nebenspielstätte, dem Bereich hinter der Bühne wie Garderoben, Umkleiden, Probenräume und dem gesamten Verwaltungsapparat, der dahintersteht und das Ganze idealerweise am Laufen hält, kommen schnell ein paar Hundert Angestellte und Mitarbeiter zusammen. Der logistische Aufwand des eigentlichen Umzugs ist hier schon immens, bei der Suche nach einer Interimsspielstätte führt dies oft dazu, dass dem Theater eine hohe Kompromissbereitschaft abverlangt wird. Die Sanierung im laufenden Betrieb beziehungsweise in den Spielzeitpausen verspricht hier eine vergleichsweise geringe Unbill, sowohl zeitlich als auch auf der Kostenseite. Dem Zuschauer wird bei dieser Variante nicht zugemutet, sich übergangsweise auf eine Interimsspielstätte in ungewohnter Umgebung einzulassen. Sowohl Abonnenten als auch gelegentliche Besucher können sich auf den gewohnten Ort und gegebenenfalls ihre gewohnten Plätze verlassen.

Ferner teilt sich natürlich auch der Gesamtinvestitionsbedarf für die Sanierung auf einen größeren Zeitraum auf, so dass nicht ein einzelner Haushalt mit einer vergleichsweise hohen Ausgabe belastet wird. So können oft auch andere als ebenso dringend wahrgenommene Infrastrukturprojekte der Stadt weiter bedient werden und müssen nicht zugunsten eines einzelnen Kulturprojekts geopfert werden. Dies erleichtert die Akzeptanz bei den Wählern.

Genaue Abstimmung

Theoretisch lässt sich alles abschnittsweise sanieren, es stellt sich nur schnell die Frage, ob Vor- oder Nachteile dieser Sanierungsvariante überwiegen. Der Sanierungsumfang zeigt gegebenenfalls auch natürliche Grenzen auf: Ein Haus, das komplett marode ist oder dem wegen Brandschutzmängeln die unmittelbare Schließung bevorsteht, ist für eine abschnittsweise Sanierung aufgrund der Zeitschiene meist nicht geeignet.

Grundsätzlich ist der intuitiv logische Ansatz richtig, einzelne Sanierungspakete zu entwickeln, damit in jedem Abschnitt ein in sich geschlossener Bereich – sei es thematisch oder räumlich oder eine Mischung von beidem – fertiggestellt werden kann. Die Alternative wäre sonst, dass angefangene Bereiche für die Dauer einer Spielzeit brach liegen. Der kritische Punkt liegt darin, die Dauer der spielfreien Zeit und die Größe der Pakete genau aufeinander abzustimmen. In den meisten Fällen, insbesondere wenn nicht sichtbare Gewerke betroffen sind, lässt sich dies recht gut managen.

Neu im theater ulm: Drehbühnenwagen mit Seilwinden der Obermaschinerie. Foto: Stadt Ulm

Neu im theater ulm: Drehbühnenwagen mit Seilwinden der Obermaschinerie. Foto: Stadt Ulm

In Kernbereichen, beispielsweise der Theatertechnik, deren Funktion oder eben das Fehlen derselben direkt vom Zuschauer wahrgenommen werden und die den Spielbetrieb spürbar einschränken, entsteht hier oft ein Risiko. Der Austausch einer kompletten Obermaschinerie mit zirka 50 Zügen oder auch deren Umrüstung von Handkonterzügen auf zeitgemäße und mitarbeiterschonende Maschinenzüge lässt sich nur sehr schwer in einem Zeitraum von sechs bis sieben Wochen realisieren. Selbst zwölf Wochen sind hier eine logistische Herausforderung.

Eine Aufteilung dieses einen Komplexes auf zwei Bauabschnitte wiederum wäre unwirtschaftlich, weil zum Beispiel die Koppelung von halber Bestandsanlage und halber Neuanlage unter Aspekten wie Sicherheit und Personenschutz extrem aufwändig wird. Ähnliches gilt für den Austausch kompletter Beleuchtungszentralen und -netzwerke und analog auch für die Ton- oder Medientechnik. Wegen solcher Sonderfälle kommt man auch bei der phasenweisen Sanierung um eine genaue Berücksichtigung der Dauer der spielfreien Zeiten nicht herum. Dies ist natürlich stark abhängig vom Haus und dem Umfang der beabsichtigten Sanierung, aber allein der unbedingte Wille, keine Abweichung vom Spielplan zuzulassen, überwindet noch nicht die physikalischen Notwendigkeiten der technischen Umsetzung einer Sanierung. Auch hier ist also eine gewisse Flexibilität und Kompromissbereitschaft seitens Bauherr und Nutzer erforderlich.

Bei der abschnittsweisen Sanierung sollte nur die Umsetzung auf mehrere Jahre gestreckt werden, nicht die Definition des Gewollten.

Die Verteilung der Ausführungszeiten hat weiterhin Auswirkungen auf die Vergabe der Leistungen. Wo üblicherweise Werkverträge mit den Montagefirmen geschlossen werden, die dazu führen sollen, dass die Firma in einer gegebenen Zeit die Leistung abschließt, die Schnittstellen bedient und die Anlage dann mit Übergang der Gefahr an den Nutzer übergibt, lässt sich dies im abschnittsweisen Vorgehen stellenweise nicht ohne Weiteres umsetzen. Sei es, weil verschiedene Anlagen aus verschiedenen Bauabschnitten in einem weiteren Bauabschnitt über eine dritte Anlage miteinander verknüpft werden müssen (Beispiel Obermaschinerie, Untermaschinerie und Bühnentechniksteuerung). Oder eine Gesamtanlage wurde nach räumlichen Gesichtspunkten auf Abschnitte aufgeteilt, soll aber am Ende eine Einheit bilden. Bei abschnittsweisen Vergaben und Beauftragungen lässt sich nur schwer sicherstellen, dass die gleiche Firma immer wieder das wirtschaftlichste Angebot abgibt. Gleichzeitig ist eine Vergabe über mehrere Bauabschnitte hinweg sowohl haushaltstechnisch als auch vergaberechtlich schwierig.

Als weitere Komplikation bei der Bildung von Sanierungspaketen beziehungsweise bei der Aufteilung von Gesamtanlagen auf einzelne Abschnitte kommt hinzu, dass die Firmen kaum davor gefeit sind, dass ein Zulieferer zwischen zwei eventuell weiter auseinanderliegenden Bauabschnitten den Betrieb einstellt, aus welchen Gründen auch immer. So kann es passieren, dass man beispielsweise trotz bester Vorsätze und gründlicher Planung in der Nebenspielstätte nicht mehr die gleichen Dimmer verbauen kann wie im großen Haus, weil die Herstellerfirma dieser Dimmer den Vertrieb in Deutschland kurzfristig und unerwartet eingestellt hat.

Die zeitliche Komponente

Die Verteilung einer Maßnahme auf mehrere Jahre birgt neben den eingangs erwähnten haushaltspolitischen und betrieblichen Vorteilen auf Seiten des Bauherrn auch Gefahren. Idealerweise läuft der Planungsprozess einer abschnittsweisen Sanierung zunächst wie jede andere Planung auch: Man ermittelt den Bedarf, dann werden verschiedene Lösungsansätze zur Sättigung dieses Bedarfs erarbeitet – natürlich immer unter Berücksichtigung der Kostengrenzen –, und dann entscheiden sich Nutzer und Bauherr gemeinsam für den geeigneten Lösungsweg. Dieser wird anschließend detailliert ausgearbeitet, um die Gesamtmaßnahme komplett abzubilden. Auf dieser Basis werden dann die Planungen und Ausschreibungen erstellt, die die bauenden und ausführenden Firmen in die Lage versetzen sollen, aus dem Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Bei der abschnittsweisen Sanierung sollte nur die Umsetzung auf mehrere Jahre gestreckt werden, nicht die Definition des Gewollten.

Nun liegt es wohl in der Natur des Menschen, dass sich seine Wünsche und Bedürfnisse im Laufe der Zeit ändern. Manchmal ändert sich auch die personelle Besetzung, beispielsweise wenn ein Entscheidungsträger im Lauf einer Sanierung in Rente geht und jemand anderes seine Position im Projekt einnimmt.

Da bei der abschnittsweisen Sanierung der Zeitpunkt der Festlegung auf eine bestimmte technische Lösung und der Zeitpunkt, ab dem diese Lösung dann zur Verfügung steht, oft weiter auseinanderliegen, ist das Risiko nachträglicher Konzeptänderungen oder Anpassungen ungleich höher. Gleichzeitig sind auch die Auswirkungen auf den Baufortschritt oft ungleich höher als bei anderen Varianten.

Spätestens wenn verschiedene Gewerke die Reihenfolge ihrer Vorleistungen für eine technische Anlage unterschiedlich in Bauabschnitten ansiedeln, führt eine nachträgliche Änderung zu einem deutlichen Mehraufwand. Nehmen wir beispielsweise an, der Elektroplaner lässt alle Zentralen und Zuleitungen für die elektrischen Anlagen in einem Theater bereits im ersten Jahr einer abschnittsweisen Sanierung installieren, weil es räumlich und funktional für seine Maßnahme wirtschaftlich und sinnvoll ist und ja aus der vorangegangenen Planung alle dafür notwendigen Daten vorliegen. Manche der zu versorgenden Anlagen, beispielsweise die Bühnenpodien, werden aber erst im vierten Jahr saniert. Sollte sich der Auftraggeber nun im zweiten Jahr der Ausführung entscheiden, dass er nun doch nicht hydraulische Bühnenpodien, sondern rein elektrische Antriebe haben will, dann sind die Chancen groß, dass die hierfür umgesetzte Vorleistung der Elektroplanung nicht passt, da die zur Verfügung stehende Leistung dann nicht mehr ausreicht.

Um es zusammenzufassen: Die Verlockung, vermeintlich mehr Zeit für Änderungen bei der abschnittsweisen Sanierung zu haben, trügt und führt bei Missachtung zu schmerzhaften Entgleisungen aus dem Kostenrahmen.

Was liegt, das liegt

Neben der schon erwähnten Gefahr, dass sich Zulieferer zwischen den Abschnitten zur Einstellung der Geschäftstätigkeit entschließen, kann es natürlich noch vorkommen, dass eine ausführende Firma selbst an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gelangt. Es genügt meist eine Lieferverzögerung bei einem Komponentenhersteller, und der für die spielfreie Zeit sorgsam gestrickte Terminplan, bei dem es auf Tage und nicht auf Wochen ankam, ist nicht mehr einzuhalten.

Auch wenn dann alle versuchen zu retten, was zu retten ist, läuft es unweigerlich auf eine suboptimale Situation hinaus: Das Theater kann seine Anlagen nur eingeschränkt nutzen, und die ausführende Firma muss Teile der Leistung in den Nächten oder an einzelnen spielfreien Tagen erbringen, um die Einschränkung möglichst schnell zu beseitigen. Wenn man sich die Nutzungsdichte von Anlagen und Bühnenflächen in den ersten Wochen einer Spielzeit ansieht, braucht man nicht viel Phantasie, um zu erkennen, dass solch bruchstückhafte Ausführungszeiträume für die meisten Firmen eine koordinatorische Herausforderung bedeuten. Umso mehr, je weiter der Sitz der Firma von der Baustelle beziehungsweise dem Theater entfernt ist.

Es genügt meist eine Lieferverzögerung bei einem Komponentenhersteller, und der für die spielfreie Zeit sorgsam gestrickte Terminplan, bei dem es auf Tage und nicht auf Wochen ankam, ist nicht mehr einzuhalten.

Pikanterweise ist man als Auftraggeber dann meist in einer Situation, wo man einer schon unwilligen Firma nur wenig bieten kann, weder Anreize noch Drohungen. Anreize sind insofern unwirksam, als es oft schlicht und ergreifend an Kapazitäten mangelt, die sich auch mit viel Geld meist nicht kurzfristig aufstocken lassen. Drohungen wiederum können eine Einstellung des Betriebs, eine temporäre Schließung des Theaters, Ersatzvornahmen und meistens langwierige Rechtsstreitigkeiten mit sich bringen.

Das Résumé: Abschnittsweises Sanieren im Theater ist möglich, wenn man vor allem eine gesunde und mit Puffern versehene Zeitplanung erstellt, die es erlaubt, in einem Bauabschnitt noch steuernd einzugreifen, wenn es an irgendeiner Stelle hakt. Um sich das Leben trotz der Herausforderungen bei der abschnittsweisen Sanierung nicht noch selber durch eigene nachträgliche Änderungen schwer zu machen, muss zu guter Letzt für Auftraggeber und Nutzer grundsätzlich das Gleiche gelten wie beim Skat: Was liegt, liegt.

Benjamin Wedel – LWPI -  zur Lage Wedel Partnerschaft mbB Beratende Ingenieure

Berichtigung

Irrtümlich wurde die Firma LWPI zur Lage Wedel Partnerschaft mbB Beratende Ingenieure als das Projekt betreuende Firma in der Bildunterschrift unter Bild 1 angegeben. Korrekterweise wurde dies in theaterprojekte daberto+kollegen planungsgesellschaft mbH geändert, bei der der Autor zur Zeit der Projektbetreuung noch angestellt war. 

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