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Kulturpolitik

Ein Kapitel der Geschichte

Vergangenheitsbewältigung an der Bayerischen Staatsoper

„Wie man wird, was man ist – Geschichte der Bayerischen Staatsoper 1933-1963“ lautet der etwas sperrige Titel des Forschungsprojekts, an dem vier Wissenschaftler der Ludwig-Maximlians-Universität München (LMU) seit 2013 arbeiten. Dass mit diesem Projekt ein Mosaikstein der nationalsozialistischen Vergangenheit aufgearbeitet werden soll, macht die Marke 1933 als das Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten deutlich. Zwar hat die NS-Forschung den Kulturbetrieb keineswegs ausgespart, doch die konkrete Situation in den verschiedenen Städten und an den einzelnen Thea-terhäusern gestaltete sich unterschiedlich und muss jeweils im Einzelfall untersucht werden. Wie wirkte sich der totalitäre NS-Staatsapparat auf den Theaterbetrieb an der Bayerischen Staatsoper aus, wie verhielten sich Künstler und Mitarbeiter unter dem aufgebauten ideologischen Druck? So lauten Kernfragen dieses Forschungsprojekts, und gleichzeitig will es eine größere Perspektive öffnen. Denn nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft ging das Leben und Schaffen an den Theatern weiter – doch in welcher Form? Gab es an der Bayerischen Staatsoper 1945 hinsichtlich Personal und Ästhetik einen drastischen Einschnitt, oder lief der Opernbetrieb weiter wie bisher? Das Münchner Nationaltheater, prächtige neoklassizistische Spielstätte der Bayerischen Staatsoper, war durch einen Bombenangriff im Krieg fast völlig zerstört worden. In den Nachkriegsjahren wich die Staatsoper mit ihrem Spielbetrieb auf das Prinzregententheater aus. Anfang der 1950er-Jahre forderte die Öffentlichkeit den Wiederaufbau des Nationaltheaters, im Zuge eines Architekturwettbewerbs kochte die Debatte um eine teilweise Neugestaltung oder originalgetreue Rekonstruktion hoch. Unter erheblichem Engagement auch der Bürgerschaft führte der Freistaat den Wiederaufbau schließlich durch. 1963 konnte die Staatsoper wieder an den Max-Joseph-Platz ziehen und unter feierlichen Zeremonien das neue Nationaltheater eröffnen, das dem alten Haus beinahe aufs Haar glich.

Fotografie von Intendant und GMD Clemens Krauss, undatiert. Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der Bayer. Staatstheater 1805, Foto Kubey-Rembrandt, Philadelphia

Fotografie von Intendant und GMD Clemens Krauss, undatiert. Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der Bayer. Staatstheater 1805, Foto Kubey-Rembrandt, Philadelphia

2013 jährte sich dieses Ereignis, und die Bayerische Staatsoper nahm das Jubiläum der Wiedereröffnung zum Anlass, den Blick zurückzulenken. Intendant Nikolaus Bachler und die Dramaturgen am Haus wollten ein solches Jubiläum nicht nur feiern, sondern wollten Fragen aufwerfen: was dieser „Wiedergeburt“ des Nationaltheaters vorausgegangen war, in welchem Kontext Zerstörung und Wiederaufbau des Hauses stehen und was sie damals für die Staatsoper bedeuteten, und nicht zuletzt auch, wie eine solche Historie bis ins Heute wirkt. So beauftragte die Bayerische Staatsoper ein Forscherteam des Instituts für Theaterwissenschaft an der LMU damit, diesen Fragen für den Zeitraum von Hitlers sogenannter „Machtergreifung“ 1933 bis zur Wiedereröffnung des Hauses 1963 nachzugehen. Das Nietzsche-Zitat „Wie man wird, was man ist“ wählte die Staatsoper als Motto dieser Untersuchung. Um zu verstehen, was die Kunstinstitution Bayerische Staatsoper 1963 war und was sie heute ist, soll Licht auf ihre Geschichte geworfen werden: auf die Personen, die an diesem Haus künstlerisch oder institutionell wirkten, auf Menschen, die entschieden, ebenso wie auf Menschen, über die entschieden wurde. Doch auch die Kunst selbst ist Gegenstand des Forschungsprojekts: Wie in den 30 Jahren des Untersuchungszeitraums Oper gemacht wurde, welche Werke auf die Spielpläne kamen, wer besetzt wurde, in welchen Bühnenbildern und Inszenierungsästhetiken gespielt wurde, sind Fragen, die einer spezifisch theaterwissenschaftlichen Analyse bedürfen – und sie führen zuletzt zur Frage, in welchem Zusammenhang diese Entscheidungen mit politischen Umständen und Veränderungen stehen.

Das Forschungsteam besteht aus Projektleiter Jürgen Schläder sowie Rasmus Cromme, Dominik Frank und Katrin Frühinsfeld. Am Beginn ihrer Arbeit sondierten sie zunächst, welche verwertbaren Quellen für die Untersuchung zur Verfügung stehen. Besonders relevant erwiesen sich hier schnell die Aktenbestände in einigen Archiven, wie zum Beispiel im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Korrespondenzen, Künstlerverträge, Protokolle über Entscheidungsprozesse, Pressekonvolute geben reichhaltig Aufschluss über viele Vorgänge. Andere wichtige Archive waren das Clemens-Krauss-Archiv in Wien oder das Bundesarchiv in Berlin. Dass Akten im besonderen Sinn Zeugen ihrer Zeit sind, ist bei einer solchen Dokumentenanalyse im Archivlesesaal nahezu physisch erfahrbar: Die sich wandelnden Schreibschriften auf unterschiedlichen Papierqualitäten, die Schreibmaschinendokumente, in der NS-Zeit Frakturschrift in den Zeitungsartikeln, die bedrückende Präsenz von „Heil“-Floskeln unter den meisten Briefen und Briefpapiere oder Einladungskarten mit eingeprägtem Hakenkreuz, die Sparsamkeit im Papierverbrauch in Kriegszeiten, ab den 1950er-Jahren erste Notizen mit Kugelschreiber – es sind Überreste aus anderen Zeiten, die auch losgelöst von ihren Inhalten dem, der sie in Händen hält, eine Ahnung vom Lebensgefühl dieser Zeiten vermitteln. Für die Untersuchung und historische Einordnung der Bühnenästhetik in den Opernproduktionen zwischen 1933 und 1963 liefern Programmhefte, Kritiken und Theaterfotografien, wie sie vorrangig das Deutsche Theatermuseum in München sammelt, die entscheidenden Indizien; Videomaterial von Aufführungen gibt es für diesen Zeitraum so gut wie nicht.

Szenenbild Aida, 1937. Regie: Rudolf Hartmann, Bühne: Ludwig Sievert, Musikalische Leitung: Clemens Krauss. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt

Szenenbild Aida, 1937. Regie: Rudolf Hartmann, Bühne: Ludwig Sievert, Musikalische Leitung: Clemens Krauss. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt

Noch eine andere Art der Quelle wurde für das Forschungsprojekt bedeutsam: Die Wissenschaftler wollten mit Menschen ins Gespräch kommen, die den untersuchten Zeitraum (zumindest teilweise) noch erlebt haben und starteten einen Zeitzeugenaufruf. Viele Rückmeldungen kamen sowohl von Menschen, die das Haus selbst als Sänger, Mitarbeiter oder Stammzuschauer zwischen 1933 und 1963 miterlebt hatten, als auch von Angehörigen oder Nachkommen von Künstlern der Staatsoper. So nahm zum Beispiel die Schwiegertochter des Kammersängers Karl Ostertag Kontakt zum Forschungsteam auf. Der Tenor Karl Ostertag war zwischen 1936 und seinem Eintritt in den Ruhestand 1968 fast durchgängig im Ensemble der Bayerischen Staatsoper gewesen. Was ihn zu einem einzigartigen „Zeugen“ für das Forschungsprojekt machte: Er führte über jede einzelne Vorstellung seines langen Sängerlebens minutiös Buch. In zwei Bände, offensichtlich vorgedruckte Kalendarien für Bühnendarsteller, trug er Datum, Stücktitel, Dirigent und Partie ein, vermerkte, wie oft er diese Partie gesungen hatte, und teils auch, welche Kollegen die anderen Hauptpartien übernommen hatten. Ganz selten wird der Fortlauf der Vorstellungsreihen in diesem „Almanach“, wie die Schwiegertochter Ostertags Aufzeichnungen nennt, von Text unterbrochen, wie bei jener Notiz, die auf den Eintrag einer „Aida“-Vorstellung folgt: „Am 2./3. Oktober 1943 wurde das Nationaltheater bei einem Fliegerangriff völlig zerstört. Vorerst finden Großkonzerte im Festsaal des Deutschen Museums statt.“ Die Gespräche mit Zeitzeugen und das Schrift- und Bildmaterial aus privaten Künstler-Nachlässen haben großen Wert für die Forschungsarbeit: Sie zeigen hinter den geschichtlichen Vorgängen die Menschen und ihre Motive, machen die Historie lebendig. Weniger sind sie als belastbare Quellen für „faktisches“ Wissen geeignet, denn stets handelt es sich um stark persönlich gefärbte Darstellungen, basierend auf Erinnerungen, die sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte oft auch verändert haben. Doch in der Kombination mit der Auswertung von offiziellen Dokumenten und möglichst vielen weiteren Quellen liefern die Gespräche entscheidende Impulse. Auf einige Aspekte wurden die Forscher durch die Interviews mit Zeitzeugen und Angehörigen überhaupt erst aufmerksam.

Wie lange sich jüdische Sänger an einzelnen Theatern halten konnten, hing von vielen individuellen Faktoren ab: vom Grad des rassischen „Makels“, von Gesinnung oder Stimmung der Personalzuständigen, von persönlichen Sympathien, von wohlmeinenden Fürsprechern oder von Denunzianten.

Rollenportrait von Maria Reining als Elsa in Lohengrin. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt

Rollenportrait von Maria Reining als Elsa in Lohengrin. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt

Im Hinblick auf Berufungsvorgänge von Intendanten und GMDs, auf das Geflecht von Entscheidungen durch Operndirektion, Generalintendanz und Kultusministerium, im Hinblick auf das institutionelle und politische Gebaren der Bayerischen Staatsoper beziehungsweise ihrer Lenker bieten die Aktensammlungen der Archive die zentralen Quellen für die Aufarbeitung. In den Recherchen zur NS-Zeit wurde rasch deutlich, dass die Bayerische Staatsoper die Kulturauffassung der Nazis prominent propagieren und sie selbst als vermeintliche Kulturliebhaber inszenieren sollte. München als „Hauptstadt der Bewegung“ sollte auch „Hauptstadt der deutschen Kunst“ sein, hier sollten Exempel einer nationalsozialistischen Kunst statuiert werden. Hitler plante für München ein neu zu errichtendes Opernhaus von gigantischer Größe – gut dreimal so groß wie das bestehende Nationaltheater – dessen Bau durch den Ausbruch des Krieges verhindert wurde. Die musikalisch-künstlerische Leitfigur, die Münchens Oper zu neuen Ehren führen und sie dabei politisch und ideologisch nutzbar machen sollte, fand Hitler im Wiener Dirigenten Clemens Krauss, den er 1937 als GMD und späteren Generalintendanten an die Bayerische Staatsoper holte. Krauss selbst verfolgte eine eigene große Vision: Er wollte in München, Wien und Berlin mit exzellenten Sängern und Kräften beispielhafte Opernbetriebe installieren, die dem gesamten Reich als Vorbild dienen sollten. Als „musikalischen Führer“ des Reiches imaginierte Krauss sich selbst.

Dass Krauss grundsätzlich mit dem nationalsozialistischen Gedankengut sympathisierte, ist stark zu bezweifeln. Immerhin trat er nie in die Partei ein, auch gibt es keine Hinweise auf eine rassistische beziehungsweise antisemitische Überzeugung. Er verfolgte allerdings zielstrebig seine größenwahnsinnige künstlerische und karrieristische Vision, war offenbar gleichzeitig indifferent für weltanschauliche und inhaltliche Überzeugungen und schmerzfrei in der Anpassung an Jargon und Strategien der Nazis und somit mehr als kompatibel zum NS-Kulturbetrieb. Er verstand es perfekt, etwa die „Führer“-hörigen Strukturen für sich zu nutzen und die besten Arbeitsbedingungen und finanziellen Zuwendungen für sich und sein Ensemble herauszuschlagen – in der Hinterhand stets die Rückversicherung durch Hitler persönlich oder durch dessen Stellvertreter Martin Bormann. Dass er mit einem Unrechtsregime kollaborierte, nahm Clemens Krauss wissend und billigend in Kauf. Das zeigt zum Beispiel ein Briefwechsel mit Bormann, in dem Krauss auf die Bereitstellung von zusätzlichen „Judenwohnungen“ (also annektierte Wohnungen vertriebener jüdischer Familien) für die Ensemblemitglieder drängt. Unter der Berufung auf eine Verpflichtung der Operninszenierung gegenüber der Entstehungszeit des Werkes etablierte Krauss zusammen mit seinem Bühnenbildner Ludwig Sievert und mit Regisseur Rudolf Hartmann einen Opernstil, der sich vermeintlich „unpolitisch“ gab – also etwa auf allzu plakative ideologische Zeichen verzichtete und stets eine historisierende Optik wählte – und der dabei doch subtil den nationalsozialistischen Ideen, etwa in Form einer überhöhten, inszenierten Herrscherverehrung, ungeniert zuspielte.

Blick ins zerstörte Nationaltheater, nach 1943. Quelle: Gerhard Schmidt: „Das Nationaltheater nach der Ausbombung. Der Innenraum“. In: Der Zwiebelturm. Monatsschrift für das bayerische Volk und seine Freunde. Ausgabe 1961/11. Regensburg: Habbel, 1961

Blick ins zerstörte Nationaltheater, nach 1943. Quelle: Gerhard Schmidt: „Das Nationaltheater nach der Ausbombung. Der Innenraum“. In: Der Zwiebelturm. Monatsschrift für das bayerische Volk und seine Freunde. Ausgabe 1961/11. Regensburg: Habbel, 1961

Was aber geschah mit denen, die nicht ins ideologische Bild passten? Für jüdische Theaterkünstler begann die systematische Ausgrenzung und Verfolgung durch die Nazis rasch, nachdem Hitler an die Macht gekommen war. An den Theatern wurden in den Jahren 1933 bis 1935 massive Personalwechsel vollzogen, beginnend in den Leitungsebenen. Wie lange sich jüdische Sänger oder Sänger mit jüdischen Ehepartnern an einzelnen Theatern halten konnten, hing von vielen individuellen Faktoren ab: vom Grad des rassischen „Makels“ (entsprechend der nationalsozialistischen Einteilung in „Voll-“, „Halb-“ oder „Vierteljuden“), von Gesinnung oder Stimmung der Personalzuständigen (für die Münchner Staatstheater war dies ab 1934 der linientreue Oskar Walleck als Generalintendant, bis Krauss dieses Amt übernahm), von persönlichen Sympathien und möglicherweise mildernden Umständen, von wohlmeinenden Fürsprechern ebenso wie von Denunzianten.

Diese Bandbreite bestätigt sich anhand mehrerer Fälle an der Bayerischen Staatsoper, die im Rahmen des Forschungsprojekts recherchiert wurden: So hatte Oskar Walleck den jüdischen Bassisten Berthold Sterneck vorübergehend im Ensemble halten können, indem er im Frühjahr 1935 dessen Frontkämpfereigenschaft im Ersten Weltkrieg begünstigend hervorhob. Nach Korrespondenzen mit dem Vorsitzenden der Reichstheaterkammer im Propagandaministerium verlängerte Walleck jedoch Berthold Sternecks Vertrag im Januar 1936 nicht mehr. Für den Sänger folgten 1937 Berufsverbot, Zwangsarbeit und sozialer Abstieg. Der Deportation entging Sterneck, weil er 1943 infolge einer Krebserkrankung starb.

Das Münchner Nationaltheater kurz nach der Wiedereröffnung 1963. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Rudolf Betz.

Das Münchner Nationaltheater kurz nach der Wiedereröffnung 1963. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Rudolf Betz.

Ein anderer Fall: Maria Reining aus Wien konnte zwar einen „Ariernachweis“ vorlegen und empfahl sich durch ihr Äußeres als Vorzeigesängerin bei Propagandaveranstaltungen. Ein diffamierender Hetzbrief an die Operndirektion offenbarte jedoch im Mai 1936, dass Reining eine Liebesbeziehung zu einem jüdischen Arzt in ihrer Heimatstadt unterhielt. Oskar Walleck schaltete umgehend das Innenministerium ein, die Bayerische Politische Polizei forderte aufgrund Reinings „rassenschänderische[r] Beziehungen“ die entsprechenden Konsequenzen. Walleck kündigte der Sopranistin einen Tag nach ihrer Anhörung. Das am Ende des Jahres verhängte Berufsverbot für Reining konnte durch den Einfluss eines gut vernetzten Freundes (und späteren Ehemanns) von Maria Reining wieder rückgängig gemacht werden, sodass sie an der Wiener Staatsoper ins Engagement gehen konnte, wo ihr 1938 auf Hitlers Geheiß der Titel Kammersängerin verliehen wurde. München war für die Sängerin zunächst passé, noch 1940 ging dort bei der Operndirektion ein weiterer massiv beleidigender Hetzbrief gegen sie ein. Maria Reining trat erst in den 1950er-Jahren wieder in München auf.

Nach Kriegsende 1945 stellte sich an der Bayerischen Staatsoper wie allerorts die Frage, mit welchen Mitteln und mit welchen Künstlern der Theaterbetrieb wieder aufgenommen werden konnte. Besonders die Theaterleitung musste mit Personen besetzt werden, die politisch möglichst unbescholten waren. Nach der kurzen Intendanz von Arthur Bauckner war es Georg Hartmann, der in den Nachkriegsjahren den Betrieb der Bayerischen Staatsoper wieder aufbaute, ein vielversprechendes Ensemble verpflichtete und mit Uraufführungen und innovativer Bühnenästhetik künstlerisch neue Wege beschritt. Die breite Anerkennung für diese Leistung blieb allerdings aus, der Theatervisionär Georg Hartmann konnte in München in den späten 1940er-Jahren nicht recht Fuß fassen. Als ein anderer Kandidat für die Intendanz nach seinem Entnazifizierungsverfahren wieder für München zur Verfügung stand, drehte sich der Wind: Rudolf Hartmann, lange Jahre unter Clemens Krauss erster Regisseur an der Bayerischen Staatsoper, löste (protegiert auch von Richard Strauss, ehe dieser 1949 starb) seinen Namensvetter Georg Hartmann im Amt ab. Dass er engster künstlerischer Partner des noch längst nicht rehabilitierten Clemens Krauss gewesen war und sich bei den NS-Größen, einschließlich Hitler selbst, angebiedert hatte, störte 1951 in München in der breiten Wahrnehmung niemanden. Rudolf Hartmann wollte in die Geschichte eingehen als eine Art Rettergestalt, die die Bayerische Staatsoper wieder zu Glanz und Prosperität führte, die Festspiele wieder groß machte und den Wiederaufbau des Nationaltheaters beförderte – wie seine vieles beschönigende Autobiographie „Das geliebte Haus“ deutlich zeigt. Kulturpolitiker, Presse und Opernbesucher erkannten Rudolf Hartmann als Autorität an. Ästhetisch bewegte sich Rudolf Hartmann nahe am historisierenden und anscheinend unpolitischen Opernverständnis von Clemens Krauss – ein Rückschritt im Verhältnis zu dem, was Georg Hartmann angestrebt hatte.

In vielerlei Hinsicht standen die Zeichen der Zeit in diesen Jahren auf Rückkehr zum Vertrauten: Der Wiederaufbau des Nationaltheaters, der mit Ausnahme der Foyerzone eine fast hundertprozentige Rekonstruktion des alten Hof- und Nationaltheaters darstellt, spricht für sich. Die Wunden des Krieges, die in den 1950er-Jahren im Münchner Stadtbild noch sehr präsent waren, sollten geschlossen werden, und die Mehrheit der Münchner zog eine Reminiszenz an die königlich-bayerische Bautradition dann doch der modernen Architektur vor – ein Kasten aus Glas und Beton, wie etwa der Opernneubau in Köln jener Jahre, war für die Münchner ein Gräuel. Einer vom Krieg noch erschütterten Bevölkerung erleichterte der Anblick des neuen Nationaltheaters, das aussah wie das alte, zwölf dunkle Jahre des Nationalsozialismus und zwanzig Jahre der verwitternden Ruine aus dem Gedächtnis zu verdrängen. Als hätten Diktatur und Krieg nicht stattgefunden, präsentierte sich das Haus in alter Form und überlagerte den sichtbaren Bruch − die Ruine − durch eine Scheinkontinuität: die Kopie des alten Nationaltheaters.

Katrin Frühinsfeld

  • Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind umfassend und reich bebildert unter dem Titel „Wie man wird, was man ist – Die Bayerische Staatsoper vor und nach 1945“ (Hg. Jürgen Schläder) zusammengefasst worden. Das Buch erscheint im Juli 2017 bei Henschel.

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