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Zwischen Naturglauben und Christentum

Beat Furrers „Das grosse Feuer“ in Zürich uraufgeführt

Ein Ton wie ein Tinnitus: hoch, leise, durchgehend. Im dritten Takt nimmt das Akkordeon eine Sekundreibung hinzu, was den Klang, verbunden mit den nervösen Tonwiederholungen der Violinen, noch verstörender macht. Dazu tiefe, abstürzende Figuren in den Bassinstrumenten. Wie ein Gurgeln klingt das, wie ein mattes Seufzen. „Regen, Holz, Indios...In diesem Drecksloch“, flucht Andrew Moore als Paqui. Auch das eigens für die Produktion engagierte zwölfköpfige Ensemble Cantando Admont verstärkt mit seinen isolierten, übereinander geschichteten Silben das Gefühl der Unbehaustheit. Die Mikrotonalität, die diese Formation den knapp zweistündigen Abend über präzise umsetzt, entfaltet einen fremden, faszinierenden Klangraum.

Beat Furrer, „Das große Feuer“ mit Leigh Melrose als Eisejuaz und Cantando Admont. Foto: Herwig Prammer.

Beat Furrer, „Das große Feuer“ mit Leigh Melrose als Eisejuaz und Cantando Admont. Foto: Herwig Prammer.

Beat Furrers „Das große Feuer“ (Libretto: Thomas Stangl) wurde bei der Uraufführung am Opernhaus Zürich stark bejubelt. Die neue Oper meidet von Beginn an jedes Gefühl der Vertrautheit. Die Figuren werden musikalisch nicht getragen, haben keinen Boden unter den Füßen. Furrers musikalische Sprache ist feingliedrig, vielstimmig, kurzatmig. Ein Stammeln wie nach einem Schock, ein Ringen nach Worten. Der Komponist kommt ganz ohne Elektronik aus, obwohl seine originellen Klangmixturen manchmal danach klingen. In seiner neunten Oper – seiner ersten Choroper – hat sich der in der Schweiz geborene österreichische Komponist dem 1979 erschienenen Roman „Eisejuaz“ der argentinischen Schriftstellerin Sara Gallardo zugewendet, auf den er durch einen Kompositionsschüler gestoßen war. Im Mittelpunkt steht der indigene Schamanensohn Eisejuaz, der hin- und hergerissen ist zwischen Naturglauben und christlicher Erziehung. Er arbeitet in einem Sägewerk und ist so mitverantwortlich für die Zerstörung des Waldes, dessen Bäume und Tiergeister er singen hören kann. Sein Kümmern um den rassistischen Kleinkriminellen Paqui ist christlich bedingt. Eisejuaz trauert um seine verstorbene Frau Lucia, wird von deren Schwester Mauricia – seiner heimlichen Geliebten – bedrängt, wieder zurückzukehren ins Indiodorf. In den lose aufeinanderfolgenden Szenen streitet er sich mit dem Missionar, trifft auf eine Seherin, lässt sich von Paqui herumkommandieren und schließlich verraten. Sein Weg führt steil bergab – er wird vom Heilsbringer zum Verfolgten. Nur eine Indiofrau (Muchacha), die er heilt, spendet ihm am Ende einen Hauch von Trost, ehe sie ihn gemeinsam mit Paqui aus Versehen vergiftet.

Die mäandernde, auch in Rückblicken und inneren Monologen vermittelte Geschichte erzählt die Oper allerdings nicht, sondern nur das Programmheft. Der häufige Wechsel zwischen Spanisch und Deutsch, die experimentelle Behandlung der Sprache, die Vervielfältigung mancher Figuren sorgen für Verunklarung. Ohne Übertitel, die auch die Handlung skizzieren, wäre man verloren. Auch Tatjana Gürbacas Inszenierung (Ko-Regie: Vivien Hohnholz) im Einheitsbühnenraum von Henrik Ahr macht weniges konkreter. Stehende und hängende Pfähle mögen an gerodeten Urwald und Vernichtung von Leben denken lassen. Eine schräge Scheibe, die sich immer wieder in Bewegung setzt, als Spielfläche, ein Radfahrer, der von der Decke hängt und in Zeitlupe nicht vom Fleck kommt – das ist zu wenig an szenischen Ideen, um den komplexen Stoff zu visualisieren und den Abend zu verdichten.

Beat Furrer, „Das große Feuer“ mit Andrew Moore als Paqui, Cantando Admont und Statistenverein am Opernhaus Zürich. Foto: Herwig Prammer

Beat Furrer, „Das große Feuer“ mit Andrew Moore als Paqui, Cantando Admont und Statistenverein am Opernhaus Zürich. Foto: Herwig Prammer

Es sind die Akteure, die durch ihre darstellerische Präsenz und musikalische Exzellenz theatralische Momente schaffen. Sämtliche Nebenrollen und die große Partie der Mauricia – Elina Viluma-Helling singt diese mit schlankem, schlackenlosem Sopran – werden durch Mitglieder von Cantando Admont besetzt, benannt nach dem Stift Admont in der Steiermark. Das im Jahr 2016 von der Schweizer Dirigentin Cordula Bürgi gegründete, in Graz ansässige Vokalensemble hat in der Vergangenheit schon mehrfach mit Beat Furrer zusammengearbeitet. Auch seine Oper „Begehren“ von 2001 wurde bei der Wiederaufführung bei den Salzburger Festspielen 2024 durch das auch in der Renaissance-Musik geschulte Solistenkollektiv veredelt. In Zürich lassen Friederike Kühl und Patricia Auchterlonie Lucias die Linien schweben, Helena Sorokina und Cornelia Sonnleithner schenken der alten Chahuanca dunkle Farben, Hugo Paulsson Stove gibt einen strengen, hell timbrierten Missionar. Die französische, auf Neue Musik spezialisierte Sopranistin Sarah Aristidou verleiht mit ihrem mitunter ganz vibratolosen, reinen Stimmklang der Muchacha enorme Ausstrahlung. Ob brüllend oder wimmernd, schmierig oder rau – mit seinem markanten Bassbariton macht Andrew Moore aus Paqui einen echten Kotzbrocken, der sich am Ende in einer skurrilen Szene vor dem glitzerbehängten Volk (Kostüme: Silke Willrett) selbst zum Wunderheiler stilisiert. Da ist Eisejuaz auf seiner Leidensgeschichte endgültig gebrochen. Leigh Melrose lässt die Zerrissenheit dieses Protagonisten spüren. Dieser Eisejuaz ist ein Getriebener, der Haken schlägt und auf seinem verschlungenen Weg immer mehr ins Dickicht gerät. Aber auch dem erleuchteten, Geisterstimmen hörenden Eisejuaz gibt Melrose Raum.

Die Philharmonia Zürich setzt unter der Leitung des Komponisten die fordernde Partitur plastisch um. Es flüstert und wimmert im Orchestergraben. Die Kleinstpartikel sind modelliert. Und auch die wenigen massiven Ausbrüche, die kalten Blechschichtungen haben eine klare Formung. Nur die Holzbläser wirken manchmal in dem filigranen Stimmengeflecht zu grob und die Balance ist nicht immer optimal. Beat Furrers „Das große Feuer“ enthält unerhörte Klänge. Die permanente Mehrdeutigkeit und Vielstimmigkeit überfordert aber dieses neue Musiktheater, dessen Spannung in den vielen Pausen, Brechungen und Mikrostrukturen immer wieder verlorengeht. Am Ende kehren die hohen Frequenzen im Akkordeon zurück. Und die Oper endet so leise, wie sie begonnen hat.

Georg Rudiger

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